Journalist Paolo Rodari im Gespräch mit Papst Franziskus
Schweiz

RSI-Journalist: Jorge Bergoglio hat sich in der Schweiz verfahren – wegen der Beschilderung

Ein Interview mit dem Papst – davon träumen katholische Medienschaffende. Dem RSI-Journalisten Paolo Rodari (49) ist es gelungen, Papst Franziskus zu interviewen. Dabei entlockte er ihm Neues: So habe sich der junge Jorge Bergoglio einmal in der Schweiz mit dem Auto verfahren. Und Franziskus schäme sich, im Rollstuhl zu sitzen.

Regula Pfeifer

Wie haben Sie es geschafft, Papst Franziskus für eine Sendung im Schweizer Fernsehen RSI zu gewinnen?

Paolo Rodari*: Ich habe bei ihm vor einiger Zeit angefragt. Schliesslich hat er die Interviewanfrage angenommen – anlässlich seines zehnjährigen Pontifikats.

«Im Grunde war das Gespräch frei, informell, fast freundschaftlich.»

Wurden Ihre Fragen vorgängig durch die Kommunikationsabteilung des Vatikans kontrolliert?

Rodari: Nein, der Vatikan verlangte die Fragen nicht im Voraus. Wir vereinbarten ein Gespräch über zehn Jahre Papst Franziskus – anhand der bedeutendsten Momente, die ich heraussuchte. Aber im Grunde war das Gespräch frei, informell, fast freundschaftlich.

Papst Franziskus gibt wichtige Entscheidungen gerne in Interviews bekannt
Papst Franziskus gibt wichtige Entscheidungen gerne in Interviews bekannt

Inwiefern freundschaftlich? Kannten Sie den Papst bereits?

Rodari: Nein, ich meine damit: Der Ton war freundschaftlich.

Wo fand das Gespräch statt?

Rodari: Es fand in der Residenz Santa Marta statt, wo er wohnt, und es dauerte ungefähr 50 Minuten.

Waren andere Leute im Raum – auch seitens des Vatikans?

Rodari: Seitens der RSI waren Kameramänner, Regisseure und zwei Journalistenkollegen dabei. Insgesamt waren wir zu zehnt. Vom Vatikan war niemand dabei beim Gespräch.

«Bei der Tageszeitung «La Repubblica» habe ich den Papst dreimal interviewt.»

Waren Sie das erste Mal als Journalist im Vatikan?

Rodari: Nein, ich habe neun Jahre bei der italienischen Tageszeitung «La Repubblica» gearbeitet. Damals interviewte ich Papst Franziskus dreimal.

Papst Franziskus blickt aus dem vatikanischen Gästehaus Santa Marta, 17. Juni 2017.
Papst Franziskus blickt aus dem vatikanischen Gästehaus Santa Marta, 17. Juni 2017.

Wie fühlten Sie sich, so nahe beim Papst?

Rodari: Ein bisschen Aufregung ist immer dabei. Aber er ist eine Person, die einem Wohlgefühl vermittelt. Er sucht immer nach Normalität in den Beziehungen. Tatsächlich habe ich mich nach der ersten Aufregung gut gefühlt.

«Dass er sein persönliches Erleben so offenlegte, hat mich überrascht.»

Welche Aussagen haben Sie am meisten überrascht?

Rodari: Zwei Aussagen haben mich etwas überrascht: Als Papst Franziskus sagte, wir seien – seiner Meinung nach – mit dem Ukrainekrieg bereits mitten im Dritten Weltkrieg. Vielleicht hat er das schon einmal gesagt. Aber das von ihm persönlich zu hören, war eine starke Sache. Ebenso, als er von seinem körperlichen Zustand erzählte. Er sagte, es gehe ihm besser mit dem Knie. Aber er habe sich fast geschämt dafür, im Rollstuhl fahren zu müssen. Dass er sein persönliches Erleben so offenlegte, hat mich überrascht.

Haben Sie den Papst zur Zukunft des Bistums Lugano befragt?

Rodari: Nein, das ist mir nicht in den Sinn gekommen. Ich habe aber nach seinem Schweiz-Bezug gefragt. Franziskus sagte, er liebe das Schweizer Volk sehr. Er sehe die Schweizer Neutralität positiv. Diese sei nicht einfach eine Möglichkeit, sich zurückzuziehen, sondern habe einen eigenen Wert.

«Der Papst hob den ökumenischen Dialog in der Schweiz hervor.»

Zudem hob der Papst den ökumenischen Dialog in der Schweiz hervor – vor allem zwischen der katholischen und der reformierten Kirche. Und er erzählte eine Anekdote.

Papst Franziskus empfängt Schulseelsorger aus der Schweiz am 7. Oktober 2022 im Vatikan.
Papst Franziskus empfängt Schulseelsorger aus der Schweiz am 7. Oktober 2022 im Vatikan.

Was für eine Anekdote?

Rodari: Papst Franziskus hat in seiner Studienzeit ein paar Jahre in Deutschland verbracht. Von da aus sei er einmal mit dem Auto nach Italien gefahren, um seine Verwandten zu besuchen. Dabei habe er sich in der Schweiz verfahren – wegen der Beschilderung.

Haben Sie den Papst auf Widersprüche angesprochen: Einerseits will er Reformen, andererseits geht er nicht mutig voran?

Rodari: Nein, das habe ich nicht thematisiert. Ich habe ihn aber darauf angesprochen, dass die Medien den Konflikt zwischen Konservativen und Progressiven in der Kirche hervorheben. Ich fragte ihn, ob er dies auch so sehe. Darauf meinte Papst Franziskus: Es gebe zwar unterschiedliche Sichtweisen. Aber die Aufteilung sei nicht eindeutig. Die Realität sei nicht schwarz-weiss, sondern auch grau.

Gewisse Interview-Partner antworten ausweichend. Andere sprechen Klartext. Zu welcher Sorte gehört der Papst?

Rodari: Er sprach sehr klar und antwortete direkt. Und er redete nicht um den heissen Brei herum.

«Papst Franziskus hat verschiedene Kardinäle gebeten ihm mitzuteilen, ob alles noch gut gehe.»

Liess er Fragen unbeantwortet?

Rodari: Nein, gar nicht. Ich sprach ihn auf das Gerücht seines möglichen Rücktritts an. Er antwortete, das habe er nicht im Blick. Als ich fragte, was ihn zum Rücktritt verleiten könnte, antwortete er umgehend: Wenn er eine Müdigkeit verspüre, die es ihm nicht mehr ermögliche, die Sachen eindeutig zu sehen. Dann wolle er zurücktreten. Er habe verschiedene Kardinäle gebeten, ihm mitzuteilen, ob alles noch gut gehe. Auch darüber hat er mir gegenüber offen gesprochen.

* Der italienische Journalist und Autor Paolo Rodari (49) wird von April an als RSI-Redaktor tätig sein. Aktuell – und seit 2022 – ist er Vizedirektor der Gruppe Athesis, eines lombardisch-venezianischen Medienunternehmens. Dort verantwortet er die digitale Transformation. Von 2013 bis 2022 arbeitete er für die Tageszeitung «La Repubblica», von 2016 an als Reporter. Er hat ein Lizentiat in Politikwissenschaften der katholischen Universität Mailand.


Journalist Paolo Rodari im Gespräch mit Papst Franziskus | © RSI
10. März 2023 | 17:15
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