Vatikan-Vertreter in Genf: Das ökumenische Gespräch mit der russisch-orthodoxen Kirche fortsetzen

Andrzej Choromanski hat in Genf als Vatikan-Beobachter an der Sitzung des Weltkirchenrats teilgenommen. Über ein mögliches Treffen von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill in Kasachstan sagt Choromanski: «Franziskus tut alles, um zur Lösung des Konflikts beizutragen.»

Raphael Rauch

Der Weltkirchenrat hat beschlossen, die russisch-orthodoxe Kirche nicht zu sanktionieren. Wie beurteilen Sie das als Beobachter des Vatikans?

Andrzej Choromanski*: Ich habe die Diskussion in Genf so wahrgenommen: Wir sollten unbedingt das Gespräch fortsetzen. Dafür brauchen wir die russisch-orthodoxe Kirche am Tisch des ökumenischen Gesprächs. Der Ausschluss oder eine Suspendierung der Mitgliedschaft ist keine Option. Als Beobachter im Weltkirchenrat begrüsse ich diese Entscheidung.

Andrzej Choromanski im Zoom-Interview mit kath.ch-Redaktionsleiter Raphael Rauch.
Andrzej Choromanski im Zoom-Interview mit kath.ch-Redaktionsleiter Raphael Rauch.

Wie ist die russisch-orthodoxe Kirche in Genf aufgetreten? Hat sie wie Patriarch Kyrill den Krieg legitimiert und metaphysisch überhöht?

Choromanski: Die russischen Delegierten haben in Genf einen kurzen Kommentar abgegeben. Sie sagten, die Behauptung von manchen Journalisten müsse besser analysiert werden, wonach Moskau den Konflikt theologisch rechtfertige. Manchmal seien die Urteile der Journalisten zu einseitig oder zu vereinfachend. Für mich steht fest: Kein Christ kann diesen Krieg theologisch rechtfertigen. Rechtfertigen können wir nur, dass sich ein Volk gegen einen Angriffskrieg wehrt.

Andrzej Choromanski ist beim Weltkirchenrat Beobachter des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.
Andrzej Choromanski ist beim Weltkirchenrat Beobachter des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.

Sie stammen aus Polen. Berührt Sie der Konflikt mit der Ukraine besonders?

Choromanski: Ich bin dankbar, dass mein Heimatland so viel für die Menschen macht, die aus der Ukraine in Polen ankommen. Millionen Menschen sind auf der Flucht und suchen mit ihren Familien Schutz. Natürlich weckt das auch Erinnerungen an früher – etwa daran, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist. Es ist einfach nur schrecklich: So wie früher müssen Menschen ihre Heimat verlassen. Frauen und Kinder bangen um das Leben ihrer Ehemänner und Väter.

Papst Franziskus bekreuzigt sich beim Gottesdienst zu Pfingsten am 5. Juni 2022 im Petersdom im Vatikan.
Papst Franziskus bekreuzigt sich beim Gottesdienst zu Pfingsten am 5. Juni 2022 im Petersdom im Vatikan.

Sind Sie mit einer offiziellen Botschaft des Papstes oder von Kurienkardinal Kurt Koch angereist?

Choromanski: Nein. Die katholische Kirche ist nicht Mitglied des Weltkirchenrates. Ich bin hier als Beobachter. Mit meiner Präsenz bringen wir unsere Wertschätzung und Unterstützung der Arbeit des Weltkirchenrats zum Ausdruck. 

«Die Begegnung in Kasachstan ist ein Wunsch des Heiligen Vaters.»

Papst Franziskus hat angekündigt, im September Patriarch Kyrill in Kasachstan treffen zu wollen. Ein Treffen im Juni in Jerusalem indes hat Franziskus abgesagt. Was hat sich geändert?

Choromanski: Ich weiss auch nur das, was in den Medien steht. Die Koordination dieser Treffen fällt in die Zuständigkeit des Staatssekretariats. Die Begegnung in Kasachstan ist ein Wunsch des Heiligen Vaters. Sie ist aber noch nicht offiziell vom Heiligen Stuhl angekündigt worden. 

Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. Hier bei einem Treffen in Havanna, 2016.
Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. Hier bei einem Treffen in Havanna, 2016.

Wie kann verhindert werden, dass Kyrill das Treffen einseitig instrumentalisiert? Bilder, die eine Umarmung von Kyrill und Franziskus zeigen, könnten ein falsches Signal senden.

Choromanski: Franziskus tut alles, um zur Lösung des Konflikts beizutragen. Wenn ein Treffen mit Kyrill dazu dient, den Frieden zu fördern und Menschenleben zu retten, ist das sehr zu begrüssen. 

«Wir sprechen nicht die Sprache der Politik.»

Bedauern Sie, dass es im ökumenischen Dialog mit Moskau gerade um geopolitische Streitfragen geht – und nicht um theologische?

Choromanski: Ich habe eine andere Wahrnehmung. Wir treffen uns hier in Genf als Christinnen und Christen und sprechen in der Sprache unseres Glaubens. Wir sprechen die Sprache der Theologie. Natürlich geht es auch um aktuelle Themen. Doch auch hier nehmen wir eine theologische Perspektive ein. Wir sprechen nicht die Sprache der Politik.

Der russische Präsident Wladimir Putin bei Papst Franziskus, 10. Juni 2015.
Der russische Präsident Wladimir Putin bei Papst Franziskus, 10. Juni 2015.

Aber Franziskus hat doch selbst nach dem Zoom-Gespräch mit Patriarch Kyrill gesagt, dieser spreche wie ein Staatskleriker und müsse aufpassen, nicht Putins Ministrant zu werden.

Choromanski: Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir eine theologische Perspektive einnehmen. Der Heilige Vater hat klargestellt: «Wir sind doch nicht Kleriker des Staates, sondern wir sind Hirten des Volkes und haben deshalb keine andere Botschaft als diejenige, diesen Krieg zu beenden.» Hier geht es um die Friedensbotschaft aus dem Evangelium heraus, nicht um Politik. Der Heilige Vater spricht als Hirte, nicht als Staatsmann. Und so sehe ich auch die ökumenische Bewegung.

«Unsere Delegation ist vielfältig und repräsentativ für die katholische Weltkirche.»

Der Weltkirchenrat lädt im August nach Karlsruhe ein. Was bedeutet das Treffen aus katholischer Sicht?

Choromanski: Die katholische Kirche entsendet seit 1961 eine offizielle Delegation zu den Vollversammlungen des Weltkirchenrats. Für Karlsruhe ist geplant, dass 20 Vertreterinnen und Vertreter Teil der Delegation sind. Sie wird von Kardinal Koch geleitet und besteht aus dem Kardinal, aus Bischöfen, Priestern und Laiinnen und Laien aus der ganzen Welt. Unsere Delegation ist vielfältig und repräsentativ für die katholische Weltkirche.

Papst Franziskus 2018 in Genf zwischen Olav Fykse Tveit (l.) und Agnes Abuom. Kardinal Kurt Koch rechts im Bild.
Papst Franziskus 2018 in Genf zwischen Olav Fykse Tveit (l.) und Agnes Abuom. Kardinal Kurt Koch rechts im Bild.

Und was wird die Botschaft für Karlsruhe sein?

Choromanski: Wir alle sind Teil der ökumenischen Bewegung. Es gibt keine verschiedenen ökumenischen Bewegungen – eine im Vatikan, eine im Weltkirchenrat, eine woanders. Sondern wir alle sind Teil des Ganzen. Jesus will, dass wir Christinnen und Christen eins sind. Dafür arbeiten wir. Und in diese Richtung dürfte auch die Botschaft des Heiligen Vaters sein, die wir nach Karlsruhe mitbringen werden.

«Es geht auch um militärische Konflikte, humanitäre Notlagen, die Herausforderungen des Klimawandels.»

Was halten Sie vom «Statement of Unity», das der Weltkirchenrat in Genf verabschiedet hat?

Choromanski: Das «Statement of Unity» unterstreicht die sichtbare Einheit aller Christinnen und Christen. Diese Einheit ist das Hauptziel der ökumenischen Bewegung. Doch es geht auch ums Handeln im Hier und Jetzt. Es gibt viele Konflikte auf der Welt – nicht nur in der Ukraine: militärische Konflikte, humanitäre Notlagen, die Herausforderungen des Klimawandels. All diese Aspekte werden im «Statement of Unity» angesprochen. Ich denke, es ist eine gute Botschaft.

* Der polnische Priester Andrzej Choromanski ist die rechte Hand des vatikanischen Ökumene-Ministers Kurt Koch: Choromanski koordiniert im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen die multilateralen ökumenische Initiativen.


19. Juni 2022 | 07:35
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