Samir Radouan Jelassi, Imam der Lega Musulmani Ticino, Lugano
Schweiz

Luganeser Imam: «Das Burka-Verbot bedroht den sozialen Frieden»

Lugano, 1.7.16 (kath.ch) Das Burka-Verbot wirkt sich nicht nur bei Touristen aus den Golfstaaten aus. Auch die im Tessin lebenden Muslime sind betroffen, auch wenn sie keine Ganzkörperschleier tragen. Das sagt Samir Redouan Jelassi, Imam der Lega Musulmani Ticino in Lugano, gegenüber kath.ch. Heute Freitag tritt im Tessin ein Gesetz in Kraft, das eine Verhüllung des Gesichts in der Öffentlichkeit verbietet. Bussen bis zu 1000 Franken, im Wiederholungsfall bis zu 10’000 Franken drohen.

Regula Pfeifer

«Das Volk hat so entschieden und wir Muslime respektieren als Bürger dieses Staates die Regeln und Gesetze und die Abstimmungsresultate» sagt der Luganeser Imam als erstes auf die Frage von kath.ch, was er über das Verbot denke. Der Imam steht seit 15 Jahren der Lega Musulmani Ticino in Lugano vor, einer muslimischen Gemeinschaft, die aus Personen von rund zwanzig Nationalitäten besteht. Doch zufrieden mit dem Gesetz ist Jelassi keineswegs, wie sich kurz darauf zeigt. Internationale Ereignisse – Jelassi nimmt später den Begriff «Terror» in den Mund – seien für die Abstimmungskampagne instrumentalisiert worden, kritisiert er.

Medien und Politiker haben Ängste geschürt, sagt der Imam.

«Dabei haben wir mit dieser Sache überhaupt nichts zu tun», so Jelassi. Die Medien hätten durch «besorgniserregende Berichterstattung» die Ängste in der Bevölkerung geschürt, und die Politiker hätten in dieselbe Richtung gewirkt. So sei es zu einem «von Angst getriebenen Bauchentscheid» gekommen.

Kein Burka-Problem im Tessin

Schon die Benutzung des Begriffs Burka hat laut Jelassi Angst geschürt. Denn das rufe das schockierende Bild einer afghanischen Frau hervor, deren Gesicht hinter einem Gitter versteckt ist. Dabei sei die Burka ein Kleid, das nur eine Weltregion betreffe. «Es gibt im Tessin kein Burka-Problem und auch kein Ganzkörperschleier-Problem», so der Imam. Denn keine Frau im Kanton trage ein solches Kleid. Nur Touristinnen aus der Golfregion treten im Tessin gemäss Jelassi im Ganzkörperschleier auf. Nun hätten viele von ihnen die Reise in den Tessin annulliert. Touristiker und Geschäftsleute sähen da ein Problem auf den Tourismuskanton zukommen.

Doch auch für die im Tessin lebenden Muslime hat das Verbot Folgen, wie der Imam ausführt. Und zwar auf das Zusammenleben und den sozialen und religiösen Frieden. Bei den Diskussion sei es immer nur um die Burka gegangen. Dabei thematisiere das Gesetz die Verhüllung an sich. Doch um Gesichtsbedeckungen an der Fastnacht oder bei Sportanlässen sei es nie gegangen. Das stiess den Muslimen negativ auf. «Wir Muslime fühlen uns diskriminiert und Bürger zweiter Klasse», so Jelassi. Es sei «ein Schritt zurück auf dem Weg des Dialogs und Respekts gegenüber dem anderen». In den Diskussionen sei Islamophobie immer stärker präsent.

Muslimische Frauen wollten nicht, dass ihnen jemand Kleidervorschriften mache, sagt Jelassi.

Auch muslimische Frauen, die ihren Körper nicht ganz verhüllen, haben sich laut dem Imam gegen das Burka-Verbot geäussert. Sie wollten nicht, dass ihnen jemand Kleidervorschriften mache, so Jelassi. Was man anziehe, sei eine persönliche Entscheidung. Da müsse die persönliche Freiheit gelten. Auch aus diesem Grund empfindet die muslimische Gemeinschaft das Burka-Gesetz als negativ, wie der Imam erfahren hat.

Ein Risiko für die Tradition der Toleranz

Dabei sei die Schweiz für seine Multikulturalität und Multireligiosität bekannt, beschwor Jelassi. Ja, das Land gründe auf Diversität. «Dieses Verbot riskiert nun die lange Tradition der Toleranz zu beschädigen», warnt der Imam. Und damit würde auch das Bild der Schweiz angeschlagen.

«Wir müssen das Bild des Islam korrigieren und die Angst vor dem Islam und den Muslimen nehmen», sagt der Imam jeweils seinen Gläubigen. Am besten seien alltägliche Schritte, etwa gute Beziehungen zu den Nachbarn pflegen. So lasse sich das Zusammenleben verbessern.

Der Imam der Lega Musulmani Ticino ist Franzose tunesischer Herkunft. Er hat sich in Europa zum Imam ausgebildet und ist seit 25 Jahren als solcher tätig, die letzten 15 Jahre im Tessin. Seine Predigten hält Jelassi auf Arabisch und Italienisch. Italienisch sei die meist gebrauchte Sprache in der von Albanern, Türken, Pakistanern, Schweizern, Algeriern, Tunesiern und Angehörigen anderer Nationalitäten besuchten Moschee. Auch viele Jugendliche der zweiten und dritten Generation sind laut Jelassi Teil der Gemeinschaft.

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Samir Radouan Jelassi, Imam der Lega Musulmani Ticino, Lugano | © Keystone
1. Juli 2016 | 10:39
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