Zwischen Heimlichtuerei und Coming out: die Liebe einer Frau zu einem Priester

Kloten, 8.7.15 (kath.ch) Sie liebte einen Priester und litt jahrelang unter dessen Verpflichtung zum Zölibat. Susanne Stoffel-Bauhaus, Vorstandsmitglied des Vereins der vom Zölibat betroffenen Frauen in der Schweiz (Zöfra), erzählte am «Frauezmorge» in der reformierten Kirche Kloten am Mittwoch, 8. Juli, über ihren schwierigen Weg hin zur eigenen Familie.

Regula Pfeifer

«Etwas vom Schlimmsten, was wir je von der Kirche erfahren haben», sei das Gerichtsverfahren gewesen, das ihren Mann von der Verpflichtung zum Zölibat dispensieren und laisieren sollte, sagte Susanne Stoffel am Mittwoch, 8. Juli, am «Frauezmorge» in Kloten. 1996 hatte ihr Mann, der Priester Jean-Louis Stoffel, dem damaligen Bischof von Sitten, Norbert Brunner, die Situation dargelegt, kurz bevor seine Partnerin, damals Susanne Bauhaus, schwanger wurde. Wenig später nahm ein Domherr das Verfahren im Auftrag des Bischofs an die Hand. «Es war entwürdigend. Wir wurden bei diesem Verfahren regelrecht kriminalisiert», erinnert sich Susanne Stoffel an die darauf folgende Zeit.

«Sexuell abnormal»

Sie und ihr Partner sowie Freunde und Kollegen wurden zu Befragungen vorgeladen. Diese zielten damals darauf hin, die Priester als sexuell oder psychisch abnormal einzustufen oder als zum Priesteramt gezwungene Männer abzustempeln, sagt Stoffel. So war die Kirche «aus dem Schneider», sie konnte den Priester problemlos entlassen. Stoffel und Bauhaus stellten sich ein auf ein mehrjähriges Verfahren im Vatikan, wie bei vergleichbaren Fällen. Sie waren erstaunt, bereits nach einem Jahr den positiven Bescheid zu erhalten. Offenbar hatte der Walliser Kardinal Henry Schwery dank seinen guten Beziehungen im Vatikan erreicht, dass der Fall Stoffel-Bauhaus vorgezogen wurde. Schwery, der frühere Bischof von Sitten, und sein Mitarbeiter Stoffel kannten sich gut.

Ein schwieriges Jahr folgte für Stoffel und Bauhaus, nicht nur auf der Gefühlsebene. Der Mann hatte seine Stelle nicht mehr, das Paar kam in wirtschaftliche Not. Alle Bewerbungsversuche scheiterten. «Alle Berufe, die es in der Kirche gibt, sind, wenn man die Dispens nicht erhält, normalerweise ein für alle Mal abgeschrieben», sagt Stoffel im Nachhinein. In jener Zeit outete sich das Paar gegenüber Freunden, Bekannten und Pfarreimitgliedern und wurde überwältigt von deren Zuschriften.

Ortsverbote ausgesprochen

Die Dispens im Frühling 1997 war nicht nur eine frohe Botschaft. Denn damit verbunden waren allerlei Auflagen. Das Paar dürfe all jene Pfarreien nicht mehr betreten, in denen Jean-Louis Stoffel gewirkt hatte, hiess es etwa. Und die Heirat habe in kleinstem Rahmen stattzufinden.

Allen Schwierigkeiten zum Trotz erhielten Stoffel und Bauhaus eine neue berufliche Chance. Der damalige Bischof von Basel, Kurt Koch, hatte dem Paar zuvor zugesichert, ihm Stellen anzubieten, sobald das Laisierungsverfahren durch sei. Tatsächlich konnte Jean-Louis die Aufgabe als Gemeindeleiter in der Pfarrei St. Peter in Schaffhausen übernehmen. Die Familie zog mit ihrem damals sechs Monate alten Baby dorthin. Susanne Stoffel übernahm eine Katechetinnenstelle und wechselte später in die Pfarrei Christkönig in Kloten. Dort arbeitet sie bis heute. Ihr Mann ist inzwischen pensioniert, und ihr Sohn Julian hat eben die Matura bestanden.

Toleranz im Dorf, in der Stadt «Frau Niemand»

Kennen gelernt haben sich Jean-Louis Stoffel und Susanne Bauhaus in ihrem Elternhaus in der deutschen Universitätsstadt Münster in Nordrhein-Westfalen. Jean-Louis Stoffel bewohnte bei der Familie Bauhaus ein Zimmer, während er seine Doktorarbeit in ökumenischer Theologie an der dortigen Universität schrieb. Susanne war damals noch Teenager, wie sie kath.ch gegenüber sagt.

Nach Abschluss des Doktorats erhielt Jean-Louis eine Pfarrstelle in der Walliser Pfarrei Saas-Balen. Dort besuchte ihn Susanne ab und zu. Die beiden verliebten sich. Um in seiner Nähe zu sein, bildete sich Susanne im Oberwallis zur Sekretärin aus und arbeitete drei Jahre in Saas-Fee. Danach zog sie als Haushälterin zu Jean-Louis ins Pfarrhaus, ein Versteckspiel begann. Obwohl niemand offiziell von der Beziehung wusste, war Susanne bei allen Hochzeiten oder Erstkommunion-Anlässen mit dabei, wo immer der Pfarrer eingeladen war. «Die Leute im Dorf waren tolerant», sagt die heutige Ehefrau des ehemaligen Priesters. Das war auch in der nächsten Walliser Pfarrei so, in die das Paar umzog. Erst in einer Zürcher Pfarrei, in einem noblen Quartier, merkte Susanne, «was es heisst, Frau Niemand in der Kirche zu sein», wie sie im Vortrag pointiert feststellte. Sie wurde nur noch als Hausangestellte behandelt und nicht mehr an dieselben Anlässe eingeladen wie der Pfarrer.

Privatdedektiv und Klage beim Bischof

Damals besann sich Susanne Bauhaus neu und begann eine Ausbildung zur Katechetin. Doch dann setzte ein Kirchenpfleger einen Privatdetektiv auf das Paar an und verklagte es beim zuständigen Bischof von Chur. Das Paar hatte nur eine Wahl: ins Wallis zurückzugehen. Denn da erhielt Jean-Louis eine Pfarrstelle angeboten. «Der Bischof von Sitten wusste um uns», sagt Susanne Stoffel am Frauezmorge. «Man war froh, dass er Priester blieb und froh, dass wir unser Zusammenleben nicht öffentlich machten.»

Doch das Paar konnte die Heimlichtuerei kaum mehr aushalten. Es beschloss, längerfristig auszusteigen. Als Susanne Bauhaus einen anderen Mann kennen lernte, beschloss Jean-Louis Stoffel zu handeln. Er wandte sich an den Bischof mit der Bitte um Dispens und Laisierung.

Unvorstellbares Leid

Das war der Anfang einer besonders schwierigen Zeit, die schliesslich zu einem guten Ende führte. Bei vielen Frauen gehe eine solche Beziehung nicht so gut aus, sagte Susanne Stoffel. Sie wolle ihnen helfen und allgemein für das «unvorstellbare Leid», das der Pflichtzölibat mit sich bringe, sensibilisieren. Deshalb wirkt Susanne Stoffel-Bauhaus seit vier Jahren im Vorstand der Zöfra mit, dem Verein der vom Zölibat betroffenen Frauen Schweiz. (rp)

Der laisierte Priester Jean-Louis Stoffel und Susanne Bauhaus überwanden den Pflichtzölibat und wurden zur Familie – mit Sohn Julian | © 2015 zVg
8. Juli 2015 | 11:53
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Zöfra hat über 500 Frauen betreut

Der Verein der vom Zölibat betroffenen Frauen Schweiz (Zöfra) unterstützt Frauen, die eine Liebesbeziehung zu einem katholischen Priester haben, aber auch betroffene Priester. Bisher haben die Vereinsfrauen 576 vom Zölibat betroffene Frauen betreut. Dadurch wurden ihnen 545 Priester bekannt, welche die Zölibatsverpflichtung nicht einhielten; 112 von ihnen sind weiterhin im Amt. Zudem sind dem Zöfra 173 Priesterkinder bekannt. Es gebe aber eine grosse Dunkelziffer, ist Stoffel aufgrund verschiedener Hinweise überzeugt. Unter den tabuisierten Beziehungen leiden besonders auch die Priesterkinder. Ihre Identitätsfindung sei wegen dem Zwang zur Geheimhaltung stark erschwert, führte Stoffel am Vortrag aus.

Der Verein Zöfra versucht seit Jahren, seinen Anliegen bei der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) Gehör zu verschaffen. Am 14. Juli 2014 kam es nach Jahren informeller Begegnungen zu einem Treffen. Dabei brachte Zöfra unter anderem den Wunsch nach erleichterter Weiterbeschäftigung der Priester während der Laisierungsphase zur Sprache. Die SBK würde sich melden, wurde damals vereinbart. Seit einem Jahr wartet Zöfra auf ein Zeichen, bisher vergebens.
Gegründet wurde Zöfra wurde im Jahr 2000. Ein Jahr später wurde der Verein Kollektivmitglied beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund (SKF). (rp)