Urs Brosi
Schweiz

Urs Brosi: Die Bischöfe könnten Priestern die Geldstrafe in Rechnung stellen

Papst Franziskus hat das kirchliche Strafrecht reformiert. Es sieht künftig auch Geldstrafen vor. Wie können aber Priester bestraft werden, die nicht beim Bistum angestellt sind – sondern bei den Kirchgemeinden? Urs Brosi schätzt die Möglichkeiten ein.

Raphael Rauch

Mit der Reform des kirchlichen Strafrechts hat Papst Franziskus die Möglichkeiten eingeführt, Geldstrafen zu verhängen. Weshalb geschah dies?

Urs Brosi*: Das Strafrecht sah bisher vor allem vergleichsweise harte Strafen vor: Exkommunikation und Suspension. Es fehlte die Möglichkeit, geringfügige Straftaten mit einer milden Strafe zu sanktionieren. Im niederschwelligen Bereich kannte das Strafrecht bislang nur die Verwarnung, den Verweis und verschiedene Formen von geistlichen oder finanziellen Bussen, die als Ersatz für Strafen verstanden wurden.

«Mit der Einführung der Geldstrafe soll das kirchliche Strafrecht mehr Biss bekommen.»

Worauf will der Vatikan hinaus?

Brosi: Mit der Einführung der Geldstrafe soll das kirchliche Strafrecht mehr Biss bekommen. Auch wenn die Geldstrafen vom Gesetzestext her nicht auf Priester und andere kirchliche Mitarbeitende eingeschränkt werden, so ist doch klar, dass vor allem sie im Fokus stehen. Die Geldstrafen entsprechen somit ungefähr den Disziplinarmassnahmen, die für Mitarbeitende im öffentlichen Dienst gelten.

Wie wird das umgesetzt?

Brosi: Die Bischofskonferenzen müssen für ihr Gebiet eine Ordnung erlassen, die für bestimmte Straftaten die maximale Höhe der Geldstrafe vorgibt. Denn im neuen Kanon 1336 § 2 n. 2 steht, dass die Geldstrafe «nach den von der Bischofskonferenz festzulegenden Ordnungen» zu zahlen sind. Dies scheint mir vernünftig zu sein, denn erstens ist ein verlässlicher Rechtsrahmen gerade im Strafrecht zentral, zweitens ist die finanzielle Leistungskraft von kirchlichen Mitarbeitenden je nach Land sehr verschieden – in der Schweiz sogar je nach Kanton.

Wird der Bischof die Geldstrafe vom Lohn abziehen?

Brosi: Da in der Deutschschweiz die meisten kirchlichen Mitarbeitenden im Sold einer Kirchgemeinde oder einer Kantonalkirche stehen, ist dies kaum möglich.

«Eine Behörde der Kantonalkirche müsste prüfen, ob im kirchlichen Strafverfahren die Standards des weltlichen Rechts eingehalten wurden.»

Könnte der Bischof von der anstellenden Behörde verlangen, dass diese den Abzug stellvertretend vornimmt?

Brosi: Juristisch wäre dies recht anspruchsvoll. Zuerst bräuchte es dazu eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage im kantonalkirchlichen Recht – ein allgemeiner Verweis auf die Anerkennung des kanonischen Rechts genügt nicht. Im konkreten Fall bräuchte es sodann einen rechtskräftig gewordenen Strafbefehl des Bischofs oder ein rechtskräftig gewordenes Strafurteil des Diözesangerichts, die in einem nachweislich fairen Verfahren zustande gekommen sind. Eine Behörde der Kantonalkirche müsste prüfen, ob im kirchlichen Strafverfahren die Standards eingehalten wurden, die im weltlichen Recht unabdingbar sind – also die Verfahrensgarantien der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die Idee, der Bischof könnte zur Strafe einfach den Lohn kürzen, geht in der Schweiz also nicht?

Brosi: Das revidierte Strafrecht sieht gar nicht vor, dass der Bischof die Strafe vom Gehalt abzieht. Er kann dem zu strafenden Kleriker oder der Mitarbeiterin zusammen mit dem Strafbefehl auch einfach eine Rechnung schicken.

«Hier wird aus meiner Sicht die Schwäche des kirchlichen Strafrechts sichtbar.»

Und was geschieht, wenn die Rechnung nicht bezahlt wird?

Brosi: Hier wird aus meiner Sicht die Schwäche des kirchlichen Strafrechts sichtbar. Damit meine ich, dass die Kirche ihr eigenes, kircheninternes Normsystem kaum durchsetzen kann. Sie verfügt über keine Zwangsmittel und erhält vom modernen Rechtsstaat auch keine spezifische Unterstützung dazu. Im Mittelalter wurde vom «weltlichen Arm» (bracchium saeculare) gesprochen, wenn die weltliche Gerichtsbarkeit die kirchlichen Urteile vollstreckte. Heute bleibt der Kirche – gleich wie einem Verein – vor allem das Instrument des Ausschlusses (Exkommunikation), das im religiösen Verständnis mit dem Verlust des Seelenheils einhergeht.

Finanzielle Probleme beschäftigen Angehörige von Inhaftierten.
Finanzielle Probleme beschäftigen Angehörige von Inhaftierten.

Wäre eine Exkommunikation angemessen?

Brosi: Würde die Kirchenleitung einen Straftäter, der die Geldstrafe nicht bezahlt, suspendieren (Einschränkung in der Amtsausübung) oder gar exkommunizieren (Kirchenausschluss), schösse sie mit Kanonen auf Spatzen. Wollte der Bischof aber einfach mit einem staatlichen Betreibungsbegehren das Strafgeld eintreiben, so müsste er, wenn die zu strafende Person Rechtsvorschlag erhöbe, den Beweis antreten, dass er in den Augen des Staates ein Gläubiger ist, der Anspruch auf die Zahlung der Schuld hat. Und ich denke, wir können erahnen, wie die Gerichte entscheiden würden.

Ist das neue Strafrecht ein Thema, über das die Schweizer Bischofskonferenz und die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz sprechen sollten? Oder betrifft das nur die Offizialate der Bistümer?

Brosi: Bislang erkenne ich keinen Bedarf für ein solches Gespräch. Sollte aber die Bischofskonferenz im Zusammenhang mit der Strafordnung, die sie nun für die Geldstrafen zu erstellen hat, die Erwartung äussern, dass Geldstrafen vom Lohn abzuziehen sind, so müssten wir in der Tat miteinander ins Gespräch kommen.

* Der Theologe und Kirchenrechtler Urs Brosi (56) ist Generalsekretär der Katholischen Landeskirche Thurgau.

Zürcher Kantonalkirche: Die Bischöfe können uns keine Auflagen machen

Zu einer ähnlichen Einschätzung wie Urs Brosi kommt die Zürcher Kantonalkirche. Andreas Hubli ist Bereichsleiter Personal und teilt kath.ch mit:

«Der Lohn von Priestern und Diakonen und der übrigen kirchlichen Angestellten wird durch die Arbeitgeberin nach Massgabe der staatskirchenrechtlichen und der staatlichen Bestimmungen ausgerichtet.

Für einen ganzen oder teilweisen Entzug von Gehaltsansprüchen im Zusammenhang mit einem innerkirchlichen Verfahren fehlt die gesetzliche Grundlage in der Anstellungsordnung oder in einem anderen staatskirchenrechtlichen oder staatlichen Rechtserlass.

Weder die RKZ noch die Bischofskonferenz können den Kantonalkirchen verbindliche Auflagen machen, wie diese ihr Anstellungsrecht zu gestalten haben. Das liegt in der Kompetenz der jeweiligen Kantonalkirchen, in gewissen Kantonen sogar bei den Kirchgemeinden.

Ein ‹Deal› zwischen RKZ und Bischofskonferenz hätte somit rechtlich keine Wirkung.»

Allerdings könnten die Bischöfe etwa mit dem Entzug einer Missio Druck auf die Kantonalkirchen machen. (rr)


Urs Brosi | © zVg
5. Juni 2021 | 10:35
Lesezeit: ca. 4 Min.
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Wo sind Priester und Seelsorgende angestellt?

Die Priester und die anderen Seelsorgerinnen und Seelsorger sind in der Deutschschweiz nicht bei den Bistümern angestellt, sondern meist bei den Kirchgemeinden. Die Kantonalkirchen stellen in der Regel jene Personen an, die in der Spezialseelsorge tätig sind, etwa in Spitälern, Gefängnissen und im Asylwesen, bei den Missionen und auf Fachstellen. Nur in einigen wenigen Kantonen laufen die Anstellungen des Seelsorgepersonals über die Kantonalkirche (Basel-Stadt, Bern und Waadt). In etlichen Kantonen geben die Kantonalkirchen aber die Anstellungs- und Besoldungsordnung vor, nach der die Kirchgemeinden ihre Anstellungen tätigen müssen. (rr)