Otto Lampe, Katharina Heyden, Tim Guldimann und SRF-Moderator Juri Steiner (v.l.)
Schweiz

Reformationsjubiläum soll zu einer Renaissance der Sinngebung führen

Bern, 28.2.17 (kath.ch) Das Reformationsjubiläum soll zu einer Renaissance in der Sinngebung führen. Das wünschte der deutsche Botschafter in der Schweiz, Otto Lampe, an einer Veranstaltung am Montag in Bern. Diese wurde vom Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund gemeinsam mit der Deutschen Botschaft und dem «Politforum des Bundes» organisiert.

Georges Scherrer

Deutschland gehe es heute so gut wie nie zuvor, sagte Lampe. In Deutschland seien die Reformationsfeierlichkeiten heute ein finanzielles Geschäft. Dabei gehe einiges verloren. Die Sinnsuche mache «latent deprimierend». Die Feierlichkeiten machten deutlich, dass etwas falsch läuft. Sein persönlicher Wunsch sei es darum, dass das Reformationsjubiläum zu einer Renaissance der Sinngebung führe.

Ansonsten wurde die Reformation an der Veranstaltung als wenig taugliches Mittel angesehen, um in Europa, wo national orientierte Parteien an Gewicht gewinnen, beispielhaft als einheitsstiftendes Element zu dienen. Denn die Reformation stehe auch für eine «harte Trennung», erklärte auf dem Podium Katharina Heyden, Professorin am Institut für Historische Theologie an der Universität Bern. Wenn schon ein Vorbild für Europa herhalten müsse, dann sei es die Schweiz mit ihren Strukturen, die erfolgreich Sprach-, Konfessions- und andere Grenzen überwinden.

Verhältnis Staat und Religion als Bremse

Tim Guldimann, Nationalrat und ehemaliger schweizerischer Botschafter in Berlin, machte einen weiteren Unterschied in der Folge der Reformation aus. Heute sei nicht das Verhältnis der Kirchen untereinander ein Hindernis beim Engagement für das Reformationsjubiläum, sondern das Engagement des Staates.

In Deutschland setze sich der Staat stark für das Jubiläum ein, sagte Guldimann, der Mitglied im Kuratorium des Deutschen Reformationsjubiläums war. Er könne sich aber nicht vorstellen, wie sich die Regierung etwa im laizistischen Genf hinter das Reformationsjubiläum stellen könne.

Calvin verhalf Luther weltweit zum Durchbruch

Auch die Person des Reformators «Martin Luther» gab in Bern zu reden. Im 15. Jahrhundert «brodelte» es in Europa bereits überall, sagte Leyden, die aus Berlin stammt. Sie nannte den Reformator darum einen «Katalysator», der die Zeichen der Zeit erkannt habe. Guldimann spielte seinen beiden Gesprächspartnern auf dem Podium die Schweizer Facette zu. Mit Luther wäre die Reformation eine deutsche Angelegenheit geblieben. Der Genfer Reformator Johannes Calvin habe die Reformation in die Welt hinausgetragen.

Guldimann zeigte sich erstaunt, dass in der Schweiz Wilhelm Tell und Winkelried hoch verehrt würden, Calvin dagegen nicht. Prägend für die moderne Schweiz sei auch der Zürcher Reformator Huldrich Zwingli gewesen Dieser habe den Begriff der Freiheit anders ausgelegt als Luther. Calvin und Zwingli hätten die «humanistische Emanzipation» in die Reformation hineingebracht.

Luther: «Hier steh ich und kann nicht anders»

Der Zürcher Zwingli habe, so Guldimann mit Verweis auf die «Zürcher Disputation», auf den Dialog gesetzt, Luther auf das «Wort». Oder in Leydens Worten: Zwingli war das gemeinsame Aushandeln vor Lösungen wichtig. Luther hingegen «stand hin» und gab das Beispiel vor.

Auch für den deutschen Botschafter Otto Lampe ist die Schweiz ohne Calvin in der heutigen Form nicht denkbar. Für Lampe war die Reformation in Deutschland einerseits eine Revolution, gleichzeitig aber auch reaktionär. Denn Luther habe die politischen Vorteile der deutschen Landesfürsten nicht angegriffen.

Der Geld-Gedanke

In der Schweiz sei Luthers Freiheitsbegriff viel breiter gefasst worden. Calvin habe sich für eine offene Geldwirtschaft ausgesprochen und darum einen viel grösseren Einfluss als Luther auf die Welt gehabt. Für die USA beispielsweise sei der Calvinismus prägender gewesen als Luthers Lehre der Sparsamkeit. Guldimann warnte aber doch, dass Calvin nicht mit der «postfaktischen Egomanie», wie sie der heutige US-Präsident Donald Trump vertrete, gleichgesetzt werden dürfe.

Das Podium «Die Bedeutung der Reformation für das 21. Jahrhundert» am Montag im Käfigturm in Bern eröffnete eine Veranstaltungsreihe. Am 15. März geht es im Käfigturm um «Reformation und Demokratie» und am 27. März um die «Reformation zwischen Krieg und Toleranz».

Otto Lampe, Katharina Heyden, Tim Guldimann und SRF-Moderator Juri Steiner (v.l.) | © Georges Scherrer
28. Februar 2017 | 16:09
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Luthers hinkende Interpretation der Freiheit

Wie umstritten die Freiheitsauffassung Luthers ist, zeigte die Präsidentin des Deutschen Evangelischen Kirchentags 2017, Christina Aus der Au, mit einem Zitat der Schriftstellers Thomas Mann auf, der über den deutschen Reformator schrieb: «Er war ein Freiheitsheld, aber in deutschem Stil, denn er verstand nichts von Freiheit. Ich meine jetzt nicht die Freiheit des Christenmenschen, sondern die politische Freiheit, die Freiheit des Staatsbürgers.»

In ihrem Impulsreferat an der Veranstaltung im «Käfigturm» betonte Christina Aus der Au, dass im Gegensatz zu Luther der Zürcher Huldrich Zwingli das Engagement für die weltliche Gerechtigkeit betont habe.

Beides sei also Erbe der Reformation: Die Freiheit des «inneren» Menschen, der Menschenrechte und Befreiungsbewegungen als einen Ausdruck säkularen Egos sehe, und die Freiheit des «äusseren» Menschen, der sich aus christlicher Motivation gesellschaftlich für politische Freiheit einsetze.

Die Notwendigkeit von Gemeinschaft

Gemäss der reformierten Auslegung der Freiheit könne jeder Geweihte mitreden. Wenn aber nicht nur der Papst sagen dürfe, so die Theologische Geschäftsführerin am Zentrum für Kirchenentwicklung der Universität Zürich, was in der Kirche gelten soll, dann sei gegeben, dass «jeder und jede zu einem Sonderfall» werde. In dem Fall zeige sich die Notwendigkeit von Gemeinschaft.

Der Protestantismus sei inhärent pluralistisch und die Wahrheit nicht anders als über die Vielstimmigkeit zu haben. In diese seien neben den Individuen nicht nur die Christengemeinden, sondern auch die Bürgergemeinden eingebunden. Den Kirchen käme die Aufgabe des «Wächteramts» zu.

«Wächteramt» der Kirchen

Dies zeige sich in der Schweiz beispielhaft an der Kirchenordnung der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Zürich und des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK). Beide betonen, dass sie öffentlich Stellung nehmen wollen, «wo gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen dem Evangelium Jesu Christi zuwiderlaufen», wie der SEK in seinen Legislaturzielen festhalte.

Notwendig sei eine gewissenhafte, prophetische Diskussionskultur, die sich nicht auf einen Diskussionsaustausch beschränken dürfe, so die Rednerin. «Individuelle Gewissensentscheidung heisst nicht ungefilterte Äusserung der eigenen, isolierten Überzeugung.» Die Gemeinde als Ganzes werde ihrer Verantwortung erst gerecht, wenn «individuelle, wachsame Mahnerinnen und Mahner dazu bereit sind, ihre eigenen und begründeten Überzeugungen dem freien Gespräch und der argumentativen Auseinandersetzung auszusetzen». (gs)