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Wo in Rom unter Rosen tausende Tote ruhen

Rom, 21.5.16 (kath.ch) Bekannt ist der «Rosario» als Oase der Stille im geschäftigen Rom. Unter dem Rosengarten verbirgt sich aber viel Geschichte: Ein jüdischer Friedhof lag seit 1645 an dieser Stelle. Der musste aber in den 1930er-Jahren unter dem Duce Benito Mussolini einer Prachtstrasse weichen.

Burkhard Jürgens

Urplötzlich Rosenduft: Wenige Schritte oberhalb der Hauptverkehrsstrasse am Circus Maximus wechselt der römische Wind seine Note von Benzin zu zarteren Tönen. Hier ist der Roseto Comunale, der städtische Rosengarten. Ein Konzert von Farben und Gerüchen: Da prunkt die dunkelpurpurne Notturno; elegant kräuselt Maiden Blush, geliebt von den flämischen Malern, ihre zartrosa Blüten, während die unscheinbare Rosa Primula aus Samarkand mit orientalischem Weihrauchduft überrascht.

Entschleunigung ja, Sonnenbad nein

Es ist ein Ort der Entschleunigung. Besucher wandeln von Rosenstock zu Rosenstock, wie betört; sie riechen, tasten, manche nehmen sich sogar Zeit für eine Skizze, ein Aquarell. Den kurz gehaltenen Rasen betritt man ohne ein tadelndes Wort. Nur wer meint, sich zum Sonnen ausbreiten zu dürfen, den ermahnen die Wärter zum Aufstehen. Denn unter den Rosen liegen jüdische Gräber.

Unter den Rosen liegen jüdische Gräber

«Der alte Friedhof reichte von der Bocca della Verita bis zur FAO», dem Sitz der Welternährungsorganisation, erzählt Antonello Santelli, botanischer Experte des Rosengartens. Von 1645 an fanden am Hang des Aventin tausende Verstorbene der jüdischen Gemeinde ihre letzte Ruhestätte. Unter Benito Mussolini sollten sie ihren Platz räumen. Er brauchte eine Paradestrasse zum Gedenken an seinen «Marsch auf Rom».

Den offenen Konflikt vermieden

Schuld hat nicht der Duce allein. Seit den 1920er-Jahren war der Druck auf die Synagogengemeinde gewachsen, ihre ehemaligen Friedhöfe dem römischen Regulierungsplan zu opfern. Neue Bestattungen fanden ohnehin längst auf dem Zentralfriedhof statt. Als der Baubeschluss für die Via del Circo Massimo feststand, war die Opposition der jüdischen Gemeinde längst mürbe. Oberrabbiner Angelo Sacerdoti wog ab und entschied: besser die Friedhöfe verlieren als in einen offenen Konflikt steuern.

Synagoge und Stadt verständigten sich über die Modalitäten, einschliesslich Entschädigungen und eine würdige Verlegung der Gräber zum Campo Verano, dem städtischen Friedhof. Am 18. Juni 1934 wurde der Vertrag unterzeichnet, am gleichen Tag begann die Bergung der Gebeine. Am 28. Oktober sollte die Parade stattfinden.

Nichts lief wie geplant

Natürlich lief nichts wie geplant. Wie aufwendig eine ordentliche Auflösung des Friedhofs wäre, zeigte sich erst bei Stichgrabungen: Noch in 15 Meter Tiefe kamen gut erhaltene Gräber zutage. Und bereits während die ersten Exhumierungen in Gange waren, rückten die Strassenbauer an. Unter Termindruck gingen die Arbeiten auch am Sabbat weiter, wenn – entgegen der Vereinbarung – kein Vertreter der Gemeinde zugegen war. Alles in allem verlief die Aktion nach dem Urteil von Giancarlo Spizzichino, dem früheren Archivar der römischen Synagoge, eilig und unvollständig.

Alles verlief eilig und unvollständig

Am Ende zählte man 1296 identifizierbare Tote und 6537, deren Name keiner kennt. Die Arbeiten endeten am 26. Oktober 1934, zwei Tage vor Mussolinis Gedenkmarsch. Vertreter der jüdischen Gemeinde sassen mit auf der Tribüne, als 15’000 italienische Athleten vorbeidefilierten – «dort, wo bis vor fünf Monaten mehr als achttausend unserer Toten ihren letzten Schlaf schliefen. Möge das Opfer nicht umsonst sein», notierte ein Zeitzeuge.

Wegführung als Andenken

Das Geheimnis des Rosengartens erschliesst sich vom höchsten Punkt aus, oberhalb des kleinen Brunnens in der letzten Galerie: Der Architekt des Parks, Angelo Di Castro, gab den drei im Halbkreis angelegten Wegen und der Mittelachse, die vom Eingang hinaufführt, die Form eines siebenarmigen Leuchters. Verblichene Tafeln mahnen Träger des Namens Cohen, Abkömmlinge des jüdischen Priesterstammes, sich aus Gründen ritueller Reinheit von diesem Ort fernzuhalten.

Niemand weiss, wie viele unentdeckte Gräber hier sind. So bleibt dieses Stück Land ein jüdischer Ort, auch nach Enteignung, Nutzung als Gemüseacker im Krieg und, seit 1950, als Rosengarten.

Oft, so erinnert sich Santelli, kam Rabbiner Elio Toaff (1915-2015) vorbei: In der Frühe, wenn die Rosen frisch erblüht waren, sah man ihn zwischen den Beeten einherschreiten. Am Brunnen sprach er ein Gebet. Vielleicht fand er irgendwo ein Steinchen in den Beeten. Dann legte er es auf das kleine, von den meisten Besucher übersehene Mahnmal am Eingang, zur Erinnerung an die Toten seiner Gemeinde, die unter den Rosen ruhen. (cic)

Rom | © pixabay
21. Mai 2016 | 12:34
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