Bischof Joseph Bonnemain
Schweiz

Bistum Chur: «Der Mensch soll im Zentrum stehen, nicht seine Sexualität»

Der Schlussbericht des synodalen Prozesses im Bistum Chur liegt vor. Darin wird eine Weiterentwicklung der Sexualmoral gefordert. Weder das Geschlecht noch die Ehe solle ein Hindernis für die Zulassung zur Weihe und zur Ordination sein.

Eva Meienberg

Das Bistum Chur hat am 16. März den Schlussbericht des synodalen Prozesses veröffentlicht. Der Bericht fasst die Studie des Instituts «gfs.bern» zusammen und die Voten aus den diözesanen Versammlungen. Sie stammen von den Personen des geweihten Lebens, den Delegierten von Dekanaten, Räten und den kantonalen staatskirchenrechtlichen Körperschaften und jungen Menschen.

Sexualmoral Grund für Ausgrenzung

In den Augen der meisten Gläubigen im Bistum Chur ist die katholische Sexualmoral der Grund für Ausschliessung und Ausgrenzung. Die Gläubigen fordern darum eine Weiterentwicklung der Sexualmoral. Der Mensch solle im Zentrum stehen, unabhängig von seinem Geschlecht, seiner sexuellen Identität oder seiner sexuellen Orientierung. Von der Schweizer Bischofskonferenz wird erwartet, dass die Weiterentwicklung der Sexualmoral in den Ausbildungen zu kirchlichen Berufen ihren Platz hat. 

An die Bischofssynode gelangen die Gläubigen mit dem Anliegen, dass weder das Geschlecht noch die Ehe ein Hindernis für die Zulassung zur Weihe und zur Ordination sein soll. Sie wünschen sich die Kirche als Ort, «wo Charismen und Berufungen entdeckt, gefördert, ernst genommen und gelebt werden können». Sie wollen keine Kirche, die ihr Engagement darauf konzentriere, sich selbst und die Institution zu erhalten.

Sakramente durch nicht geweihte Personen

Wichtig sei, dass Getaufte und Gefirmte ihre Begeisterung für das Evangelium authentisch leben und Mitverantwortung übernehmen könnten. Dafür müssten die Möglichkeiten, die das Kirchenrecht biete, entschiedener genutzt werden, konkret bei Taufen, Eheschliessungen und bei der Krankensalbung.

Das Thema Kommunikation wird in verschiedenen Themenfeldern angesprochen. Viele Gläubige verstehen die kirchliche Sprache oft nicht. Das Gesagte sei intransparent, komme nicht auf den Punkt und sei unklar – «mehr Emotionen, weniger komplizierte Theologie» wird gefordert. Viele wünschen sich eine «Zwei-Weg-Kommunikation», in der auf Gesagtes reagiert werden kann. Unabdingbar sei es, die Entscheidungsfindung transparent zu machen, zu begründen und verständlich zu kommunizieren. Wie in einem Vernehmlassungsprozess sollen Rückfragen ermöglicht werden – auch mit modernen Kommunikationsmitteln.

Mitverantwortung wird in den Pfarreien erlebt

Dialog ist für die Gläubigen die Voraussetzung für Partizipation. «Eine synodale Kirche ist eine Kirche der Teilhabe und Mitverantwortung.» Die meisten Gläubigen aber nehmen wahr, dass Entscheidungen durch Leitungspersonen und Leitungsgremien getroffen würden. Mitverantwortung erleben sie am häufigsten in den Pfarreien. Viele sind froh um das duale System der katholischen Kirche in der Schweiz, weil in den Körperschaften mitentschieden werden kann. Für eine synodale Kirche fordern die Gläubigen Leitende, die fit gemacht werden, Entscheidungsprozesse synodal zu gestalten.

Viele Gläubige getrauten sich nicht, ihre Meinung angstfrei zu äussern. Für eine synodale Kirche brauche es darum geeignete Gefässe für die verschiedenen Interessengruppen, damit diese sich angstfrei äussern können. Bemängelt wird aber auch, dass sich in der katholischen Kirche die Menschen zu oft in die Kreise Gleichgesinnter zurückziehen würden. Dann sei ein Dialog nicht mehr möglich. Vor allem junge Leute fordern eine transparente Dialogkultur in der Kirche.

Öffentlichkeitsarbeit unprofessionell

Aber auch nach aussen solle die Kirche besser kommunizieren. Die Öffentlichkeitsarbeit wird von vielen Gläubigen als «eher unprofessionell wahrgenommen». Eine gute Medienpräsenz ist gewünscht, die Bistümer sollen aktiv auf die Medien zugehen.

Auch in einer synodalen Kirche müssen Entscheide gefällt werden, die nicht immer einem Konsens entsprechen. Dann gelte es zu unterscheiden, wann Mehrheitsentscheide getroffen werden können und wann ein «Entscheid zu verschiedenartigen Möglichkeiten nebeneinander» möglich ist. Wichtig bei der Entscheidungsfindung ist den Gläubigen, dass sich die Entscheidungsträgerinnen und -träger im direkten Kontakt mit den vom Entscheid Betroffenen auseinandersetzen. Den Bischöfen raten die Gläubigen, sich «strukturierte Resonanzgruppen» zu schaffen, in denen verschiedenen Personenkreise in ihre Entscheidungen miteinbezogen werden.

Mehr Spiritualität in der Bischofskonferenz

Und schliesslich wünschen sich die Gläubigen, dass Spiritualität für die Schweizer Bischofkonferenz ein grösseres Thema sei. 

Der Schlussbericht geht an die Schweizer Bischofskonferenz, die ihre Pastoralkommission beauftragt hat, aus den diözesanen Schlussberichten einen nationalen Bericht zu verfassen. Dieser wird an der Schweizer Synodalversammlung am 30. Mai im Kloster Einsiedeln von rund 60 Teilnehmenden diskutiert. Die Synodalversammlung soll die Katholikinnen und Katholiken der Schweiz repräsentieren.

Bischof Joseph Bonnemain hat den Text approbiert: «Er ist das Ergebnis des synodalen Prozesses im Bistum Chur», sagt der Bischof zu kath.ch. «So wird das an die Bischofskonferenz weitergeleitet.»


Bischof Joseph Bonnemain | © Vera Rüttimann
17. März 2022 | 17:30
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