Patrick Renz, Nationaldirektor "migratio" der Schweizer Bischofskonferenz
Schweiz

Auch Kirche ist Heimat

Freiburg i.Ü., 14.2.17 (kath.ch) Künftig können sich Ausländer der dritten Generation erleichtert einbürgern lassen. Das Schweizer Stimmvolk hat am Sonntag eine entsprechende Vorlage mit 60,4 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Patrick Renz, der neue Nationaldirektor ad interim der Dienststelle «Migratio», freut sich über das «klare» Ja. In seinem Gastkommentar für kath.ch spricht er von einer «überfälligen Bereinigung» und macht darauf aufmerksam, dass Migranten auch in der Kirche Heimat erleben.

Dass eine Abstimmung über Migration gerade in Zeiten von zunehmendem Nationalismus und populistischer Vereinfachungen ein derart klares «Ja» des Volkes erhält, ist sehr erfreulich. Der lange Prozess bis zu der jetzigen vierten Vorlage hat Früchte getragen; die Richtung schien zu stimmen.

Aus Sicht der katholischen Kirche ist Migration ein wichtiges Thema: Knapp 40 Prozent der Mitglieder der katholischen Kirche in der Schweiz haben einen Migrationshintergrund. Viele von ihnen fühlen sich ebenso wenig als Einwanderer wie Schweizer, welche vor 60 Jahren in der katholischen Diaspora aufgewachsen sind oder die den Umzug in eine andere Sprachregion gewagt haben. Und halten wir uns die Anzahl der von der Abstimmung Betroffenen vor Augen – gerade mal zirka 25’000 Personen – so kann man von einer überfälligen Bereinigung sprechen. Das Signal unter anderem der Wertschätzung ist aber ein ganz zentrales, auch christliches Anliegen.

Wie immer bei Migrationsdebatten wurde vor der Abstimmung das Konzept «Heimat» kontrovers diskutiert. Das können wir hier nicht lösen. Aber: Auch Kirche ist Heimat. Migranten erleben in der Kirche Heimat, sowohl spirituell in der Bekanntheit der gewohnten katholischen Riten, aber auch sozial in der Gemeinschaft mit eigenen Landsleuten. Da knüpft Migratio an. Ursprünglich wurden je Sprachgemeinschaft vor allem eigene Missionen gegründet. Diese sind oft auch heute noch sehr lebendige, pulsierende Gemeinschaften. Dennoch sind zunehmend auch Modelle der Zusammenarbeit (statt der Absonderung) gesucht. Die seelsorgerische Begleitung der Katholikinnen und Katholiken in der Schweiz wird zur Chance für gewinnbringende Begegnungen. Es geht um die Frage, wie ein gegenseitig befruchtendes Nebeneinander, ein vielfältiges Miteinander, eine interkulturelle Seelsorge gelingt.

Hierzu zeigen neueste pastoralsoziologische Erkenntnisse differenziert die Integrationsrolle fremdsprachiger Pfarreien auf: Als Brückenbauer vermitteln sie Knowhow über das Leben in der Schweiz. Sie öffnen Zugänge zu Netzwerken und verhelfen durch die zwischenmenschlichen Kontakte zur Mobilisierung persönlicher Potentiale. Heimat entsteht dann auch sehr praktisch:  etwa durch die Kenntnisse des Schulsystems, durch die Nutzung der verschiedenen Ausbildungswege, durch das sich Zurechtfinden in unserem öffentlichen Verkehrssystem, und so weiter.

Ich habe selbst in zehn zum Teil sehr verschieden Ländern gelebt. Zehn Mal  war ich konfrontiert mit einem Neustart, einem sozialen Neuaufbau, der Suche nach Heimat. Zunehmend erfuhr ich, wie wichtig hier die Dimension des Glaubens sein kann: im ganz Praktischen mich Zurechtfinden in einem neuen Land bis hin zu tiefgründigen Begegnungen im Glauben. Die eindrücklichsten Beispiele erlebte ich ausgerechnet im islamischen Bangladesch: Schon nur die Tatsache, dass ich gläubiger Christ bin, hat mir Türen zu Muslimen geöffnet, Einladungen beschert zu Festen, zum Fastenbrechen mit gemeinsamem Gebet und zu Glaubensgesprächen.

Was sich heute in der Entwicklungszusammenarbeit zu einem Common sense entwickelt hat, wurde von Migratio (beziehungsweise deren Vorgängerorganisation) schon vor Jahrzehnten genutzt: Die Förderung einer gesellschaftlichen Entwicklung wird erst dann ganzheitlich (und damit wirkungsvoll), wenn auch die religiöse Dimension mitberücksichtigt wird. Auch der letzte Abstimmungssonntag ist ein Zeichen in Richtung mehr Ganzheitlichkeit. (pr)

Migratio ist die Dienststelle der Schweizer Bischofskonferenz für Migration und Menschen unterwegs. Sie befasst sich mit den seelsorgerlichen, kulturellen und sozialen Bedürfnisse der in der Schweiz lebenden Migranten und ihrer Familien sowie der Menschen unterwegs.

Patrick Renz, Nationaldirektor «migratio» der Schweizer Bischofskonferenz | © zVg
14. Februar 2017 | 12:55
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