Odilo Noti (L), Hugo Fasel und Geert van Dok von Caritas Schweiz
Schweiz

Caritas Schweiz fordert vom Bundesrat eine umfassende Entwicklungspolitik

Bern, 31.8.15 (kath.ch) Ein Prozent statt wie bisher 0,5 Prozent des Bruttosozialprodukts für die staatliche Entwicklungszusammenarbeit und eine umfassende Politik internationaler Solidarität: Diese und weitere Forderungen will Caritas Schweiz in die neue Botschaft des Bundesrats zur Internationalen Zusammenarbeit für die Jahre 2017 bis 2020 einbringen. An einer Medienkonferenz vom Montag, 31. August, stellte die katholische Organisation ihre entwicklungspolitischen Forderungen an den Bund vor.

Regula Pfeifer

Die Erhöhung der Entwicklungshilfegelder auf ein Prozent des Bruttosozialprodukts ist laut Caritas Schweiz angebracht. Die Schweiz stehe an der Spitze der reichsten Länder der Welt, deshalb solle sie auch einen Spitzenplatz in der Förderung der Entwicklungszusammenarbeit einnehmen, sagte Caritas-Direktor Hugo Fasel an der Medienkonferenz. «Die Schweizer Exportindustrie profitiert in hohem Mass von den wachsenden Märkten in den Ländern des Südens», so Fasel. Der wirtschaftliche Ausgleich verlange, dass die Schweiz diese Länder in ihrer Entwicklung aktiv unterstütze und nicht nur als Exportmärkte nutze. Geert van Dok, Leiter der Caritas-Fachstelle Entwicklungspolitik, untermauerte dies mit Zahlen. Die Schweiz habe 2014 im Handel mit Schwellen- und Entwicklungsländern rund 20 Milliarden Franken erwirtschaftet. Demgegenüber stünden rund 1,7 Milliarden Franken Aufwendungen für die eigentliche Entwicklungszusammenarbeit.

In Zeiten drohenden Abbaus

Die Forderung nach einer Aufstockung lanciert Caritas in einer Zeit, in der die Zeichen auf Abbau stehen. Manuel Sager, Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), hat eben in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger (31. August) von der Möglichkeit gesprochen, dass das Budget von aktuell 0,5 Prozent unter Druck geraten könnte, weil der Bund vor einer finanziell schwierigen Situation stehe. «Wir verlangen nicht einen Rückzug, sondern eine Ausweitung des Engagements», stellt Fasel demgegenüber klar.

Es war ein klares Plädoyer für Solidarität, und zwar eine weltweite. Die Schweiz gehöre zur Welt und habe als Teil der Staatengemeinschaft ihren Beitrag zur Verbesserung der Lebensumstände in den armen Ländern zu leisten, und zwar aus Solidarität ebenso wie aus Eigeninteresse, sagte van Dok. Unser Land sei geradezu zu einer solchen Haltung verpflichtet, führte Odilo Noti, Leiter Kommunikation von Caritas Schweiz hinzu. Einerseits stehe in der Bundesverfassung der Schutz der Menschenwürde an erster Stelle, andererseits sei die Schweiz erfahren in Ausgleichsmechanismen nationaler Solidarität, etwa zwischen Bund und Kantonen. Nun gehe es darum, ihr Verhältnis zur Welt nach demselben Solidaritätsprinzip zu gestalten. «Solidarität ist ein Erfolgsrezept, sie schafft Stabilität», brachte Fasel die Caritas-Haltung auf den Punkt.

Globale Krisen und Herausforderungen wie Klimaerwärmung, Konflikte, Hunger und Pandemien verlangten globale Lösungen. Eine Kernaufgabe des Bundesrats werde künftig darin bestehen müssen, die Bedeutung der internationalen Perspektive für die Schweiz verstärkt in die innenpolitische Diskussion über wirtschaftliche, soziale und ökologische Themen einfliessen zu lassen, zeigte sich van Dok überzeugt.

Entwicklungspolitik auf verschiedene Ämter verteilt

Die Caritasvertreter verwiesen zudem auf die gewachsenen Aufgaben der staatlichen Entwicklungspolitik. Heute seien mehr Bundesämter und -departemente involviert. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sei für wirtschafts- und handelspolitische Massnahmen zuständig, eine Abteilung des Aussendepartements für Friedensförderung, das Bundesamt für Umwelt für Klimafragen und das Staatssekretariat für Migration für die Asylgewährung.

Die verschiedenen Politiken müssten unbedingt mit den Erfordernissen der Entwicklungszusammenarbeit abgeglichen werden, sagte Fasel und kritisierte Beispiele, in denen dies nicht spielte. Die Schweiz schotte ihren Agrarmarkt ab, obwohl sie für ihre eigenen Güter weltweit freien Zugang zu den Märkten verlange. Zudem biete die Schweiz nach wie vor Zuflucht für Fluchtgelder von Diktatoren. Und sie sei zu einem Refugium für Rohstofffirmen geworden, die ökologische und soziale Mindeststandards grob missachteten. Caritas Schweiz verlangt deshalb vom Bundesrat einen jährlichen Bericht, der die Massnahmen zur Verbesserung einer solchen Kohärenz aufzeigt. Und sie verlangt Kommunikationsmassnahmen, um die Bevölkerung über die Situation der Länder im Süden aufzuklären.

Schliesslich wehrt sich die Organisation gegen jüngste Tendenzen, wonach die verschiedenen Departemente ihre Südverpflichtungen über das Budget der Direktion für Entwicklung (Deza) finanzieren wollten. Es sei ein Ärgernis, sagte Fasel, dass die Schweiz ihre Aufwendungen im Asylbereich der Entwicklungszusammenarbeit anrechne. Das dürfe sich beim Schutz der öffentlichen Güter im Umweltbereich, das zu den Uno-Nachhaltigkeitszielen gehört, welche die Millenniumsziele nach 2015 ablösen sollen, nicht wiederholen. Dieser sei Teil einer umfassenden Aussenpolitik.

Zeitpunkt gut gewählt

Der Zeitpunkt für entwicklungspolitische Forderungen ist offenbar gut gewählt. Aktuell werden auf Bundesebene die Weichen für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz gestellt. Die Botschaft des Bundesrats zur Internationalen Zusammenarbeit für die Jahre 2017 bis 2020 wird gerade erarbeitet, das Parlament wird diese wie auch den darauf basierenden Rahmenkredit spätestens im Frühling 2016 beraten, wie Caritas Schweiz mitteilte.

All die Forderungen von Caritas Schweiz beruhten nicht auf Theorien, sondern auf konkreten Erfahrungen bei ihrem eigenen Engagement in Ländern des Südens, betonte Hugo Fasel während der Konferenz. Auf die Frage nach der politischen Umsetzung dieser Forderungen reagierte der Caritas-Direktor gelassen. Diesbezüglich habe Caritas bisher viel Hartnäckigkeit an den Tag gelegt. (rp)

Odilo Noti (L), Hugo Fasel und Geert van Dok von Caritas Schweiz | © Raphael Zbinden
31. August 2015 | 17:50
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