Der Künstler Matthias Zurbrügg inmitten seines Werks.
Schweiz

Zwischen Gräbern und Buchstaben kommen die Gedanken ins Fliessen

Dem Sterben auf spielerische Art begegnen: Das ermöglicht die Freiluft-Ausstellung «Zeit Los Lassen» des Künstlers und Schriftstellers Matthias Zurbrügg im Basler Friedhof am Hörnli.

Vera Rüttimann

Schon beim Haupteingang sieht man es: Das Wort «Los». Ganz hinten auf einer riesigen Treppe. Rechts und links zwischen den Hecken die Worte «Zeit» und «Lassen». Bis zu vier Meter hohe Buchstaben aus Tannenholz, verteilt auf dem Friedhof am Hörnli in der Gemeinde Riehen. Die Besucherinnen und Besucher werden aufgefordert, mit Hilfe eines Plans die Worte in der 50 Hektar grossen Anlage zu finden. Manche liegen, stehen oder schwimmen gar im Wasser.

Besucher in der Freiluft-Austellung "Zeit Los-Lassen - Poesie am Ort der letzten Ruhe"
Besucher in der Freiluft-Austellung "Zeit Los-Lassen - Poesie am Ort der letzten Ruhe"

Mehr als Buchstaben aus Holz

Friedhöfe sind Orte, an denen für viele eine meditative Atmosphäre spürbar ist. Ein guter Ort für dieses Kunstprojekt, das dazu einlädt, über die Zeit, das Leben und die Endlichkeit nachzudenken. Zeit ist dafür nötig. Wenn man sie sich nicht nehme, so Matthias Zurbrügg, dann stünden vor einem nur Buchstaben aus Holz. «Man kann sie alle versuchen zu fotografieren. Dadurch aber verpasst man eigentlich, sie zu erleben und zu durchlaufen», sagt er.

Drei Worte, die einen Sinn ergeben: Austellung "Zeit Los-Lassen - Poesie am Ort der letzten Ruhe"
Drei Worte, die einen Sinn ergeben: Austellung "Zeit Los-Lassen - Poesie am Ort der letzten Ruhe"

Tatsächlich: Seine Wortinszenierungen entfalten erst mit der Zeit ihre eigentliche Wirkung. Der Künstler betont: «Es geht mir darum, dass die Leute die Verbindung zwischen dem Wort, der Landschaft und sich selbst suchen.» Die vielen verschiedenen Gedanken und Geschichten, die beim Durchlaufen dieser Freiluftausstellung entstehen – das ist für ihn wohl das eigentliche Werk.

Natur und Kunst verzahnen sich

Der Berner Schauspieler und Künstler geht mit seinen Wortinszenierungen dem Tod spielerisch an den Kragen. Das ist gut zu sehen, wenn man den terrassierten Hügel des Friedhofs erklimmt. Dort befindet sich eine Art Riesenregal mit Urnen. Darüber thronen die Worte «Liebe Ahnen». Dahinter quakt und zirpt es. Der Besucher gelangt an einen grossen Teich, an dessen rechtem Ufer das Wort «Jenseits» zu sehen ist. Malerisch spiegelt es sich im grünen Wasser.

Lieben oder Leben: Den Enten ist's egal.
Lieben oder Leben: Den Enten ist's egal.
Wortspiel: "Liebe Ahnen" oder  "Liebe ahnen"?
Wortspiel: "Liebe Ahnen" oder "Liebe ahnen"?

Von einer Brücke aus kann man das Wort «Leben» entdecken. Zwischen dem «L» und dem «E» versucht sich noch ein «I» einzufügen. Leben oder Lieben? Das ist den beiden Enten ziemlich egal, die es sich auf den Buchstaben gemütlich eingerichtet haben. Hier wird besonders deutlich, was der Künstler damit meint, er habe eine lebensbejahende Ausstellung machen wollen.

Austausch mit Publikum

An einem anderen Ort hängt das Wort «Tränen» in Einzelbuchstaben an einem langen Ast. In einem kleinen Teich das Wort «Rose». Das Wort «Schlafen» liegt buchstäblich darnieder. Ganz oben auf einer Waldlichtung spiegelt sich das Wort «Mensch» in kleinen runden Teichen.

Besucherinnen begegnen dem Künstler: Austellung "Zeit Los-Lassen - Poesie am Ort der letzten Ruhe"
Besucherinnen begegnen dem Künstler: Austellung "Zeit Los-Lassen - Poesie am Ort der letzten Ruhe"

Matthias Zurbrügg freut sich über das rege Publikumsinteresse. Immer wieder erzählen ihm Besucher von ihren Erlebnissen und Gedanken. «Neulich war eine Frau da, die erzählte mir von ihren Nahtoderlebnissen.» Das seien oft besondere Gespräche, gerade in der Corona-Krise, in der das Thema «Sterben» so präsent war.

Verwunschene Ecken gibt es zu entdecken.
Verwunschene Ecken gibt es zu entdecken.

Licht und Schatten

Für seine Wortinszenierungen hat sich Matthias Zurbrügg einen Friedhof ausgesucht, der mit vielen verwunschenen Ecken aufwarten kann. Zauberhaft, wenn das Morgenlicht auf fast hundert Jahre alte Sarkophage scheint. Manche tragen die Spuren der Zeit und sind komplett mit Moos bedeckt. Das wandernde Licht steht symbolhaft für das Werden und Vergehen. Wie die Gräber werfen auch die Buchstaben je nach Sonneneinstrahlung andere Schatten.

Das Friedhofspersonal kennt Matthias Zurbrügg mittlerweile. «Zu ihm und auch zu diesem Friedhof habe ich eine Beziehung bekommen», sagt der Künstler. Und natürlich zu den vielen verwunschenen Orten, die er für sich hier entdeckt habe.

Besucher werden aufgerufen, inne zu halten.
Besucher werden aufgerufen, inne zu halten.

Ruhe finden

Die Leute finden auf diesem Kunstparcours viele Orte zum Innehalten. Wohl auch der Künstler selber, der jetzt Zeit hat, sich auf die szenischen Führungen vorzubereiten, die er abhalten wird – hier inmitten seiner 26 Wortbilder, die auf einem der schönsten Friedhöfe der Schweiz ein veritables Gesamtkunstwerk bilden.

Der Künstler Matthias Zurbrügg inmitten seines Werks. | © Vera Rüttimann
1. Juni 2020 | 12:20
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Poesie am Ort der letzten Ruhe

Noch bis zum 16. August 2020. findet auf dem Friedhof am Hörnli die Ausstellung «Zeit Los Lassen – Poesie am Ort der letzten Ruhe» des Berner Künstlers Matthias Zurbrügg statt. In der Freiluftausstellung sind 26 Wortbilder zu entdecken. Ab dem 12. Juni finden auch inszenierte literarische Spaziergänge mit ihm statt. Gespickt mit Auszügen aus literarischen Werken, dramatischen Stücken und von Matthias Zurbrügg verfassten Texten. Link zur Webseite des Künstlers: www.matthiaszurbruegg.ch