Heilige Kuh in Indien
Schweiz

Veganer und Antispezisten setzen auf eine strenge Selbst-Ethik

Lausanne, 22.9.17 (kath.ch) Christliche Inhalte vermitteln die Veganer und Antispezisten mit ihren ethischen Forderungen nicht, in welchen sie radikaler sind als die Bibel. Eine Religion bilden diese beiden modernen Bewegung aber nicht, sagen ein Religionswissenschaftler und ein Antispezist.

Grégory Roth und Georges Scherrer

Der Begriff «Veganer» ist heute gebräuchlich. Die Veganer gehen immer wieder auf die Strasse. Zuletzt am Donnerstag in Zürich, wo eine Gruppe «Autonome Tierrechts AktivistInnen Zürich» vor einem Bratwurststand am Bellevue gegen den Verzehr von Tierfleisch protestierte.

Gewöhnungsbedürftig ist das Wort «Antispeziesismus». Anhänger dieser Bewegung machen keinen Unterschied zwischen den Lebewesen, also auch nicht zwischen Mensch und Tier. Beide sind gleichwertig. Antispezisten essen darum kein Tierfleisch. Wer Fleisch isst, ist in dieser Gedankenlogik ein Kannibale.

Wer Fleisch isst, ist in dieser Gedankenlogik ein Kannibale.

Handelt es sich bei diesem neuen Trend um ein religiöses Phänomen? Nein, sagt François Jaquet, Doktor der Antispezies-Philosophie. Der  Religionshistoriker Jean-François Mayer pflichtet ihm bei.

Auf Argumenten aufbauend

«Der Antispeziesismus ist keine Religion, da sie nicht an eine Form der Transzendenz gebunden ist», erläutert François Jaquet, der an der Universität Genf lehrt. In diese Lebensform würden philosophische Überzeugungen einfliessen, zum Beispiel, dass Tierschutz genauso wichtig ist wie das Wohlergehen der Menschen. Die Überzeugungen seien jedoch nicht religiös begründet, «weil sie durch Argumente gestützt werden».

Veganismus ist ein Lebensstil, Antispeziesismus eine Philosophie

Religion definiert sich gemäss Jean-François Mayer als «eine Reihe von Überzeugungen und Riten, über welche sich eine Gemeinschaft von Menschen in Verbindung mit einer höheren Dimension bringt und Antworten zum Ursprung und Schicksal des Seins gibt». Trotz absoluter Aussagen beinhalte der Antispeziesismus jedoch keine Übergangs-Riten oder Erklärungen zum Sein und Werden des Lebens. Bei Treffen von Antispezisten werde zudem sehr schnell klar, dass die Religion keine Rolle spiele. Der Antispeziesismus wie auch der Veganismus finde vor allem in nicht religiösen Kreisen Gefallen.

Eine philosophische Vision

Die Kirchen dürften die Entwicklung dieser Bewegung jedoch nicht unterschätzen, warnt der Religionshistoriker Jean-François Mayer. Bisher gaben die Religionen die Moral vor. Jetzt kämen Menschen mit höheren Ansprüchen an die Moral. Sie orientierten sich an philosophischen Grundsätzen, die völlig losgelöst seien vom Christentum. In der säkularen Gesellschaft nähmen diese Bewegungen kein Mauerblümchendasein ein.

Wir befinden uns zwischen Ideal und Wirklichkeit.

«Wenn Veganismus der Lebensstil ist, bei dem auf den Verzehr von tierischen Produkten verzichtet wird, dann ist der Antispeziesismus eine Philosophie», erklärt François Jaquet. Laut dem Genfer Philosoph, der selber zur Bewegung des Antispeziesismus gehört, sei eine Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Art (Spezies) nicht gerechtfertigt. Einem Tier dürfe kein Schmerz zugefügt werden. Es gehe auch nicht an, sie zur «Befriedigung von Gaumenfreuden» zu töten.

Eine störende Arten-Hierarchie

An der in der jüdisch-christlichen Tradition eingeschriebenen und von der Bibel verbreiteten Hierarchie von Mensch und Tier stossen sich Antispezisten. So schreibt ein weiterer Anhänger des Antispeziesismus, der französische Autor Aymeric Caron, dass viele Menschen aus dem 1. Buch der Bibel, der «Genesis» ableiten würden, dass die christliche Botschaft eine Botschaft der Dominanz der Natur ist. Andere würden in diesem Zusammenhang von einer weisen und verantwortungsvollen Naturbewirtschaftung unter Gottes Blick sprechen, «weil sie wissen, dass wir nur Verwalter der Erde sind».

«Wenn in Genesis von der Natur gesprochen wird, die dem Menschen zur Verfügung gestellt wird, dann ist das Problem, wie sie genutzt werden soll. Wir befinden uns zwischen Ideal und Wirklichkeit», meint Jean-François Mayer. Für die Antispezisten-Bewegung, die seit 2010 an Boden gewinne, seien Mensch und Tier jedoch absolut gleichgestellt.

Wir marschieren für das Ende des Speziesismus.

Die Forderung nach dem Recht auf Leben für «fühlende Wesen» breite sich aus, unterstreicht Jean-François Mayer. Gleichzeitig wachse aber bei vielen Menschen das Bewusstsein, dass sie Sorge zur Umwelt und ihrem Planeten tragen müssen. Gemäss Mayer stehe eine gewisse Anzahl der Antispezisten der Ökologie skeptisch gegenüber.

«Missionare einer grossen Sache»

«Wir marschieren gegen den Rassismus, wir marschieren gegen den Sexismus, also marschieren wir für das Ende des Speziesismus», heisst ein Slogan der Antispezisten in der Schweiz. Diese sehen sich als «Missionare einer grossen Sache», stellt der Religions-Spezialist fest. Die Antispezisten strebten eine neue Welt an, in welcher der Speziesismus überwunden ist.

Ihr Ziel sei es, eine Tages die «Interessen einzelner Individuen unabhängig von ihrer Art zu verteidigen». Das gelte nicht nur für Einzelfälle. Der Antispezist François Jaquet möchte das gesellschaftliche System über Gesetzesänderungen ändern. Er denkt auch an den Ersatz von natürlichem Fleisch durch Kunst-Fleisch, so genanntem «In-vitro-Fleisch».

Christ und gleichzeitig Antispezist?

Wäre es möglich, gleichzeitig Christ und Antispezist zu sein? «Vegetarische (solche, die Produkte von lebenden Tieren zu sich nehmen, die Red) oder vegane Christen existieren in sozialen Netzwerken», sagt Jean-François Mayer. Christlicher Vegetarismus sei nicht neu. Schon im 19. Jahrhundert hätten manche gesagt, Christus sei Vegetarier gewesen. Einschränkungen bei der Nahrungsauswahl würden in verschiedenen Religionen als Weg zur «asketischen Vollkommenheit» angesehen.

Tieropfer hat es in verschiedenen Religionen gegeben.

In der klösterlichen Tradition wurde gemäss Mayer der Fleischkonsum aus zwei Gründen gebremst. Eine Ansicht war, dass eine weniger fleischige Nahrung weniger zur «Entzündung der Leidenschaften» beitragen würde. Andererseits entsprach der Verzichtsentscheid der Idee der «Harmonie mit Umwelt, Natur und Tierreich». Im Hintergrund spielte gemäss Mayer die biblische Vorstellung einer messianischen Zeit mit, in welcher der Löwe beim Lamm liegt.

Dieser Wunsch nach einer friedlichen Beziehung zur Natur habe aber «nie damit zu tun, dass der Mensch wie ein Tier ist», sagt Jean-François Mayer. Die Frage nach dem ewigen Heil und der Seele sei nur eine Sache des Menschen. Tieropfer habe es in verschiedenen Religionen gegeben. (cath.ch/Übersetzung: gs)

 

 

Heilige Kuh in Indien | © pixabay DEZALB CC0
22. September 2017 | 10:14
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Ein neues Phänomen

Der Begriff «Specism» wurde gemäss François Jaquet erstmals 1970 vom Psychologen Richard Ryder benutzt. In Frankreich hat sich die Strömung in Form einer Befreiungsbewegung in links-politischen Kreisen etabliert, erklärt Jean-François Mayer, und sie gliedert sich in eine Strömung ein, welche die Abschaffung von Sklaverei, Rassismus und Sexismus auf ihr Banner schreibt. Mayer weist auf die Antispezisten-Hefte (»Cahiers antispécistes») hin, die in den 1990er Jahren erschienen. wurden. Die Tierbefreiungsbewegung war zu dieser Zeit marginal. Sie interessierte sich nicht aus religiösen Gründen für die Beziehung von Mensch und Tier, sondern aus philosophischen Überlegungen.

Die Bewegung ist gemäss Mayer nicht organisiert, sondern bestehe aus verschiedenen Segmenten. Dazu gehören Autoren oder Verbände, die unterschiedliche Ziele verfolgen. Diese kommen etwa in Schockvideos über Schlachthöfe zur Sprache. Andere spezialisieren sich auf Tierrechtsfragen. Die Meinungen würden aber bei politischen Orientierungen und auch bezüglich der Abtreibung auseinander gehen. (kath.ch/gs)