Isabelle Noth
Schweiz

Mit «Religious Care» über Religions- und Kulturgrenzen hinausschauen

Bern, 25.8.16 (kath.ch) Ab diesem Herbst kann an der Universität Bern eine Weiterbildung in Religiöser Betreuung für Menschen aus anderen Religionen und Kulturen besucht werden. Das Bedürfnis dafür ist weitherum vorhanden. Denn Seelsorger oder Bezugspersonen stehen immer wieder und immer öfter vor Fragen, die sich aus unterschiedlichen Sprach- und Sichtweisen ergeben, erklärt die Theologieprofessorin Isabelle Noth im Gespräch mit kath.ch.

Martin Spilker

Ob im Spital, Gefängnis oder Asylbewerberzentrum: Seelsorgerinnen und Seelsorger – aus den christlichen Kirchen, wie auch aus anderen Religionen – treffen bei ihrer Tätigkeit auf Situationen, die auch nach langjähriger Erfahrung neu, ungewohnt und vielleicht sogar verunsichernd sind. Wie sollen Mitarbeitende reagieren, wenn ein Patient im Spital sich mit seinen religiösen Bedürfnissen «unter Christen» nicht verstanden fühlt? Was kann ein christlicher Seelsorger antworten, wenn ein Gefangener über «die Mohammedaner» schimpft?

Anforderungen steigen ständig

«Die Anforderungen an Seelsorger und religiöse Bezugspersonen sind in unserer multikulturellen und weltanschaulich pluralen Gesellschaft in den letzten Jahren ständig gestiegen. Zu einer richtigen Herausforderung wird dies dort, wo sich das Gegenüber in einer extremen Situation befindet», erklärt Isabelle Noth, Professorin für Praktische Theologie an der Universität Bern. Als Beispiele für solche Situationen nennt sie Patienten in Spitälern, Gefangene oder ratsuchende Menschen in Flüchtlings- und Asylbewerberunterkünften.

Noth ist verantwortlich für den neuen Studiengang in «Religious Care im Migrationskontext» an der theologischen Fakultät der Universität Bern. Hier werden Themen unterrichtet, die auf den ersten Blick so gar nicht nach Seelsorge klingen: Kriterien zur Anerkennung als Flüchtling, Kinderrecht im Asylbereich, Umgang mit Trauma und psychischem Stress im interkulturellen Kontext. Die Professorin erläutert: «Es geht darum, Kompetenzen zu vermitteln, um religiös-begleitend tätig zu sein. Dazu gehört selbstverständlich auch migrationspolitisches Grundlagenwissen.»

Erfahrungen in Asylzentren sammeln

Das Bedürfnis nach einer Weiterbildung für die Betreuung von Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen sei schon vielfach geäussert worden, weiss Isabelle Noth. Erste Erfahrungen können nun mit einem Angebot für die Betreuung in Bundesasylzentren gesammelt werden. Für eine breite Qualifikation brauchte es aber auf vielen Ebenen die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Und die Teilnehmenden müssen ein wissenschaftlich begleitetes Aufnahmeverfahren bestehen.

Vertreter verschiedener Religionen werden im Studiengang «Religious Care im Migrationskontext» unter einem Dach als Dozenten auftreten. Und auf den Bänken sitzen bei der ersten Durchführung des Studiengangs Christen, Muslime, ein Hindu, aber auch ein Arzt, die alle mehr über existentielle Betreuung in einem interreligiösen Kontext wissen wollen. In einem Kontext aber auch, der Betreuende wie Gegenüber speziell fordert, wie eben in einem Gefängnis oder während eines Asylverfahrens.

Die Zeit ist reif

Im Gemeindealltag stellten sich solche Fragen nicht in der gleichen Dringlichkeit, weiss die Dozentin für praktische Theologie: «Interkulturelle und interreligiöse Fragen treten in den Gemeinden beispielsweise bei Trauungen oder Taufen von Kindern aus konfessionell gemischten Partnerschaften auf. Aber hier besteht in der Regel auch kein besonderer Druck.»

Vorbehalte gegenüber solchen Bildungsangeboten gibt es immer, weiss die Berner Theologieprofessorin – insbesondere in der heutigen Zeit. «Die grossen Fragen aus dem Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen in unserer Gesellschaft müssen von Seelsorgenden aus den verschiedenen Religionen gemeinsam beantwortet werden», ist Isabelle Noth überzeugt.

Und dafür will die Theologische Fakultät der Uni Bern eine neue Plattform bieten. Die Zeit sei jetzt reif dafür, sagt Noth. Und sie erwartet von den bevorstehenden Auseinandersetzungen wichtige Erkenntnisse für die Herausforderungen, die sich an Brennpunkten des interkulturellen Zusammenlebens zeigen.

Weiterbildung «Religious Care» an der Universität Bern

Isabelle Noth | © Martin Spilker
26. August 2016 | 11:20
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