Der Ruf der Kirche ist besser, als man meint

Wie steht es um das Ansehen der beiden grossen Kirchen in der Schweiz? Gefragt wurde nach der Verbundenheit mit den Kirchen, nach der Qualität kirchlicher Dienstleistungen, des Seelsorgepersonals oder der Kirchenleitungen. Ein zentraler Punkt kam immer wieder aufs Tapet: Die persönlichen Erfahrungen mit kirchlichen Mitarbeitern prägen das Kirchenbild dauerhaft.

Martin Spilker

Knapp 1400 Menschen wurden in der Studie des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) St. Gallen und dem Zentrum für Kirchenentwicklung an der Universität Zürich befragt. Darunter befanden sich 360 angehende Primarlehrer und Primarlehrerinnen und Kindergärtnerinnen und Kindergärtner der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, 90 Theologiestudierende aller römisch-katholischen und evangelisch-reformierten Fakultäten der Deutschschweiz sowie 949 Mitglieder von Kantonsparlamenten. Sie alle vergaben Noten für den Religionsunterricht und erteilten Auskunft darüber, welche Gefühle und Begriffe sie mit der katholischen oder reformierten Kirche verbinden. (Zusammenfassung siehe Text rechts.)

«Das hat uns etwas zu sagen»

Am 11. Mai wurde die Studie in Zürich an einer Tagung vorgestellt. Das Interesse war enorm: Über 180 Personen wollten aus erster Hand wissen, wie das Bild der beiden grossen Kirchen in dieser erstmalig erstellten Untersuchung gezeichnet wird.

«So, wie uns andere sehen, das hat uns etwas zu sagen», machte Arndt Bünker, Leiter des SPI, bei der Präsentation der Ergebnisse deutlich. Klar musste sich die Studienleitung bei den Befragungen auf einen Ausschnitt der Gesellschaft beschränken. Mit den angehenden Primar- und Kindergartenlehrpersonen wurden junge Leute ausgewählt, die künftig auch das Bild der Kirchen vermitteln werden. Die Mitglieder von Kantonsparlamenten wurden wegen ihres besonderen Bezuges zwischen Kirche und Staat befragt. Und als dritte Gruppe wurden Theologiestudierende als künftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Kirchen ausgewählt.

Für Urs Winter-Pfändler vom SPI, der die Studie leitete und die Ergebnisse zusammenfasste, war es wichtig etwas zu erfahren, aus dem für den Alltag in Pfarrei und Kirchgemeinde Konsequenzen gezogen werden können. «Das sind gerade nicht die grossen theologischen Fragen. Wir wollten dort hinschauen, wo die Menschen mit der Kirche unmittelbar in Berührung kommen», so Winter-Pfändler. Und die Antworten darauf, die stehen und fallen mit den Mitarbeitern vor Ort.

Leistungen der Kirche entstehen im Alltag

Immer wieder wurde der Vergleich mit profanen Unternehmen und die Verbindung zu den Wirtschaftswissenschaften gemacht. Doch es gehe gerade nicht darum, die Kirche auf die Qualität von Produkten hin zu untersuchen, so Urs Winter. Die Dienstleistungen – oder Angebote – der Kirchen könnten aber sehr wohl ganz nüchtern gemessen und beurteilt werden. «Wenn ein Seelsorger bei einer Beerdigung immer wieder auf die Uhr schaut, dann ist das durch seine volle Agenda erklärbar. Aber bei der betroffenen Trauerfamilie bleibt ein schlechter Eindruck zurück», so der Studienleiter.

Auch Thomas Schlag, Professor am Zentrum für Kirchenentwicklung, machte deutlich, dass jede geäusserte Kritik an der Kirche und ihren Mitarbeitern zu denken geben muss. Denn, so Schlag: «Wer im kirchlichen Dienst auftritt, der setzt sich aus und der muss Reaktionen annehmen können.»

Kirche braucht «heilige Erregung»

Nun könne, so der Theologieprofessor, Kritik als Risiko gesehen werden, als Bedrohung der eigenen Person und des Amtes. Kritik sei aber auch als Chance zu verstehen. Und dafür machte sich Thomas Schlag stark. Dass so viele differenzierte Rückmeldungen zu der Umfrage eingegangen seien, sei keine Selbstverständlichkeit. Die im Buch zusammengefassten Aussagen würden vielmehr zeigen, dass gegenüber den Kirchen ein grosses Vertrauenspotenzial vorhanden sei. «Die Kirchen müssen sich nicht vor Kritik fürchten», so Schlag weiter, sondern mit Wachheit und Aufmerksamkeit – er nannte es «heilige Erregung» – von dem reden, was sie ausmacht: Der Glaube an Jesus Christus.

Das Hinschauen auf die Art und Weise, wie Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen – ob in der Seelsorge, der Verwaltung oder in besonderen Diensten – handeln, wurde als eine dere Hauptaufgaben für eine gute Reputation genannt. Die Sorge um das Personal, das Verhalten in Konfliktfällen, die Art und Weise, wie, wann und wo mit Informationen an die Öffentlichkeit gelangt wird, bei solchen Themen könne die Kirche von anderen Organisationen sehr viel lernen, ohne auf das spezifisch christliche verzichten zu müssen, wurde verschiedentlich betont. Aber es gelte auch, zu den positiven Rückmeldungen Sorge zu tragen und den Blick über die Kerngemeinde hinaus zu richten.

Denn auch der grosse Teil der kirchenfernen Personen trage zum Ruf der Kirche bei. Oder, wie es der Präsident der reformierten Landeskirche Aargau, Pfarrer Christoph Weber-Berg, erklärte: «Zwei Drittel der Einwohner sind bei einer der grossen Landeskirchen Mitglied, das ist positiv. – Es ist eine Frage der persönlichen Haltung der Kirchenvertreter, das auch als positiv anzunehmen.» (ms)

Angaben zum Buch: Urs Winter-Pfändler: Kirchenreputation. Forschungsergebnisse zum Ansehen der Kirchen in der Schweiz und Impulse zum Reputationsmanagement. St. Gallen 2015, Edition SPI, 303 Seiten, 37.90 Franken.

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Arndt Bünker | © 2015 Martin Spilker
12. Mai 2015 | 02:10
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Studienergebnisse und Empfehlungen

Neben verschiedenen Baustellen förderte die Studie auch Positives zu Tage: Die Kirchen können sich auf motivierte und kompetente Mitarbeitende verlassen, kirchliche Angebote wie Taufen oder Hochzeiten werden geschätzt und ihr gesellschaftliches Engagement wird von den Befragten gewürdigt. Dies alles trägt positiv zur Reputation bei.

Gleichzeitig zeigt die Studie, dass der Ruf der katholischen Kirche in den vergangenen Jahren gelitten hat. Gründe dafür sind unter anderem das Öffentlich-Werden von Missbrauchsfällen sowie die Positionen der katholischen Kirche zur Fragen der Sexualmoral, der Gleichstellung der Geschlechter oder das Festhalten am Zölibat. An diesen Fragen droht das Herzstück der Reputation, die emotionale Verbundenheit mit der Organisation zu zerbrechen. Das heisst, die Menschen verlieren ihr Vertrauen in die Kirche, sie erachten diese als unglaubwürdig oder haben ein ungutes Gefühl, wenn sie an die Kirche denken. Die Politiker schätzten die reformierten Kirchen in den meisten Reputationsbereichen, wie Management, Leadership und Motivation der Mitarbeitenden sowie der Globalreputation positiver ein als die katholische Kirche.

Die Studie zeigt, dass sich der Ruf der Kirchen auch auf die Einstellung der Befragten zum Verhältnis von Kirche und Staat, auf die Attraktivität kirchlichen Engagements sowie auf die Wahrscheinlichkeit eines Kirchenaustritts auswirkt: Je schlechter es um die Reputation der Kirchen in den Augen der Befragten steht, desto eher befürworten sie eine Trennung von kirchlicher und staatlicher Sphäre und desto weniger scheint es ihnen attraktiv, sich in der Kirche freiwillig oder professionell zu engagieren. Zudem fördert ein schlechter Ruf die Wahrscheinlichkeit, aus der Kirche auszutreten.

Aus der Studie lassen sich folgende Empfehlungen ableiten:

– Offen, transparent und ehrlich kommunizieren

Kirche-Sein heisst auch im Dialog mit der Gesellschaft und den Menschen zu stehen. Wollen die Kirchen weiterhin als wichtige Stimmen und Akteure in der Gesellschaft wahrgenommen und akzeptiert werden, müssen sie offen, transparent und ehrlich kommunizieren. Doppelmoral gilt es genauso zu vermeiden wie jegliche Versuche, interne Missstände zu vertuschen. Zudem sind die Kirchen gefordert, ihren gesellschaftlichen Beitrag immer wieder auszuweisen.

– Sich Veränderungen aktiv stellen und die Zukunft gestalten

Die Veränderungen in Gesellschaft und Kirchen dürfen weder klein geredet, noch beschönigt oder verneint werden. Die Kirchen sollten sich den Veränderungen stattdessen mutig und aktiv stellen und die eigenen Handlungsspielräume so gut wie möglich ausnützen.

– Taten statt Worte

Ruf und Ansehen der Kirchen entscheiden sich an ihren Taten. Vertrauen und Glaubwürdigkeit müssen erarbeitet werden. Geeignete Massnahmen dafür sind eine sorgfältige Kirchenleitung, ein verantwortungsvoller Umgang mit den anvertrauten Geldern, gehaltvolle Angebote, kompetente und engagierte Mitarbeitende sowie ein nachhaltiges gesellschaftliches und religiöses Engagement. (SPI/ms)