Eheschliessung
Vatikan

Kardinal fordert eine Änderung der kirchlichen Praxis gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen

Rom, 27.6.15 (kath.ch) Kardinal Walter Kasper gilt seit seinem aufsehenerregenden Vortrag vor dem Kardinalskollegium als prominentester Befürworter einer Änderung der offiziellen kirchlichen Praxis im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Drei Monate vor Beginn der Ordentlichen Bischofssynode im Vatikan hat Kasper nun in einem Aufsatz seine damalige Argumentation vertieft und erweitert.

Thomas Jansen

Er wolle «zahlreiche Missverständnisse» klarstellen, die nach seinem Vortrag aufgekommen seien, aber keineswegs der Synode vorgreifen, schreibt er in dem Beitrag für die Zeitschrift «Stimmen der Zeit», der am Donnerstag, 25. Juni, vorab auf deren Internetseite veröffentlicht wurde. Kaspers Kernthese lautet: 1. Eine Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zum Kommunionempfang wäre nach einem Prozess der Busse im Einzelfall ohne einen Bruch in der Lehre und Praxis der Kirche möglich.

Bezug auf Benedikt XVI.

Der Clou an seiner Argumentation ist, dass sie sich wesentlich auf zwei Gewährsmänner stützt, denen auch seine Kritiker nicht leicht die Gefolgschaft versagen können: Den Kirchenlehrer Thomas von Aquin und Benedikt XVI. Neu gegenüber seinem Vortrag vom Februar 2014 ist der ausdrückliche Rückgriff auf das Prinzip der Billigkeit, der sogenannten Epikie.

Billigkeit sei «im Sinn des Thomas von Aquin kein Ausnahmerecht und keine Ausserkraftsetzung des Rechts, sondern die höhere Gerechtigkeit, die in komplexen Situationen, in denen die wortwörtliche Rechtsauslegung unbillig wäre, das Recht in barmherziger Weise ‘recht und billig’ zur Geltung bringt», erklärt Kasper. Von den Kirchenrechtlern des Mittelalters sei Billigkeit als «Gerechtigkeit, welche durch die Zärtlichkeit der Barmherzigkeit mit Augenmass konkrete Anwendung findet» definiert worden.

Vollmacht zu binden – und zu lösen

In diesem Sinne habe die Kirche in menschlich schwierigen Situationen barmherzig von der Vollmacht zu binden und zu lösen Gebrauch gemacht. Es gehe hierbei, so der einstige Theologieprofessor nicht «um Ausnahmen vom Recht, sondern um eine angemessene und barmherzige Anwendung des Rechts».

Damit knüpft Kasper an sein gemeinsames Hirtenschreiben als Bischof von Rottenburg-Stuttgart mit dem damaligen Mainzer Bischof Karl Lehmann und dem Freiburger Erzbischof Oskar Saier aus dem Jahr 1993 an. Diese Initiative für eine Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion scheiterte damals am Einspruch der vatikanischen Glaubenskongregation, die von Kardinal Joseph Ratzinger geleitet wurde.

Nicht Ableistung von Busse, sondern Klärung

Bemerkenswert ist, dass Kaspers Beschreibung des Bussprozesses sich nahezu wörtlich im Arbeitspapier für die Bischofssynode wiederfindet, das am Montag veröffentlicht wurde. Offenbar lag der Aufsatz den Autoren des Arbeitspapiers vor. In dem betreffenden Absatz heisst es, es gehe nicht um «die Ableistung von Bussauflagen», sondern den schmerzlichen, aber heilsamen Prozess «der Klärung und der Neuausrichtung nach der Katastrophe einer Scheidung, der in einem geduldig hinhörenden und klärenden Gesprächsprozess von einem erfahrenen Beichtvater begleitet wird».

Dieser Prozess solle bei dem Betroffenen «zu einem ehrlichen Urteil über seine persönliche Situation führen». Der Beichtvater müsse in diesem Prozess zu einem geistlichen Urteil komme, «um von der Vollmacht zu binden und zu lösen in einer der jeweiligen Situation angemessenen Weise Gebrauch machen zu können».

Praktische Reformen nicht ausgeschlossen

«Wäre eine solche Weiterentwicklung der kirchlichen Busspraxis ein Bruch mit der Lehre und der Praxis der Kirche?», fragt Kasper selbst am Ende seines Aufsatzes. – Seine Kritiker halten ihm genau das vor. Hier bringt Kasper nun Benedikt XVI. ins Spiel. Der hat zwar seinen Aufsatz aus dem Jahr 1972 mittlerweile überarbeitet, den Kasper noch vor dem Kardinalskollegium angeführt hatte, und sein ursprüngliches Plädoyer für eine Änderung des kirchlichen Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen gestrichen.

Doch Kasper greift diesmal den von Benedikt XVI. geprägten Begriff «Hermeneutik der Kontinuität» auf. Den hatte dieser in seiner Weihnachtsansprache 2005 mit Blick auf die Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils geprägt. Eine «recht verstandene Hermeneutik der Kontinuität» schliesse laut Benedikt XVI. «praktische Reformen und damit ein Moment der Diskontinuität nicht aus, sondern ein». (cic)

Eheschliessung | © Lupo / pixelio.de
27. Juni 2015 | 09:21
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