Ein Herz und eine Seele:  Wladimir Putin bei einem Treffen mit Patriarch Kirill von Moskau. und ganz Russland.
International

Vom «Pakt gegen Christus» und der gescheiterten Papst-Mission

Patriarch Kyrill will Papst Franziskus nicht in Kasachstan im September treffen. Russland hat offensichtlich kein Interesse, mit dem Vatikan über einen Frieden in der Ukraine zu sprechen. Die Vermittlerrolle des Papstes scheint vorerst gescheitert.

Wolfgang Holz

Das war ein ziemlicher Paukenschlag. Zweifellos. Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. wird nicht am Weltreligionen-Kongress Mitte September in Kasachstan teilnehmen. Damit kommt es bei der interreligiösen Konferenz nicht zu der erhofften Begegnung von Papst Franziskus mit dem russisch-orthodoxen Kirchenoberhaupt, über die seit Wochen spekuliert wurde.

«Schwer zu sagen»

Die offizielle Begründung Moskaus für die Absage lautet: Ein Treffen zwischen Papst und Patriarch können wegen dessen besonderer Bedeutung «nicht am Rande» einer anderen Veranstaltung stattfinden. Ist das eine faule Ausrede oder was steckt wirklich dahinter?

Regina Elsner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS in Berlin. Sie kennt sich in der Russischen Orthodoxie bestens aus.
Regina Elsner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS in Berlin. Sie kennt sich in der Russischen Orthodoxie bestens aus.

«Es ist schwer zu sagen, was die Hintergründe für die Absage sind», erklärt Regina Elsner. «Auf jeden Fall kann man die Absage Kyrills so verstehen, dass er kein Interesse hat, mit Papst Franziskus über den Krieg in der Ukraine und über einen Frieden zu sprechen.» Man könne sich auch vorstellen, dass es im Vorfeld der geplanten Reise zu keiner Übereinstimmung auf ein gemeinsames Statement gekommen sei und man deshalb gleich das ganze Treffen abgesagt habe.

Profunde Kennerin der russisch-orthodoxen Kirche

Regina Elsner ist Theologin und seit September 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Osteuropa und internationale Studien (ZOiS) in Berlin. Die 43-Jährige ist eine profunde Kennerin der russisch-orthodoxen Kirche. In ihren Studien befasste sie sich unter anderem mit den historischen und theologischen Aspekten der russisch-orthodoxen Kirche mit der Moderne und schloss 2016 ihre Promotion zu diesem Thema ab.

Für den Frieden in der Ukraine: Schwester Christa Haslimann zündet im April 2022 in Einsiedeln eine Kerze mit Ölzweig-Motiv.
Für den Frieden in der Ukraine: Schwester Christa Haslimann zündet im April 2022 in Einsiedeln eine Kerze mit Ölzweig-Motiv.

Einerseits ist die deutsche Wissenschaftlerin aber auch froh, dass es zu diesem Treffen zwischen Papst und Patriarch nicht kommt. «Denn man hat bislang den Eindruck gewinnen können, dass Russland den Papst stets für seine Zwecke zu instrumentalisieren versucht hat. Rom wäre wohl auch dieses Mal im Fall eines Aufeinandertreffens von Moskau vereinnahmt worden», sagt Elsner. Nach dem Motto: Der Papst trifft den Patriarchen. Der Papst steht also auf der Seite Moskaus.

«Papst Franziskus kann weder einen Einfluss auf die russisch-orthodoxe Kirche nehmen, noch auf die russische Politik.»

Regina Elsner, Theologin

Andererseits verhehlt Elsner nicht, dass infolge dieser Absage Moskaus wohl die Vermittlerrolle des Papstes, der ja den furchtbaren Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich beenden will, damit gestorben ist. «Ja, das muss man schon sagen. Papst Franziskus kann weder einen Einfluss auf die russisch-orthodoxe Kirche nehmen, noch auf die russische Politik.» Eine gescheiterte Hoffnung.

Papst soll in die Ukraine reisen

Gleichwohl befürwortet die Theologin, dass Papst Franziskus nun in die Ukraine reist, um die Gläubigen, auch die Katholikinnen und Katholiken, sowie die orthodoxen Kirchen in der Ukraine zu unterstützen. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche hat sich ja mittlerweile von Moskau distanziert. «Die Gläubigen haben diesen Beistand verdient.»

Der russische Schriftsteller Michail Schischkin wirft der russisch-orthodoxen Kirche vor, das patriarchalisch autoritäre Russland zu decken.
Der russische Schriftsteller Michail Schischkin wirft der russisch-orthodoxen Kirche vor, das patriarchalisch autoritäre Russland zu decken.

Heisst das, dass die russisch-orthodoxe Kirche sich nun völlig von christlichen Werten wie Menschenwürde, Jesus Christus und Frieden ins Nirwana des Nihilismus verabschiedet hat? Gemäss einer jüngsten Publikation des russischen Schriftstellers Michael Schischkin in «reformiert.info» hat die Moskauer Kirche nämlich seit Jahrhunderten wichtigere Aufgaben, als Christus zu dienen.

«Die Moskauer Orthodoxie hat mit jeder Version des represssiven Staatsapparats einen Pakt gegen Christus geschlossen.»

Michail Schischkin, russischer Schriftsteller

«Sie leistete dem Zarenreich, das gegen alle Nachbarn Krieg führte, intellektuelle Unterstützung, die Orthodoxie bot sich als Kampfbanner an», so Schischkin, der in der Schweiz lebt. Die orthodoxe Kirche decke stets das patriarchale russische Machtsystem. Das hat sich offensichtlich auch mit Putin nicht geändert. Schischkin schreibt: «Die Moskauer Orthodoxie hat mit jeder Version des repressiven Staatsapparats einen Pakt gegen Christus geschlossen.»

«Es gibt auch progressive, pazifistische Strömungen»

Ganz so düster sieht Regina Elsner die Situation der russisch-orthodoxen Kirche nicht. «Man muss das etwas differenzieren, denn nicht die gesamte Orthodoxie ist inkompatibel in Bezug auf christlich-humanitäre Werte.» Es gebe auch progressive und auch pazifistische Strömungen in der Ostkirche. Auch an der Basis in Russland.

«Die Leitung der russisch-orthodoxen Kirche in Moskau ist insofern ein Sonderfall, als ihre Elite so kompromisslos ein autoritäres System und einen konkreten Krieg unterstützt.» Andererseits dürfe man nicht vergessen, so Elsner, dass es auch im Westen Meinungsführer gebe, die Moskaus Rolle als wahre Hüterin christlicher Werte den Rücken stärke.

Papst Franziskus spricht mit Kindern aus der Ukraine während der Audienz am 24. August 2022 im Vatikan.
Papst Franziskus spricht mit Kindern aus der Ukraine während der Audienz am 24. August 2022 im Vatikan.

Doch wenn der Papst keinen Frieden stiften kann in der Ukraine – wie soll es dann zum Frieden kommen? Regina Elsner sieht keinen Silberstreifen am Horizont. «Bislang ist zu erkennen gewesen, dass Russland nur an Waffenstillstandsgesprächen interessiert gewesen ist, wenn Moskau die Bedingungen diktieren kann.» Doch das sei nicht akzeptabel für die Ukraine. «Man kann sich dem Terror nicht ausliefern.»

«Es ist höchste Zeit, dass die freie Welt erkennt, dass sie gegen eine aggressive Macht kämpft.»

Michail Schischkin, Putin-Kritiker

Michail Schischkin malt dagegen bereits die Apokalpyse an die Wand. In einem aktuellen Artikel im «Guardian» beschwört er den Westen, bloss nicht den Krieg in der Ukraine zu vergessen.

Für den Frieden in Ukraine.
Für den Frieden in Ukraine.

Solange das Heilige Russland sein Territorium erfolgreich historisch ausdehnen konnte, habe der jeweilige politische Führer ohne Weiteres «seine Untertanen millionenfach abschlachten, Tausende von Kirchen zerstören und Priester hinrichten können». Siehe Stalin. Sobald der Führer jedoch militärisch gescheitert sei, habe sich das russische Volk von ihm abgewandt. Siehe Zar Nikolaus II. und Boris Jelzin.

Putin durch Eroberung der Krim legitimiert

Was Putin betrifft, habe sich dieser durch die Eroberung der Krim als Präsident legitimiert. Sollte er laut Schischkin jetzt in der Ukraine militärisch scheitern, könnte sein Nachfolger sich veranlasst sehen, taktische Atomwaffen einzusetzen. Im Kampf gegen die Welt. «Es ist höchste Zeit, dass die freie Welt erkennt, dass sie nicht gegen einen verrückt gewordenen Diktator kämpft, sondern gegen eine selbstständige, sich immer wieder selbstregenerierende, aggressive Macht.»

Quasi im Sinne Churchills, der Hitlers Niedergang erlebte, könne der Westen früher oder später nur noch mit Parolen wie «Blut, Schuften, Tränen und Schweiss» siegreich sein. 


Ein Herz und eine Seele: Wladimir Putin bei einem Treffen mit Patriarch Kirill von Moskau. und ganz Russland. | © Keystone Alexei Nikolsky
25. August 2022 | 18:35
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