Spruch an einer Mauer in Zürich.
Schweiz

«Sant'Egidio» Schweiz trauert um 130 Tote nach Bootsunglück vor Libyen

Über 130 Flüchtlinge sind im Mittelmeer ertrunken. Papst Franziskus spricht von einer «Schande». Die Gemeinschaft «Sant’Egidio» ruft für Montag zu einer europaweiten Gebetswache auf. Bereits am Samstagabend trauerte «Sant’Egidio» Schweiz um die Schiffbrüchigen. Vom 14. bis 20. Juni folgt die Aktion «Beim Namen nennen».

Alexander Pitz und Raphael Rauch

Das jüngste Bootsunglück mit mehr als 130 ertrunkenen Migranten vor der libyschen Küste sorgt weiter für Diskussionen. Am Sonntag meldete sich auch Papst Franziskus zu Wort.

Gelebte Barmherzigkeit: Papst wäscht Migranten die Füsse
Gelebte Barmherzigkeit: Papst wäscht Migranten die Füsse

Er sei «sehr betrübt» angesichts der erneuten «Tragödie», sagte er beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz. Die Betroffenen hätten tagelang vergebens um Hilfe gefleht. «Es ist eine Schande», sagte das Kirchenoberhaupt.

Papst Franziskus: «Es handelt sich um Menschenleben»

Die Hilfsorganisation SOS Méditerranée hatte am Donnerstag mitgeteilt, dass vor Libyen ein Schlauchboot mit rund 130 Migranten an Bord verunglückt sei. Das eigene Rettungsschiff «Ocean Viking» habe trotz schlechter Wetterverhältnisse versucht zu helfen.

Nach stundenlanger Suche seien aber «nur noch Tote» gefunden worden. Den zuständigen Behörden warf SOS Méditerranée Versagen vor. Sie hätten nichts unternommen, um einen Rettungseinsatz zu koordinieren.

Papst Franziskus 2016 auf Lesbos: Zusammen mit Bartholomaios I. gedenkt er Ertrunkenen.
Papst Franziskus 2016 auf Lesbos: Zusammen mit Bartholomaios I. gedenkt er Ertrunkenen.

«Es handelt sich um Menschenleben», betonte Papst Franziskus in seiner Ansprache vor Hunderten Pilgern. Er rief zum Gebet für all jene auf, die auf dem gefährlichen Weg über das Mittelmeer ums Leben kämen. «Lasst uns auch für diejenigen beten, die helfen können, aber lieber wegschauen.»

«Sant’Egidio» kritisiert Gleichgültigkeit

Unterdessen wies die libysche Küstenwache Vorwürfe zurück, man habe nichts getan, um den in Seenot geratenen Menschen zu helfen. Man sei trotz widriger Bedingungen im Einsatz gewesen, versicherte ein Sprecher am Wochenende laut italienischen Medien.

Eine Wandmalerei in Frankfurt erinnert an den syrischen Jungen Alan Kurdi. Er kam im Mittelmeer ums Leben.
Eine Wandmalerei in Frankfurt erinnert an den syrischen Jungen Alan Kurdi. Er kam im Mittelmeer ums Leben.

Die katholische Gemeinschaft «Sant’Egidio» rief für Montag zu einer europaweiten Gebetswache auf. Man fühle sich verpflichtet, die Stimme zu erheben, «damit unser Kontinent nicht durch schuldhafte Gleichgültigkeit befleckt wird». In Rom findet die Gebetswache am Montagabend um 19.30 Uhr statt. Laut Mitteilung gibt es einen Livestream.

«Sant’Egidio» Schweiz organisiert Zoom-Gebet

Die Organisation appellierte an die Verantwortlichen, alles zu tun, um Migranten in Seenot zu retten. Zudem müssten mit Blick auf die besorgniserregende Lage in Libyen mehr legale Einreisemöglichkeiten in die EU geschaffen werden.

Wohnungsloser Jesus auf einer Bank, Skulptur bei Sant'Egidio in Rom.
Wohnungsloser Jesus auf einer Bank, Skulptur bei Sant'Egidio in Rom.

«Sant’Egidio» Schweiz veranstaltete am Samstagabend ein Zoom-Gebet für die ertrunkenen Migranten. «Wir spüren die Tragödie vor unserer Haustür. Wir möchten, dass sich jeder eine Zeit der Stille und des Gedenkens nimmt, damit diese Todesfälle nicht mit Gleichgültigkeit gleichgesetzt werden», sagt Anne-Catherine Reymond. Sie ist Präsidentin von Sant’Egidio Schweiz.

«Gott um Vergebung bitten»

«Mit unserem Gebet baten wir Gott um Vergebung und darum, dass unsere Gefühle durch den Schrecken nicht betäubt werden. Mehr denn je muss Europa Gastfreundschaft leben. Es ist möglich!», sagt Reymond. Sie fordert die Einrichtung von humanitären Korridoren, wie sie «Sant’Egidio» in den letzten Jahren in Frankreich, Italien und Belgien realisiert habe. Am 19. Juni gibt es in Lausanne eine ökumenische Feier zum Gedenken an die Schiffbrüchigen.

Anne-Catherine Reymond, Präsidentin von Sant'Egidio Lausanne, bei einer Ansprache
Anne-Catherine Reymond, Präsidentin von Sant'Egidio Lausanne, bei einer Ansprache

«Ich bin nicht in der Lage, so kurzfristig auf die verschiedensten Aktionen mit aufzuspringen», sagt der Schweizer Jesuit Christoph Albrecht. Er engagiert sich für Flüchtlinge. «Aber bald gedenken wir der nun schon über 41’000 Todesopfer an den Grenzen der Festung Europa.»

«Beim Namen nennen» im Juni

Albrecht engagiert sich in einem Komitee, das die Gedenkveranstaltung «Beim Namen nennen» plant. In Bern, Basel und Zürich sei die Veranstaltung in der Woche vom 14.–20. Juni gedacht. «Kirchliche Institutionen und Kirchgemeinden sind führend dabei», sagt Albrecht.

Der Jesuit Christoph Albrecht spricht mit Bewohnern des Rückkehrzentrums Glattbrugg ZH, Aufnahme vom Februar 2018.
Der Jesuit Christoph Albrecht spricht mit Bewohnern des Rückkehrzentrums Glattbrugg ZH, Aufnahme vom Februar 2018.

Auch Albrechts Mitbrüder vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Italien reagierten. Leiter Camillo Ripamonti kritisierte eine «Gleichgültigkeit der nationalen Regierungen und der Europäischen Union». Hauptaufgabe der Politik sei es, «jedem Menschen auf der Erde ein menschenwürdiges und freies Leben zu sichern». Der Verlust zahlloser Menschenleben im Mittelmeer sei nicht hinnehmbar.

Salvini beschuldigt Seenotretter

Die bischöfliche Fachstelle für Migrationsfragen «Fondazione Migrantes» äusserte sich nach dem Bootsunglück ähnlich: «Möge diese Tragödie für einen Ruck der Menschlichkeit sorgen, um legale und sichere Einreisewege zu schaffen.»

Italiens Ex-Innenminister Matteo Salvini machte indes den privaten Seenotrettern schwere Vorwürfe. Die Toten gingen auf das Gewissen der «Gutmenschen», schrieb der Lega-Chef auf Twitter. Sie lüden Schlepper und Menschenhändler ein, seeuntüchtige Boote auch bei schlechtem Wetter aufs Meer zu schicken.

«Sea-Watch 4» auf Kurs

Währenddessen brach das Rettungsschiff «Sea-Watch 4» zu einer neuen Mission ins zentrale Mittelmeer auf. Die Crew sei aus dem Hafen der spanischen Stadt Burriana ausgelaufen, bestätigte der Betreiberverein Sea-Watch mit Sitz in Berlin.

Das Rettungsschiff «Sea Watch 4»
Das Rettungsschiff «Sea Watch 4»

Die «Sea-Watch 4», im vergangenen Jahr vom kirchlich initiierten Bündnis United4Rescue aus Spenden erworben und als Rettungsschiff ausgestattet, war von den italienischen Behörden monatelang in Palermo festgehalten worden. Die Küstenwache beanstandete «eine Reihe von Unregelmässigkeiten» technischer Art. Nach einem Rechtsstreit erfolgte Anfang März die Freigabe. (mit Material von cic)


Spruch an einer Mauer in Zürich. | © Raphael Rauch
25. April 2021 | 20:37
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