Spielsüchtiger Priester muss von Mariastein in den Knast: «Es tut mir wirklich unendlich leid»

Roulette und Black Jack wurden ihm zum Verhängnis: Zwischen 2009 und 2018 verzockte der ehemalige Pfarrer von Küssnacht am Rigi mehr als drei Millionen Franken im Konstanzer Spielcasino – mit fremdem Geld, das er noch immer schuldig ist. Nun muss der 51-Jährige ins Gefängnis.

Wolfgang Holz

In einem weissen, kurzärmeligen Sommerhemd und schwarzen Jeans nimmt der Beschuldigte Platz auf dem leeren Stuhl vor dem Richter. An den Wänden des Gerichtssaals hängen grossformatige abstrakte Gemälde. Die Luft im kleinen Raum ist spürbar heruntergekühlt.

Der Angeklagte wirkt gefasst und ruhig

Neben den zahlreichen Journalisten besuchen einige, wenige Privatpersonen die Verhandlung im Gerichtssaal des Luzerner Kriminalgerichts – der sich kurioserweise im zweiten Stock eines Wohn- und Geschäftshauses am Vierwaldstättersee befindet. 

Vor dem Kriminalgericht Luzern wurde der Fall des spielsüchtigen früheren Pfarrers verhandelt.
Vor dem Kriminalgericht Luzern wurde der Fall des spielsüchtigen früheren Pfarrers verhandelt.

Der 51-Jährige wirkt auf der Anklagebank gefasst und ruhig. Während der rund zehnminütigen Befragung des Gerichts antwortet er klar und deutlich. Und doch klingt seine Stimme gedämpft. Seine Reue und auch seine Scham sind angesichts des ihm zur Last gelegten gewerbsmässigen Betrugs, der mehrfachen Urkundenfälschung und Veruntreuung nicht zu überhören. 

Arglistig Darlehen erschlichen

Der Fall wurde am Montag vor dem Luzerner Kriminalgericht verhandelt, weil der erste gemeldete Geschädigte aus dem Kanton Luzern stammt. Insgesamt sind am Verfahren rund 70 Personen beteiligt. Der Deliktsbetrag wird auf 3,3 Millionen Franken beziffert und im abgekürzten Verfahren behandelt. 

Reichlich viel Geld in Spieljetons
Reichlich viel Geld in Spieljetons

Der frühere katholische Pfarrer von Küssnacht am Rigi wird beschuldigt, von Privatpersonen zwischen 2009 bis 2018 arglistig Darlehen bezogen und diese nicht zurückbezahlt zu haben. Zudem soll er unrechtmässig Geld von Konten der Pfarrei für private Zwecke verwendet haben. Der Pfarrer war im Juni 2018 von seinem Amt zurückgetreten.

«Es war eine furchtbare Zeit für mich»

Grund dafür waren die Schulden, die er wegen seiner Spielsucht aufgehäuft hatte. 2019 reichte er Privatkonkurs ein. Neben der Freiheitsstrafe fordert die Staatsanwaltschaft eine fachärztliche Behandlung wegen Spielsucht. 

Gläubige aus der eigenen Pfarrei in Küssnacht SZ unterstützten den spielsüchtigen Pfarrer mit Geld.
Gläubige aus der eigenen Pfarrei in Küssnacht SZ unterstützten den spielsüchtigen Pfarrer mit Geld.

«Es war eine furchtbare Zeit für mich», gesteht der Geistliche. Er habe vielen Leuten einfach ins Gesicht gelogen und sie um viel Geld betrogen. «Es tut mir innerlich sehr leid und sehr weh, dass ich so viele Leute enttäuscht habe», nimmt der Beschuldigte Stellung. Er habe sich deshalb während seiner stationären Therapie bei rund 20 Menschen brieflich entschuldigt. 

Neue Heimat im Kloster Mariastein

Er sei in eine Spielsucht hineingeraten, aus der er sich erhofft habe, durch Privatkredite wieder befreien zu können. Der Öffentlichkeit gegenüber habe er seine Spielsucht geheim halten wollen. «Doch die Spirale nach unten drehte sich immer schneller», bekennt der frühere Küssnachter Geistliche. «Aus heutiger Sicht ist dies für mich völlig unverständlich.»

Menschen vor dem Gnadenbild in der Basilika von Mariastein.
Menschen vor dem Gnadenbild in der Basilika von Mariastein.

Nach einer mehrwöchigen stationären Psychotherapie kommt der Beschuldigte, der sich von Anfang an gegenüber der Staatsanwaltschaft geständig zeigte, ins Benediktinerkloster Mariastein. Dort arbeitet der 51-Jährige seit Juli 2019 in einem geregelten Arbeitsverhältnis. Kost und Logis hat er frei. 

Zum Zocken nach Konstanz

Von den 5450 Franken brutto, die er dort verdient, bleiben ihm rund 1000 Franken Sackgeld. Der Hauptteil geht an die Kesb. «Ich arbeite im Hausdienst – dort wo ich eben gerade gebraucht werde», berichtet er dem Gericht. Will heissen: Mal sei er als Sakristan, mal im Office, mal in der Gäste- und Krankenbetreuung tätig. «Oder eben beim Abwaschen.»

Am Roulette-Tisch
Am Roulette-Tisch

Seit seiner Therapie und dem Aufenthalt im Kloster sei er spielsuchtfrei, bekennt der ehemalige Pfarrer. «Ich habe kein Verlangen mehr ins Casino zu gehen.» Wobei er in der Zeit von 2009 bis 2018 nur noch das Spielcasino im deutschen Konstanz frequentierte, wo er Roulette und Black Jack spielte, wie der Luzerner Staatsanwalt Adrian Berlinger gegenüber kath.ch erklärt. «In allen Schweizer Casinos hatte der Beschuldigte sich zuvor längst sperren lassen.» 

Geständnis wirkt strafmildernd

Wie es zu der immensen Spielsucht des Angeklagten überhaupt gekommen ist, der nach eigener Aussage nie online zockte, kann der Staatsanwalt auch nicht erklären. «Es hat offenbar in der Jugend bei ihm mit der Spielsucht angefangen. Dann war es ruhig, und die Sucht ist erst Jahre später wieder ausgebrochen», so Berlinger. Mit Unzufriedenheit während seines seelsorgerlichen Diensts als Pfarrer habe diese Sucht vermutlich nichts zu tun: «Er zeigte sich mit seiner Situation in der Gemeinde stets zufrieden.» 

Roulette: Glücksspielsucht wird in Deutschland zum Problem.
Roulette: Glücksspielsucht wird in Deutschland zum Problem.

Umso reuiger wirkt der ehemalige Pfarrer nochmals in seinem Schlusswort. «Es tut mir wirklich unendlich leid, es ist für mich furchtbar.» Seine nachträglichen Gewissensbisse und sein vollumfängliches Geständnis haben dazu beigetragen, dass er unterm Strich ein «sehr mildes Urteil erhält», sagt Richter Bernard Holdermann. Er ist gleichzeitig Präsident des Kriminalgerichts. 

Strafmass «sehr wohlwollend»

Zwar kommt dem Beschuldigten aufgrund seiner Spielsucht auch eine leicht verminderte Schuldfähigkeit zugute. Doch drei Jahre Freiheitsstrafe, davon sechs Monate unbedingt im Gefängnis und danach vier Jahre Probezeit, sind laut Richter Holdermann angesichts der Schwere des Betrugs und der riesigen Deliktsumme «sehr, sehr, sehr wohlwollend».

Staatsanwalt Adrian Berlinger
Staatsanwalt Adrian Berlinger

Gleichwohl bestätigte das Luzerner Kriminalgericht das im Voraus zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ausgehandelte Strafmass. «Der Beruf des Pfarrers hat für mich in meiner Strafmassbemessung keine Rolle gespielt», versichert Adrian Berlinger. Vielmehr dessen volles Schuldeingeständnis.

Wie geht’s weiter? «Ich weiss es nicht»

Und wie stellt sich der ehemalige Pfarrer, der nun bald ins Gefängnis muss, sein zukünftiges Leben vor? «Die Zukunft wird sicher schwierig», räumt der 51-Jährige vor dem Gericht ein. Er wisse auch noch nicht, wie es finanziell genau weitergehe, weil sein Privatkonkurs noch nicht abgeschlossen sei. 

In der Klosterkirche von Mariastein.
In der Klosterkirche von Mariastein.

Nach 43 Minuten ist das verkürzte Verfahren vor dem Luzerner Kriminalgericht schliesslich vorbei. Eine Frage aus dem Besucherpublikum direkt an den Verurteilten lässt dann noch kurz aufhorchen. Ob es denn stimme, dass er bewusst ältere, demente Personen für seine Kreditanfragen ausgewählt habe. Der ehemalige Pfarrer schüttelt den Kopf und versichert: «Nein, ich habe sie nicht speziell ausgesucht.» Dann verlässt er mit seinem Verteidiger den Gerichtssaal. Wortlos.


Das Casino in Konstanz. | © Wikimedia Commons/Christoph Wagener, CC BY 3.0
27. Juni 2022 | 15:07
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!