Weckruf für Freiheit in der Kirche

Herbert Haag-Preis an Untergrundkirche und Bibelwissenschaftler

Wien, 4.4.11 (Kipa) Anhaltende Ovationen für die «verborgene Kirche», die in der kommunistischen Tschechoslowakei ein prophetisches Modell christlicher Gemeinschaft lebte, nach der Wende aber vom Vatikan zum Schweigen gebracht wurde. Die Preisverleihung am Samstag in Wien war ein historischer Augenblick.

Es war ein bewegender Moment, als am Samstagnachmittag zwei Angehörige der «verborgenen Kirche», Bischof Dusan Spiner und Generalvikarin Ludmila Javorova, in der Wiener Donaucity-Kirche den Herbert Haag-Preis entgegen nahmen. Eine lang andauernde Standing Ovation ehrte eine kirchliche Gemeinschaft, die ihr prophetisches Werk unter Lebensgefahr verrichtet hatte. Wie exemplarisch diese Kirche gerade für heute wäre, erklärte der zweite Preisträger, der Luzerner Neutestamentler Walter Kirchschläger.

Ein dritter aber, der für den Herbert Haag-Preis ebenfalls vorgesehen war, sagte seine Teilnahme kurzfristig ab: Weihbischof Vaclav Maly aus Prag, der im Rahmen der Charta 77 zur Wende von 1989 beigetragen hatte. Anscheinend ist ihm von «offizieller» Seite nahegelegt worden, sich nicht «für Freiheit in der Kirche» auszeichnen zu lassen. Diese Absage hat nur umso deutlicher gezeigt, wie aktuell die Frage dieser Freiheit gerade heute ist.

Vorgeschichte

Zur Vorgeschichte: Als 1964 der Brünner Priester Felix Davidek aus vierzehnjähriger kommunistischer Haft entlassen wurde, wusste er, was sein Land vor allem brauchte: eine geistige Erneuerung aus christlich-biblischen Wurzeln. Dies wiederum konnte seiner Meinung nach nur geschehen, wenn die Kirche sich konsequent mit allen geistigen Bewegungen der Zeit auseinandersetzt, mit den Errungenschaften der Wissenschaft und der Kultur. Von den Kirchenleitern, die sich mit dem kommunistischen Regime arrangiert hatten, war dies nicht zu erwarten. Diese liessen es zu, dass das kirchliche Leben marginalisiert, in Kirchen und Sakristeien zurückgedrängt wurde und keine Rolle mehr im gesellschaftlichen Diskurs spielte.

Für Davidek war es klar, dass er seine Vision einer zeitgemässen, offenen Kirche nur im Geheimen leben konnte. Darum errichtete er eine «Universität im Untergrund», in der nebst Theologie auch verschiedenste Aspekte der Kulturwissenschaft unterrichtet wurden, Gleichzeitig suchte er für seine kirchliche Gemeinschaft (»Koinotes»: Gemeinschaft) eine Hierarchie aufzubauen. Dies gelang. Felix Davidek wurde von einem regimekritischen Bischof selber zum Bischof geweiht und konnte so nun ebenfalls die Weihe weitergeben.

Nach dem Prager Frühling

Kritisch wurde die Situation nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Davidek musste erneut mit einer Verhaftung rechnen. Um seine Bewegung nicht zu gefährden, erteilte er einer grösseren Zahl von Männern die Priesterweihe. In der ersten Woche nach dem Einmarsch der Warschaupakt-Truppen weihte er sechs von ihnen auch zu Bischöfen.

Folgenschwer war der Entscheid von 1970, als die von Davidek einberufene Synode beschloss, auch Frauen die Priesterweihe zu spenden. Damals befürchtete man, dass eine Verhaftungswelle viele bekennende Christinnen ins Gefängnis werfe. In einem Frauengefängnis könnten jedoch höchstens Frauen noch die Sakramente spenden.

Weihe von Priesterinnen

Die Weihe von Frauen war in Davideks Bewegung allerdings umstritten und führte zu einer Abspaltung. Dennoch ging der Untergrund-Bischof den eingeschlagenen Weg konsequent weiter und weihte einige wenige Frauen zu Priesterinnen. Eine von ihnen, Ludmila Javorova, wurde als Generalvikarin der Untergrund-Diözese zu seiner engen Mitarbeiterin.

Davidek starb 1987, erlebte die Wende nicht mehr. So blieb ihm auch die demütigende Behandlung erspart, die der verborgenen Kirche vom Vatikan zuteil wurde. Diese Untergrundkirche passte schon länger nicht mehr in die vatikanische Ostpolitik, die den Ausgleich mit den kommunistischen Regimes suchte. Den «offiziellen» Bischöfen und Priestern waren aber ihre im Untergrund wirkenden Gefährten ein Dorn im Auge. Nach der Wende wurden Davideks Gefolgsleute einer demütigenden Prozedur unterworfen, mussten sich nochmals «unter Bedingung» neu weihen lassen. Die Untergrundbischöfe wurden zu Diakonen degradiert.

Dies alles sollte zur Auflösung dieser so prophetischen Bewegung führen. Walter Kirchschläger sagte bei der Preisverleihung: «Der Weg der Verborgenen Kirche wurde nicht durch den Kommunismus, er wurde totalitär gestoppt. Dieses Ärgernis bleibt. Es bleibt aber auch das Zeichen der Zeit – ein Weckruf, der mehr als nur zu denken gibt.»

Dossier wieder geöffnet

So weckt die Erinnerung an Felix Davidek und die Koinotes-Kirche Bitterkeit und Hoffnung zugleich. Bitter sagt Bischof Dusan Spiner: «Man nannte uns auch die Schweigende Kirche. Doch nicht die Kommunisten haben uns zum Schweigen gebracht, erst der Vatikan war es.» Von der Hoffnung spricht Ludmila Javorova: «Auch wenn der Vatikan den ganzen Fall bereits zu den Akten gelegt hat, glaube ich, dass das Dossier in Zukunft wieder geöffnet wird.»

Genau dies ist durch die Verleihung des Herbert Haag-Preises am 2. April geschehen. Hans Küng, der Präsident der Herbert Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche, sagte zur kirchenpolitischen Bedeutung der Preisverleihung: «Sie will ein Zeichen gegen das Vergessen sein. Wir möchten die Mitglieder der Verborgenen Kirche ermutigen, die prophetischen Visionen, die sie in einer dramatischen Situation ihrer Geschichte entwickelt haben, für die Kirche des 21. Jahrhunderts weiter zu vertreten und zu entfalten.» «Eigentlich», sagte Erwin Koller, Mitglied des Stiftungsrates: «Dies alles ist nicht neu und auch nicht revolutionär, viel eher müsste es selbstverständlich sein. Prophetisch wirkt es angesichts des Zustands der Kirche und ihrer Führung.»

Rehabilitierung gefordert

Die verborgene Kirche ist mit ihrer Besinnung auf die Wurzeln christlicher Gemeinschaft und ihrer gleichzeitigen Offenheit zu einem Beispiel geworden, wie der Weg der Kirche heute aussehen könnte. Umso dringlicher wäre das, was Hans Jorissen, Theologieprofessor aus Bonn, in seinem Festvortrag forderte, eine Rehabilitierung Felix Maria Davideks: «Die Wahrheit über die verborgene Kirche muss ans Licht kommen und sie wird siegen.»

Das ist nicht reine Zukunftsmusik. Die bis auf den letzten Platz gefüllte Donaucity-Kirche, die Anwesenheit von Menschen aus Tschechien, der Slowakei, Österreichs und der Schweiz, der immer wieder aufflammende Beifall, sie zeigten: An der Basis ist die Botschaft von der verborgenen Kirche angekommen. Vielleicht geschieht das Wunder, dass sie auch nach oben sickert.

Separat 1:

Priesterin und Generalvikarin

Eine besondere Note erhielt die Feier durch die Anwesenheit von Ludmila Javorova, die 1970 von Felix Davidek zur Priesterin geweiht wurde. In der kommunistischen Zeit wurden alle diese Weihen in höchster Verschwiegenheit vollzogen. Nach der Wende hielt Ludmila Javorova ihren Status als Priesterin noch während einigen Jahren vor der Öffentlichkeit verborgen, entschloss sich dann aber doch zu sprechen.

Das Rampenlicht sucht sie allerdings nicht. Für sie hat das Priestertum der Frau vor allem eine spirituelle Bedeutung. So wie sie in einem Interview sagte: «Anfangs war es für mich ein unglaublich sensibler Punkt, dass ein Mann mich, meine Berufung, vocatio, beurteilen sollte. Warum ein Mann? Daran hatte ich Jahre lang zu kauen. Das wurmt mich noch immer. Die Hierarchie erkennt die priesterliche Berufung bei einer Frau nicht an… Wie kann sich jemand erlauben, dem Heiligen Geist zu befehlen, was er darf und was nicht? Begreifen Sie, dass ich das als unglaubliche Kühnheit beachtet habe. Und ein Mann tritt damit vollkommen normal auf. Und das bis heute! Weibliches Priestertum existiert einfach nicht – Warum?»

Es war der ergreifendste Moment der Preisverleihung, als Ludmila Javorova in der Donaucity Kirche ans Mikrofon trat, und von ihrer Vision der Kirche als Volk Gottes sprach. Für sie ist sie es dann, wenn sie in der Zukunft verankert ist. Das habe sie auch zu Felix Davidek geführt: Dass bei ihm die Zukunft der Kirche praktisch gelebt wurde. Und auch das hat sie in der unterdrückten Kirche erfahren: dass Frauen und Männer auf eine gleiche Ebene gestellt wurden. «Ich empfinde heute tiefe Dankbarkeit für Gottes Führung, die uns im Glauben gestärkt und vertieft hat.»

Separat 2:

Walter Kirchschlägers biblischer Sukkurs

Auch der in Luzern wirkende Neutestamentler Walter Kirchschläger wurde mit dem Herbert Haag-Preis ausgezeichnet. «Denn», so heisst es in der Laudatio, «er ist ein Forscher und Gelehrter nicht nur in der Universität, sondern auch in der Öffentlichkeit von Kirche und Gesellschaft, und sein Blick richtet sich nicht nur auf die Tradition, sondern auch auf die Verpflichtung für die Zukunft, die aus ihr erwächst. Mit diesem Engagement ist er eine Stütze für Christen, denen eine Reform ihrer Kirche am Herzen liegt.»

Walter Kirchschläger ging in seiner Dankesrede auf die biblische Basis der Verborgenen Kirche ein. Er zeigte, wie die Freiheit zur zentralen Botschaft der Heiligen Schrift gehört. Dies führt nicht nur zum Ernstnehmen der vielfältigen Charismen, sondern auch zu einer vielfältigen Ausprägung kirchlicher Strukturen.

In der verborgenen Kirche sieht Walter Kirchschläger eine aktuelle Bestätigung dieses biblischen Befundes. Unter äusserster kommunistischer Bedrängnis, blüht ein kirchliches Biotop, das sich allein auf das Wirken des Geistes stützt und gerade dadurch zur lebendigen Gemeinschaft wird.

Sosehr die grosse Zeit der Verborgenen Kirche heute vorbei ist; ihre prophetische Dimension ist nach Kirchschläger nach wie vor massgebend: «Die subsidiäre Übertragung von Verantwortung für die Entfaltung von Strukturen auf regionaler Ebene und die sakramentale Beauftragung (also Weihe) zu Diensten in der Kirche ohne Ansehen von Geschlecht und Lebensstand, ohne Differenzierung also nach männlich und weiblich, ehelos oder verheiratet.»

Hinweis: Aus Anlass der Preisverleihung an die tschechoslowakische Untergrundkirche ist von Erwin Koller, Hans Küng und Peter Krizan ein Buch herausgegeben worden: «Die verratene Prophetie. Die tschechoslowakische Untergrundkirche zwischen Vatikan und Kommunismus.» (Edition Exodus, Luzern)

(kipa/J.O./am)

4. April 2011 | 17:53
Lesezeit: ca. 6 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!