50 Jahre nach dem Konzil: Ein Weckruf an die Kirche

Luzern, 24.11.15 (kath.ch) Die Aufbruchstimmung in der katholischen Kirche nach Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965 war gross. An einer Tagung am 21. November in Luzern 50 Jahre später war die Resignation darüber gross, dass die Kirche den damals eingeschlagenen Weg nicht konsequent weitergegangen ist. Dabei wurde deutlich gemacht, wie ungebrochen aktuell die Texte sind und dass sie den Katholikinnen und Katholiken nach wie vor als Weckruf dienen sollten.

Martin Spilker

Das Interesse an diesem kirchlichen Ereignis, das vor 50 Jahren abgeschlossen wurde, ist nach wie vor vorhanden: 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmern versammelten sich zu diesem von der Professur für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät Luzern, der Herbert-Haag-Stiftung und dem Verein Tagsatzung organisierten Tagung «zu den vergessenen Möglichkeiten des letzten Konzils», wie es im Untertitel der Veranstaltung hiess.

Dichtes Programm, herzhafte Impulse

Fünf Referate, sechs Impulse, die sich auf Dokumente und Themen aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil bezogen haben. Ein «Sprung nach vorn», ein «Mauerbruch», eine «Zeitenwende». Es sind grosse Bilder, die für die von über 2000 Bischöfen aus aller Welt von 1962 bis 1965 geleistete Arbeit verwendet werden.

Die Referentinnen und Referenten beleuchteten mit dem Blick und der Erfahrung aus 50 Jahren Theologie und Seelsorge die Konzilsdokumente. So verwendete der emeritierte Theologieprofessor Walter Kirchschläger für seine Frage nach der Bedeutung des Konzils für das 21. Jahrhundert das Bild des Skispringers: Die Zeichen seien vor 50 Jahren auf grün gestellt worden, die Kirche habe schon lange Anlauf für die damals grundgelegten Veränderungen genommen. Heute sei nicht die Zeit für «einen Sprung zurück».

Ohne Frauen – damals und heute

Stephanie Klein, in Luzern Professorin für Pastoraltheologie, ging mit der Leitung der katholischen Kirche dann hart ins Gericht. Sie sprach von einem «historischen Defizit» und zeigte, dass der Begriff Frau in den Konzilsdokumenten nur gerade ein paar Mal verwendet wurde. Und dass neben den rund 3000 Bischöfen aus aller Welt gerade einmal 23 Frauen – ohne Rede- und Stimmrecht – beteiligt waren. Aber wenn in Rom 50 Jahre nach dem Konzil an der vergangenen Bischofssynode über Themen wie Ehe und Familie beinahe unter Ausschluss der Frauen diskutiert werde, dann gelte es jetzt, diesen «Bann» gegen Frauen in der katholischen Kirche aufzuheben.

Von einer nur positiven Veränderung wusste der Theologe Urs Eigenmann zu sprechen: Beim Zweiten Vatikanischen Konzil sei erstmals in Kirchendokumenten von den Armen dieser Welt die Rede gewesen. Die nach dem Konzil in Lateinamerika entstandene Theologie der Befreiung habe die Aufmerksamkeit in der Kirche noch weiter geprägt und dazu verholfen, «am Rand die Mitte» zu suchen, wie er sein Referat betitelte.

Auch ausserhalb der Kirche gibt es Heil

Die Publizistin Doris Strahm zeigte umgekehrt auf, dass mit dem Konzilsdokument über das Judentum und die nichtchristlichen Religionen für die damalige Zeit ein Quantensprung passiert sei. Erstmals habe die Kirche anerkannt, dass Menschen auch ausserhalb des Christentums Heil erlangen könnten. Die damals gelegte Grundlage für einen interreligiösen Dialog sei aus heutiger Sicht aber schlicht nicht ausreichend. So gelte es, nicht nur Unterscheide zu akzeptieren, sondern auch Anregungen aus anderen Religionen für den christlichen Glauben zu prüfen.

Ein bisschen als Exot kam sich der frühere Bundesgerichtspräsident Giusep Nay in der theologischen Runde vor. Und entsprechend referierte er auch vor langen Gesichtern, etwa wenn er in aller Kürze den Unterschied zwischen «Grundrechten in der Kirche» und «Grundrechten der Kirche» erklären musste. Konkreter wurde die Sache, als er von aussen betrachtet das Thema Gleichstellung von Mann und Frau in der römisch-katholischen Kirche ansprach. Hier sei kein Zwang möglich. Denn aus juristischer Sicht könne ja, wer mit den Regeln der Kirche nicht einverstanden sei, einfach austreten. Innerkirchlich aber, wagte sich der Ehrendoktor der Theologie dann doch einen Schritt weiter, wäre eine solche Haltung allerdings eine Gratwanderung.

Aufbruch in die nächsten 50 Jahre

Erwin Koller, Präsident der Herbert-Haag-Stiftung, der zusammen mit Franziska Loretan-Saladin durch die Tagung führte, sprach in seinem Fazit ernüchtert von verpassten Chancen und nicht eingehaltenen Versprechen. Mit dieser Tagung wollten die Veranstalter denn auch einen Weckruf erklingen lassen. Die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils seien nicht bloss für die Kirchenleitung, sondern auch dazu gedacht, von innen her mit den damals freigesetzten Kräften weiterzubauen. – Und wünschte in diesem Sinn ergiebige weitere 50 Jahre Auseinandersetzung mit dem Konzil. (ms)

Die Referate der Tagung werden auf der Internetseite der Herbert-Haag-Stiftung veröffentlicht.

Theologieprofessorin Stephanie Klein an der Universität Luzern | © Vera Rüttimann
24. November 2015 | 17:06
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Der Hahn kräht weiter

«Aufbruch aus der Erstarrung» heisst das Buch, das zum Thema der Tagung in Luzern erschienen ist. Es enthält auf gut 300 Seiten Beiträge von namhaften Autorinnen und Autoren zu den insgesamt 16 Konzilsdokumenten. «Konzilstexte vom Kirchenvolk neu kommentiert» heisst es im Untertitel des Sammelbandes. Eine internationale Autorenschaft hat mit Blick auf das 50-Jahr-Jubiläum die Konzilstexte «kritisch überprüft und neu kommentiert», wie es auf dem Klappentext heisst. Ergänzt werden diese Texte durch 17 Cartoons von Johann Pumhösl – darunter auch der krähende Hahn auf dem Umschlag. (ms)

Aufbruch aus der Erstarrung. Reihe Theologie: Forschung und Wissenschaft. Herausgegeben von Georg Kraus, Hans Peter Hurka, Erwin Koller. LIT-Verlag, Berlin, 2015.