Urs Brosi
Schweiz

Urs Brosi: Diplomat und «Hardcore-Vertreter des dualen Systems»

Der Kirchenrechtler Urs Brosi (56) soll neuer RKZ-Generalsekretär werden. «Zum dualen System gehört, dass wir den Bischöfen manchmal auf die Füsse treten müssen», sagt er im kath.ch-Interview. Sein Naturell beschreibt er als «eher zögernd-abwägend».

Raphael Rauch

Warum wollen Sie Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ) werden?

Urs Brosi*: Mich motiviert die Herausforderung, auf nationaler Ebene tätig zu werden. Ich schätze die Aufgabe, die ich als Generalsekretär der Landeskirche im Thurgau habe. Es gibt für mich keinen Grund, wegzulaufen. Im Sommer werden es 14 Jahre im Thurgau, ich werde dieses Jahr 57. Das ist lebensbiographisch ein guter Zeitpunkt, um beruflich etwas Neues anzufangen – und vielleicht auch der letzte.

«Ich bin keiner, der alle paar Minuten mit etwas Neuem kommt.»

Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Brosi: Ich bin vom Typ her einer, der abwägt und versucht, strategisch-weitsichtig zu denken. Aus meinem Umfeld höre ich, dass ich den Menschen Sicherheit und Stabilität vermittle. Ich bin keiner, der alle paar Minuten mit etwas Neuem kommt. Und fachlich wäre Theologe mit kirchenrechtlichem Fokus eine gute Beschreibung. 

Armeeseelsorger spricht mit Armeeangehörigem.
Armeeseelsorger spricht mit Armeeangehörigem.

Ist Ihre Erfahrung als Armeeseelsorger hilfreich fürs neue Amt?

Brosi: Aus meiner Zeit als Armee-Seelsorger nehme ich ein Defizit mit, zu dem ich stehe: meine nicht-genügende Französisch-Kompetenz. Ansonsten habe ich bei der Armee gelernt: Es ist nicht nur die Vorbereitung. Man muss auch den Augenblick packen, hinstehen und etwas sagen. Vom Naturell her bin ich eher zögernd-abwägend. Wichtiger als die beste Vorbereitung ist aber oft der richtige Moment.

«Ich war sehr gern Seelsorger, auch wenn ich zum Teil darunter gelitten habe.»

Sie waren nach Ihrem Theologie-Studium als Pastoralassistent tätig. Warum haben Sie sich gegen eine Karriere im Bistum Basel entschieden?

Brosi: Das war keine bewusste Entscheidung gegen die Arbeit in der Pfarrei – sondern eher Ergebnis der kirchenrechtlichen Spezialisierung. Ich war in Bern vier Jahre Pastoralassistent und ging dann nach Münster, um Kirchenrecht zu studieren. Danach war ich nochmals eineinhalb Jahre Pastoralassistent. Und dann kam die Möglichkeit, als wissenschaftlicher Assistent an der Uni Luzern zu arbeiten. Ich war sehr gern Seelsorger, auch wenn ich zum Teil darunter gelitten habe.

Katholisches Kirchenrecht
Katholisches Kirchenrecht

Warum?

Brosi: Die Menschen gehen nicht mehr wegen der Sonntagspflicht in die Kirche. Wenn man predigt und versucht, etwas Gutes zu sagen, dann hören die Menschen einem tatsächlich auch zu.

Das ist doch wunderbar.

Brosi: Ich habe es auch als belastend empfunden. Was kann ich armer Bettler den Menschen geistlich an Nahrung geben, was sie wirklich reich machen würde? Es ist natürlich schön, wenn Menschen zu einem kommen und sagen: Das und das, was ich vor Jahren mal gesagt habe, hat geholfen. Aber mich hat das auch belastet. 

Papst Franziskus empfängt die Bischöfe der Schweiz 2021 im Vatikan.
Papst Franziskus empfängt die Bischöfe der Schweiz 2021 im Vatikan.

Sie haben im letzten Sommer sich klar von der Bischofskonferenz abgegrenzt: Diese sei keine attraktive Arbeitgeberin. Warum ist die RKZ attraktiver?

Brosi: Was mir bei der RKZ gut gefällt: Trotz unterschiedlicher Positionen und unterschiedlicher Kulturen können wir uns zusammenraufen, etwas gemeinsam bewegen und mit einer Stimme auftreten.

«Wie funktioniert das System der Kirchenfinanzierung?»

Was wollen Sie inhaltlich bei der RKZ erreichen?

Brosi: Darüber können wir uns gerne nach meiner Wahl unterhalten. Ich möchte der Wahl nicht vorgreifen. Ohnehin kann man nur einen Teil aktiv gestalten. Meine Erfahrung lehrt mich: Der grössere Teil der Themen kommt fremdbestimmt auf einen zu. Was aber kein Geheimnis ist: Die RKZ und die Evangelisch-Reformierte Kirche Schweiz haben eine Studie zur Zukunft der Kirchensteuer erstellt, um abzuschätzen, wie sich die Kirchensteuer entwickeln wird. Die Studie wird dieses Jahr vorgestellt. Wir müssen uns überlegen: Wie funktioniert das System der Kirchenfinanzierung? Wie können wir die Mittel möglichst effizient einsetzen?

Urs Brosi, Generalsekretär der Landeskirche Thurgau, 2018 in Rom.
Urs Brosi, Generalsekretär der Landeskirche Thurgau, 2018 in Rom.

Es gibt verschiedene Perspektiven auf das duale System. Wie sieht Ihre aus?

Brosi: Diese Woche gebe ich eine Fortbildung für Jugendarbeitende. Ich versuche zu zeigen: Die kirchenrechtlichen und die staatskirchenrechtlichen Organe greifen nicht einfach wie Zahnräder in einem Uhrwerk sauber ineinander. Man muss versuchen, aus dem jeweiligen Blickwinkel heraus die Interessen zu verstehen. Was ist die Optik eines Bischofs oder eines Pfarreiteams, was ist jene der Körperschaften? Um die beiden Seiten zu verzahnen, braucht es entsprechend viel Toleranz. 

«Das duale System ist keine Zwangsjacke, wie Martin Grichting das behauptet.»

Und wie schafft man das?

Brosi: Indem man versucht, beide Seiten zu verstehen und mitzuhelfen, dass die Struktur verträglich bleibt. Ich bin keiner, der behauptet, die Bischöfe sollten wie die Queen einfach abnicken, was ihr diktiert wird – so hat Kurt Koch das duale System ja mal beschrieben. Und das duale System ist keine Zwangsjacke, wie Martin Grichting das behauptet. Ich sehe das duale System als Chance. Gerade die Missbrauchs-Thematik zeigt, dass vieles im Rechtssystem der katholischen Kirche unterentwickelt ist. Dass wir eine Parallelstruktur haben, ist nicht ideal – aber welche Struktur ist schon ideal? Dank des dualen Systems sind wir bezüglich der Entwicklung des Rechts in einer moderneren Zeit angekommen. Das ist für die Kirche etwas, was nutzbringend sein kann.

RKZ-Fokus 2019: Daniel Kosch und Charles Martig im Gespräch mit Urs Brosi (von links).
RKZ-Fokus 2019: Daniel Kosch und Charles Martig im Gespräch mit Urs Brosi (von links).

Sehen Sie sich als Brückenbauer?

Brosi: Ich mich schon (lacht). Aber wenn Sie den für den Thurgau zuständigen Bischofsvikar fragen, würde der vielleicht sagen: Ich bin kein sonderlich angenehmer Brückenbauer. Manchmal muss man auch mit Druck operieren: «Wenn ihr nicht reagieren wollt, dann haben auch wir unsere Machtmittel.» Es gehört zum dualen System, dass wir den Bischöfen manchmal auf die Füsse treten müssen. Von daher kann ich mir vorstellen, dass ich als Hardcore-Vertreter des dualen Systems wahrgenommen werde und nicht als ganz pflegeleicht gelte. Aber ich finde: Wir haben etwas Systemisches für die Kirche zu bieten.

«Die Kirche hat Defizite: sei es im Bereich Arbeitsrecht und transparente Finanzen.»

Was heisst das konkret?

Brosi: Es geht um Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Gestaltung. Es ist für die katholische Kirche in der Schweiz ein Gewinn, dass wir das duale System haben. Und ich wäre froh, wenn die Kirche das nicht als Einschränkung sehen würde, sondern sagen würde: Diese Struktur bringt uns weiter und hilft uns, Dinge zu regeln, wo die Kirche Defizite hat: sei es im Bereich Arbeitsrecht und transparente Finanzen, sei es im Bereich der Gleichberechtigung, demokratische Prozesse, Gewaltentrennung und Aufsichtsfunktionen.

Brainstorming zur Synodalität beim RKZ-Fokus in Bern im September 2021.
Brainstorming zur Synodalität beim RKZ-Fokus in Bern im September 2021.

Was machen Sie als Diözesanrichter?

Brosi: Fast ausschliesslich Ehenichtigkeitsverfahren. Einmal war ich bei einem Strafverfahren dabei. Seit 1999 bin ich Diözesanrichter und seit Anfang 2021 bin ich Vernehmungsrichter für Thurgau und Schaffhausen. Das bedeutet, dass ich Befragungen durchführe. Das finde ich die spannendere Aufgabe: mit den Menschen, um die es geht, ein gutes Gespräch zu führen.

* Urs Brosi (56) ist Generalsekretär der Landeskirche Thurgau. Das RKZ-Präsidium hat ihn als Nachfolger von RKZ-Generalsekretär Daniel Kosch vorgeschlagen. Die Wahl soll am 25. oder 26. März 2022 stattfinden. Brosi soll das Amt im November 2022 antreten, teilte die RKZ mit.


Urs Brosi | © zVg
11. Januar 2022 | 00:32
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