Gewalt
Schweiz

Seelsorgende sollen «Charta gegen sexuellen Missbrauch» unterschreiben

Freiburg, 13.2.19 (kath.ch) Die Seelsorgenden des Bistums Lausanne, Genf und Freiburg sollen sich ihrer Verantwortung in Sachen Missbrauch bewusst werden. Aus diesem Grund haben sie den Auftrag, eine «Persönliche Erklärung» zur neuen «Charta gegen sexuellen Missbrauch» zu unterschreiben.

Regula Pfeifer

«Ich respektiere und schütze die spirituelle, die psychische, die körperliche und die sexuelle Integrität jeder Person und dulde keine sexuellen Übergriffe und Verletzungen der Intimsphäre.» Diesen und weitere Sätze sollen die Seelsorgenden im Bistum Lausanne, Genf und Freiburg demnächst unterschreiben. Es handelt sich um die «Persönliche Erklärung», die Teil der «Charta gegen sexuellen Missbrauch» des Bistums ist.

Verpflichtung zur Meldung

Der oder die Unterschreibende bekenne sich «voll und ganz» zur «Charta gegen sexuellen Missbrauch», heisst es in der Erklärung weiter. Diese sei ein «wesentlicher Bestandteil» seiner oder ihrer kanonischen Mission. Die Person verpflichtet sich, «bei beobachteten Fällen von Missbrauch oder Verdacht auf Missbrauch» das Bischofsvikariat zu informieren, zur Klärung von Verdachtsfällen auch gegenüber sich selbst beizutragen und die vom Bistum verlangten Präventionskurse zu besuchen.

Die «Charta gegen sexuellen Missbrauch» wurde in deutscher Sprache von der Adjunktin des Bischofsvikariats von Deutschfreiburg, Marianne Pohl-Henzen, an der Versammlung der hauptamtlichen Seelsorgenden der Bistumsregion Deutschfreiburg am 23. Januar vorgestellt, mit der Bitte, sie bis zu einer anstehenden Weiterbildung zu unterschreiben.

Auch die französischsprachigen Seelsorgenden haben diesen Auftrag, wie Bistumssprecherin Laure-Christine Grandjean auf Anfrage sagt. Es gebe bisher keine Frist für die Unterzeichnung. Die Charta ist seit kurzem online auf der Bistumsseite.

Bistum erklärt Null-Toleranz

In der «Charta gegen sexuellen Missbrauch» erklärt das Bistum seine «Null-Toleranz» gegenüber jeder Handlung, welche die sexuelle Integrität einer Person gefährden könnte. Es stellt die Präventionsmassnahmen vor und nimmt die Seelsorgenden in die Pflicht.

Das Dokument definiert sexuellen Missbrauch und thematisiert das asymmetrische Verhältnis in der Seelsorge. Es äussert sich zum Vorgehen im Verdachtsfall und bei einer Beichte. Es betont die Anzeigepflicht der Seelsorgenden. Das Dokument weist auch auf Warnsignale hin.

Seelsorger soll Warnsignale erkennen

Die Charta hält die Seelsorgenden an, bei sich selbst auf mögliche Warnsignale zu achten. Heikel werde es unter anderem, wenn jemand «ein übertriebenes Interesse an sexuellen Beziehungen zeigt oder wiederholt und spontan das Thema der Sexualität anschneidet».

Die Charta nennt weiter «sexuelle Anspielungen» und unstatthafte Berührungen. Ein weiteres Zeichen sei der Wunsch nach Begegnungen «ausserhalb der Besprechungen». Das Dokument nennt auch «respektlose und wütende» Reaktionen, wenn eine betreute Person ihr Unbehagen ausdrücke.

Zusätzlich zur Charta hat das Bistum ein Interventionsschema entwickelt. Dies gibt klar strukturierte Handlungsanweisungen an verschiedene in einen Missbrauch involvierte Personen vor.

Aus einer Krisensituation heraus

Die Idee, eine Charta und ein Interventionsschema zu erstellen, entstand vor etwa fünf Jahren aus einer Krisensituation heraus, erklärt Bistumssprecherin Laure-Christine Grandjean gegenüber kath.ch. Bischof Charles Morerod habe die Initiative ergriffen. Sie selbst erhielt der Auftrag, die Charta mit Unterstützung von Psychologen und anderen Fachpersonen umzusetzen.

Bei der vier Jahre dauernden Aufgabe liess sich Grandjean von vergleichbaren Dokumenten der reformierten Kirchen von Neuenburg und Freiburg inspirieren sowie – für die persönliche Erklärung – von Dokumenten der Westschweizer Fachstelle für die Prävention sexueller Gewalt «Espas».

Die Charta richte sich primär an die in der Pastoral Tätigen, bestätigt Laure-Christine Grandjean. Diese sollten die Informationen und die Politik des Bistums an Freiwillige weitervermitteln, die unter ihrer Verantwortung arbeiteten. Das Bistum erarbeite gegenwärtig auch spezielle Chartas für Freiwillige.

Das Westschweizer Bistum wolle mit der Charta seine Null-Toleranz-Politik in Sachen Missbrauch bekannt machen und auf die Wichtigkeit der Prävention und die obligatorischen Kurse hinweisen.

Auch in der Verantwortung des Einzelnen

Zudem es gehe darum aufzuzeigen, dass die Kirche Hand in Hand mit der staatlichen Gerichtsbarkeit und mit externen Fachstellen arbeite. Und schliesslich wolle man darin die Verantwortung jedes einzelnen Seelsorgers hervorheben. Jeder müsse mit seiner Unterschrift bezeugen, dass er alles ihm Mögliche tue, um Missbrauch zu verhindern.

Bischof Charles Morerod wird die Seelsorgenden demnächst treffen, um das Thema breiter mit ihnen zu besprechen, weiss die Bistumssprecherin. Ausserdem sei das Bistum diesbezüglich mit den Vikariaten und Opfervertretungen in Kontakt. Dabei gehe es unter anderem auch um die Frage des Gedenkens. Das Thema werde sie weiter beschäftigen, so Grandjean.

Gewalt | © European Parliament/Pietro Naj-Oleari
13. Februar 2019 | 12:38
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Jedes Bistum soll Schutzkonzept erstellen

Die Charta, die das Westschweizer Bistum neu erstellt hat, entspricht in etwa dem «Schutzkonzept für die seelische, geistige und körperliche Integrität der Menschen im Bereich des Bistums St. Gallen» von 2016, erklärte Joseph M. Bonnemain, Sekretär des Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz auf Anfrage. Das Fachgremium koordiniert das Thema schweizweit. Laut Bonnemain ist vorgesehen, dass jede Diözese ein solches Schutzkonzept hat. Das St. Galler Schutzkonzept enthält – im Unterschied zur Westschweizer «Charta» – keine «persönliche Erklärung», mittels derer Seelsorgende ihre Verantwortung und Mitwirkung bestätigen.

Das Bistum Chur entwickelt im Moment ebenfalls ein solches Schutzkonzept, nach St. Galler Vorbild, wie Bonnemain weiss. Das Vorhaben sei im Bischofsrat und Priesterrat sowie in der «Biberbrugger Konferenz», der Vereinigung der Kantonalkirchen des Bistums Chur, behandelt worden. Demnächst werde das Dokument veröffentlicht, schätzt Bonnemain.

Im Bistum Basel hat Bischof Felix Gmür unlängst dem diözesanen Fachgremium den Auftrag erteilt, die vorhandenen Dokumente in Absprache mit den Anstellungsbehörden zu vereinheitlichen. Bisher gebe es bei den Landeskirechen, Kirchgemeinden und im Bistum verschiedene Richtlinien, Vorgaben und Hilfsmittel für einen professionellen Umgang mit Nähe und Distanz. (rp)