Rorate-Premiere auf dem Julierpass
Schweiz

Trotz Glatteis und Unfall: Grandiose Rorate-Premiere auf dem Julier

Julierpass, 4.12.18 (kath.ch) Glück im Unglück hatten die Sänger eines Rorate-Konzertes auf dem Julierpass. Wegen Glatteis kam ihr Auto von der Strasse ab und überschlug sich. Den Sängern passierte nichts – die Premiere fand nach Plan statt. Und wurde zu einem grandiosen Erlebnis.

Raphael Rauch

Advent heisst Ankunft. Doch die Ankunft der Sänger der «Rorate»-Premiere auf dem Julierpass in Graubünden verzögerte sich zunächst. Um sechs Uhr morgens wollten sie noch einmal proben, doch ein Unfall brachte den Zeitplan durcheinander. Wegen Glatteis kam das Auto von der Strasse ab und überschlug sich. Die Sänger blieben unverletzt.

Giovanni Netzer leitet das Bündner Kulturfestival «Origen». Als er von dem Unfall erfuhr, brach er sofort zur Unfallstelle auf, um nach den Sängern zu schauen. «Ihr müsst nicht die Helden spielen», sagte er – und bot an, das Konzert abzusagen.

Singen als Befreiung

Doch die Sänger bestanden darauf, die Premiere durchzuziehen. «Der Unfall hat uns etwas geschockt, aber für uns war klar: Wir werden singen», berichtete Sönke Tams Freier. Sein Kollege Grégoire May sagte nach der Premiere: «Es war gut, dass wir gesungen haben. So waren wir abgelenkt und haben nicht zu viel darüber nachgedacht, was alles hätte passieren können.»

Giovanni Netzer erlebte das Rorate-Konzert nachdenklich: «Man realisiert, wie fragil das Leben ist. Man sitzt in einem Rorate-Konzert und dann kommt noch einmal alles hoch», sagte der «Origen»-Chef. «Wenn es etwas gibt, was den Menschen in seiner Tiefe abholt, dann ist es die Musik», so Netzer.

Säkulare Kathedrale

Vom Premieren-Drama mit Happy End bekamen die hundert Besucher des ausverkauften Rorate-Konzerts nur am Rande mit. Die meisten stiegen frühmorgens, noch etwas schlaftrunken, in die Postautos, die sie sicher auf über 2000 Meter Höhe auf den Julierpass brachten.

Dort thront ein roter, hölzerner Theater-Turm, der an diesem Rorate-Morgen zu einer säkularen Kathedrale wird. Draussen die sternklare Nacht mit gut sichtbarer Mondsichel, drinnen wärmendes Kerzenlicht. Die Zuschauer sind im ersten Rang, die Sänger dank flexibler Bühne ebenfalls. Zum Schlussapplaus werden die Sänger wieder ins Erdgeschoss gefahren.

Im «Origen»-Programmheft ist «Rorate» in Anführungszeichen geschrieben. Es handelt sich nicht um eine Rorate-Messe, sondern um Rorate-Konzerte. «Tenor Maximilian Vogler hat russische Musikarchive durchforstet und erzählt mit seinem Sängerensemble von der Hoffnung auf die Wiederkehr des Herrn und von der Rückkehr des Sonnenlichts», steht im Programmheft.

Besonders einfühlsam interpretierten die sechs Sänger Sönke Tams Freier, Johannes Hill, Jo Holzwarth, Martin Logar, Grégoire May und Maximilian Vogler die Stücke «Oce nas» von Nikolai Kedrov und «Ubi caritas» von Eriks Ešenvalds.

Pünktlich zum «O magnum mysterium» von Morten Lauridsen – dem Schlussstein des Konzerts – spiegelten sich die Strahlen der aufgegangenen Sonne an den umliegenden Berggipfeln, bevor wieder der Winter über dem Julierpass hereinbrach.

Eleganz und Tiefe, frei von Pathos und Kitsch: Die Besucherinnen und Besucher dankten mit Standing Ovations für das sinnliche Gegenprogramm zum Konsumstress der Vorweihnachtszeit. Kleiner Wermutstropfen: In den Pausen stören Geräusche der Heizung die Stille.

«Musik kann alle erreichen»

«Ich möchte keine Parallel-Liturgie aufbauen und die Messe ersetzen», sagt Giovanni Netzer, der katholische Theologie studiert hat und ein Faible für liturgische Fragen mitbringt. «Musik ist sehr tief, sehr frei, sie kann alle erreichen, die mit der Institution Kirche und mit dem Kult nichts mehr am Hut haben», sagt Netzer. «Den Kult ein wenig anders zu deuten, ist sinnvoll.»
Hört man sich bei den Besucherinnen und Besuchern auf der Rorate-Premiere um, scheint das Konzept aufgegangen zu sein.

Christoph und Ruth Jaag freuen sich über den Gesang und die Atmosphäre, aber auch über den Wandel von der Nacht zum Tag. «Schon bei der Fahrt mit dem Postauto durch die Nacht kommt man zur Ruhe», berichtet Christoph Jaag.

«Etwas richtig Spezielles, Adventlich-Weihnachtliches», sagt Ruth Jaag. Aus ganz anderen Gründen ist die Sportwissenschaftlerin Anne-Marie Flammersfeld gekommen. Ihr geht es um Achtsamkeit: Normalerweise geht sie mit einer Gruppe am Dienstagmorgen raus in die Natur.

Für diesen Dienstag hat sie sich für etwas Meditatives entschieden. «Mal was anderes», sagt Flammersfeld.

Aber die Bewegung kommt nicht zu kurz: Statt beim Rorate-Frühstück zuzuschlagen, startete sie mit ihren Begleiterinnen Bettina Plattner und Anne-Rose Walther  nach dem Konzert ein Bewegungsprogramm.

 

Weitere Aufführungen sind am 6. und 7. Dezember um 7 Uhr im Theaterturm auf dem Julierpass. Informationen unter http://www.origen.ch/Rorate.1393.0.html

Rorate-Premiere auf dem Julierpass | © Mathias Kufermann
4. Dezember 2018 | 16:34
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