Thomas Hürlimann
Schweiz

Thomas Hürlimann bedauert, dass die Kirche das Latein aufgegeben hat

Wien, 9.5.17 (kath.ch) Die Literatur ist auf die Religion angewiesen, da Religion einen Zugang zu einer Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit bietet: Das hat der Autor Thomas Hürlimann im Rahmen eines Pressegesprächs am Montag in Wien betont: «Es wird keine Literatur mehr geben, wenn wir die Religion ausklammern und nicht mehr bereit sind, in Überwelten einzusteigen». Der Schweizer Schriftsteller und Klosterschüler trauert zudem dem Latein als Kirchensprache nach.

Thomas Hürlimann gehört zu den bekanntesten deutschsprachigen Schriftstellern der Gegenwart. Er setzt in Wien die «Poetikdozentur Literatur und Religion” fort. Thema seiner Vortragsreihe ist das Kreuz in der modernen Literatur. Aus der Wertschätzung der «transzendentalen Dimension», die von der Religion bewahrt werde, resultiert auch Hürlimanns Einsatz für Kreuze im öffentlichen Raum.

Thema der Vortragsreihe ist das Kreuz in der modernen Literatur.

Wiederholt hat sich der Autor, der selbst lange Jahre Klosterschüler in Einsiedeln war, für deren Verbleib eingesetzt: «Wenn ein Kreuz verschwinden soll, sehe ich auch ein stückweit meine Welt gefährdet». Zugleich sei er erstaunt, dass ein Einsatz für das Kreuz im öffentlichen Raum sogleich als politisch-reaktionäres Statement gewertet und bekämpft werde.

Verdrängung von Kreuz und Gott ist ein «Fehlschluss»

Tatsächlich sehe er in der Verdrängung des Kreuzes sowie in der Verdrängung von Worten wie Gott und Tod aus der Sprache einen «Fehlschluss unserer Zeit», so Hürlimann weiter: Je weiter sich die Gesellschaft von der Dimension des Metaphysischen entferne, «desto stärker sickert sie auf der anderen Seite in die Literatur ein». Wo Wörter wie Gott und Tod «aus der Sprache verbannt werden», seien sie dadurch «nicht weg», sondern kehrten irgendwann pathologisch verdreht wieder. Hingegen gelte: «Sprache bannt, indem sie etwas benennt, und sie bannt nicht, indem sie es verschweigt.»

Tragisch, dass der Katholizismus seine Sprache, das Latein, aufgegeben hat.

Als «tragisch» erachtet der Autor ausserdem, dass auf der anderen Seite auch die Kirche zusehends verstumme: «Ich halte es für tragisch, dass der Katholizismus seine Sprache, das Latein, das die ganze Welt verstanden hat, aufgegeben hat und sich in eine babylonische Sprachverwirrung begeben hat. Dadurch hat er sich auf das extremste gefährdet», so Hürlimann. Schliesslich sei mit dem Latein auch «das Mysterium verschwunden», welches in seiner ganzen Unverständlichkeit zugleich eine «Pforte zur Metaphysik» darstellte.

«Offene Plattform des Austauschs»

Mit Thomas Hürlimann geht die Wiener «Poetikdozentur Literatur und Religion» gleichsam in die Verlängerung: Nach zwei Vortragsreihen mit prominenten Autorinnen und Autoren im vergangenen Jahr – darunter Sibylle Lewitscharoff, Felicitas Hoppe und Nora Gomringer – wird sich Hürlimann nun den ganzen Mai hindurch in Vorträgen, Seminaren und bei einem Symposion mit dem Kreuz in der modernen Literatur befassen.

Hürlimanns Vorlesungsreihe wird unter dem Titel «Feuerschlag des Himmels – Das Kreuz in der modernen Literatur» stehen. Begleitend dazu gibt es für Studierende ein Lektüreseminar mit dem Autor sowie am 1./2. Juni ein abschliessendes interdisziplinäres Symposion zum Werk Hürlimanns.

In der Literatur nach dem Religiösen suchen

Initiiert wurde die «Poetikdozentur» vom Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück. Dieser bestätigte am Rande des Pressegesprächs auch, dass es beabsichtigt sei, die Poetikdozentur als fixe Einrichtung der Katholisch-Theologischen Fakultät auf Dauer zu stellen.

Ziel der Dozentur sei weder eine «Vereinnahmung der Literatur durch die Theologie» noch ein Engführung der Theologie auf literarisch aufgegriffene Motive; vielmehr gehe es darum, «in der Gegenwartsliteratur nach religiösen Motiven und sperrigen Fremdprophetien zu suchen, die an Dinge erinnern, die in der Theologie vielleicht ein wenig in den Hintergrund geraten sind».Insofern verstehe er die «Poetikdozentur» als eine «offene Plattform des Austauschs», so Tück, «die nicht von dogmatischen Direktiven enggeführt wird». (kap)

O-Ton von Thomas Hürlimann an der Medienkonferenz in Wien.

Thomas Hürlimann | © Henning Klingen/Kathpress
9. Mai 2017 | 16:54
Lesezeit: ca. 2 Min.
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