Theologe zur Weihnachtsgeschichte: «Das sind zwei Geschichten mit je eigenen Pointen»

Zürich, 25.12.15 (kath.ch) Die Weihnachtsgeschichte beruht nicht auf einer, sondern auf zwei biblischen Geschichten. Über deren Inhalt und Botschaft spricht Detlef Hecking im Gespräch mit kath.ch. Der Theologe leitet die Bibelpastorale Arbeitsstelle in Zürich und arbeitet als Lehrbeauftragter für Neues Testament am Religionspädagogischen Institut der Universität Luzern.

Regula Pfeifer

Würden Sie uns kurz die Weihnachtsgeschichte erzählen?

Detlef Hecking: Das Spannende ist: Es gibt nicht eine Weihnachtsgeschichte, sondern zwei. Die eine stammt aus dem Matthäusevangelium, die andere aus dem Lukasevangelium. Besser bekannt ist jene aus dem Lukasevangelium. Da kommt zunächst ein Engel zu Zacharias in den Jerusalemer Tempel und verkündet ihm die Geburt seines Sohnes Johannes, der später «der Täufer» genannt wird. Später kommt derselbe Engel zu Maria nach Nazareth und verkündet ihr die Geburt Jesu. Danach befiehlt Kaiser Augustus in Rom die Steuerschätzung, weswegen Josef und Maria nach Bethlehem gehen. Lukas erzählt auch, dass die Geburt Jesu in einem Stall stattfindet und ein Engel davon den Hirten erzählt, die dann zu Jesus an die Krippe kommen.

Und die zweite Geschichte?

Hecking: Die erzählt Matthäus. Josef weiss, dass seine Verlobte schwanger ist, und will sie deshalb verlassen. Da sagt ihm ein Engel im Traum, er solle sich darüber keine Gedanken machen, das Kind sei vom heiligen Geist, worauf Josef und Maria zusammenbleiben. Danach folgt bei Matthäus die Geschichte mit den Sterndeutern. Die Sterndeuter oder Magier kommen aus dem Osten und gehen zu König Herodes nach Jerusalem und fragen ihn, wo der neugeborene «König der Juden» geboren worden sei. Sie huldigen Jesus dann mit Gold, Weihrauch und Myrrhe. Herodes hingegen fürchtet um seinen Thron und will Jesus umbringen.

Wie geschieht: Aus zwei mach eins?

Hecking: Es sind zwei ganz unterschiedliche Geschichten, die wir meist Stück für Stück ineinanderschieben und so als eine einzige, fortlaufende Geschichte lesen. So kommt der Engel erst zu Zacharias, dann zu Maria und schliesslich zu Josef. Es folgt die Volkszählung und nach der Geburt kommen erst die Hirten, darauf die Magier zum Jesuskind. Aber eigentlich sind es zwei Geschichten mit je eigenen Pointen. Bei Lukas stehen die Armen im Vordergrund, bei Matthäus die Heiden, denn die Sterndeuter sind ja keine Juden. Die Armen beziehungsweise die Heiden – je nach Evangelium – begrüssen das Jesuskind als erste und freuen sich über seine Geburt.

Wieso schieben wir die beiden Geschichten zusammen?

Hecking: Weil es zwei tolle Geschichten sind, bei denen wir auf kein Detail verzichten wollen und die sich gut so ineinanderschieben lassen. Dabei gerät aber in den Hintergrund, was die jeweiligen Evangelisten besonders zum Ausdruck bringen wollten. Lukas wollte sagen: Jesus, der Messias der Armen, wird schon bei der Geburt von Armen oder Randständigen begrüsst. Matthäus war es ein Anliegen zu sagen: Jesus, der später mehrheitlich von Nichtjuden als Messias bekannt wird, wird bereits bei der Geburt von Nichtjuden – den Magiern – verehrt. Man kann die beiden Geschichten schon zusammenziehen, aber diese theologischen Pointen verblassen dabei.

Trotzdem wird die Weihnachtsgeschichte in Kindererzählungen so kombiniert erzählt.

Hecking: Genau. Es ist eine lange Tradition, diese Geschichten miteinander zu verbinden. Ich leite gerade einen Kurs, bei dem es darum geht, wie man beim Krippenspiel nur bei der einen Version bleiben kann. Das ist spannend, aber herausfordernd. Dadurch entfalten sich wunderbare Möglichkeiten, die Erzählungen von der Geburt Jesu nicht als historische Reportagen zu verstehen, sondern als das, was sie eigentlich sind: Glaubensgeschichten. Und es wird leichter, die Kindheitsgeschichten mit dem weiteren Evangelium nach Matthäus beziehungsweise Lukas zu verbinden. Historisch belegt von der Geburt Jesu ist nur, dass sie zur Zeit von König Herodes geschah.

Was haben die Sterndeuter mit den Heiligen Drei Königen zu tun, die man am 6. Januar feiert?

Hecking: Im Neuen Testament steht nichts von Königen, sondern von Magiern. Das sind weise, weltkundige und vor allem in der Sternkunde beschlagene Leute aus dem damaligen Persien. Möglicherweise waren es persische Priester. Könige hat man daraus gemacht, weil dies später besser ins Bild passte. Aber klar: Die Heiligen Drei Könige, deren Verehrung sich von Konstantinopel ausgehend nach Europa ausgebreitet hat, gehen auf diese Geschichte zurück.
Im Neuen Testament steht übrigens auch nicht, wie viele es waren. Dass man sich drei Sterndeuter vorstellt, hat man aus den drei Geschenken – eben Gold, Weihrauch und Myrrhe – abgeleitet.

Der Kindsmord kommt nicht bei beiden Evangelisten vor.

Hecking: Richtig, nur bei Matthäus. Das ist ein schönes Beispiel, wie Geschichte, also historische Fakten, und Geschichten – gemeint sind hier erzählte Glaubensgeschichten – zusammenhängen. Den Kindsmord veranlasst ja Herodes der Grosse, der Jesus umbringen will. Der theologische Gehalt dieser Erzählung ist, dass hier Jesus mit Mose parallelisiert wird. So wie Mose als einziger Junge seiner Generation der Mordlust des ägyptischen Pharao entkommen war – in dem Binsenkörbchen, in dem er als Kleinkind ausgesetzt wird –, so wird auch Jesus am Anfang seines Lebens von Gott gerettet. Jesus als neuer Mose, der von Gott gerettet und von Gott geführt wird – das ist die theologische Aussage hinter dem Kindermord. Deswegen die Erzählung vom Kindsmord in Bethlehem, den Jesus als einziger überlebt.

Herodes der Grosse war ein klassischer Realpolitiker, der Palästina nachhaltig positiv geprägt und wirtschaftlich gestärkt hat. Aber er war auch überaus grausam und liess mehrere seiner Söhne und seiner zehn Ehefrauen umbringen, aus Angst um seinen Thron. Ein derartiger Kindsmord könnte deshalb bestens zu ihm passen. Nur ist von einem Kindsmord in Bethlehem zu seiner Zeit historisch nichts bekannt.

Finden Sie gut, dass man normalerweise die zwei Weihnachtsgeschichten als eine erzählt?

Hecking: Die so überlieferte Weihnachtsgeschichte ist wunderbar. Andererseits: Lässt man die Erzählungen von Lukas und Matthäus je für sich stehen und fragt nach ihrem theologischen Gehalt, hilft das, einen erwachsenen Glauben zu entwickeln und nicht beim Kinderglauben zu bleiben, der an Fakten festhalten will. Wobei ich den Kinderglauben sehr positiv sehe, weil er überhaupt erst ermöglicht, sich in Glaubensgeschichten zuhause zu fühlen.

Bei genauer Betrachtung kann man feststellen: Beide Evangelisten waren äusserst innovativ für ihre Zeit und haben ihren Gemeinden viel zugemutet, aber auch zugetraut: Lukas beschäftigte sich mit der von Papst Franziskus betonten Barmherzigkeit und Matthäus mit dem interreligiösen Dialog. (rp)


 

Zeitschriftenhinweise von Detlef Hecking

«Kindheitsgeschichten» in «Bibel heute», Heft 4, 2010.

«Weihnachten», in «Welt und Umwelt der Bibel», Heft 4, 2007

«Herodes. Grausam und genial» in «Welt und Umwelt der Bibel», Heft 4, 2013.

Die Zeitschriften sind erhältlich beim Schweizerischen Katholischen Bibelwerk, Bederstrasse 76, 8002 Zürich, Tel. 044 205 99 60, Fax 086044 205 99 60, www.bibelwerk.ch/shop; Email: info@bibelwerk.ch

25. Dezember 2015 | 11:25
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