Doris Reisinger in Luzern
Schweiz

Radikale Kirchenreformen gegen die Missbrauchskrise

Doris Reisinger und Wolfgang Treitler haben am Montag an der Uni Luzern über Konsequenzen aus der Missbrauchskrise diskutiert. Vom synodalen Prozess erwarten beide «nicht viel».

Walter Ludin*

Der Kapuziner Walter Ludin
Der Kapuziner Walter Ludin

Die Theologin und Philosophin Doris Reisinger wurde durch ihre vielen Publikationen bekannt, in denen sie schilderte, wie sie als Ordensfrau in der Geistlichen Familie «Das Werk» massiv sexuell missbraucht wurde. In ihrem Vortrag an der Uni Luzern erinnerte sie daran, wie bisher mit dem Thema «Missbrauch» umgegangen wurde:

«Zuerst wurde behauptet, es handle sich bloss um Kampagnen kirchfeindlicher Kreise und Medien. Dann sprach man von Einzelfällen. Schliesslich wurde anerkannt, dass es sich um ein systemisches Problem handelt, das nur durch systemische Reformen gelöst wird.»

Der Luzerner Kirchenrechtsprofessor Adrian Loretan erklärte als Organisator und Moderator der Veranstaltung am Montagabend, das Fehlen von kirchlichen Grundrechten und die Kirche als Monarchie würden den sexuellen Missbrauch Schwacher begünstigen.

Das Ende der Kirche, wie wir sie kennen

Doris Reisinger formulierte die provozierende These, die notwendigen Reformen des Systems bedeuteten «das Ende der Kirche, wie wir sie kennen». Denn es müssten gesellschaftliche Errungenschaften wie Demokratisierung und die Anerkennung umfassender Menschen- und Kinderrechte in der Kirche eingeführt werden. Auch müsste im kirchlichen System Transparenz geschaffen werden.

Ausserdem sollte die Kirchenleitung endlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse rezipieren. Dass dies noch nicht der Fall sei, zeigten kirchenamtliche Schreiben, in den vor allem kirchliche Autoritäten zitiert werden, aber kaum säkulare Forscherinnen und Forscher.

«Kindlicher Gehorsam» gefordert

Der zweite Referent, Wolfgang Treitler, Professor für Fundamentaltheologie in Wien, ist ebenfalls ein Opfer sexuellen Missbrauchs. Sein Vortrag trug den programmatischen Titel: «Umkehr oder Untergang. Alternativen zur kirchlichen Infantilisierung und Gotteskrise».

Treitler zeigte die Entmündigung des Kirchenvolkes am Beispiel päpstlicher Schreiben von Johannes Paul II. Dieser hat ausdrücklich gewünscht, dass lehramtliche Aussagen mit «kindlichem Gehorsam des Willens und des Verstandes» aufzunehmen seien, auch wenn sie nicht als unfehlbar gelten. Dabei wisse die Hierarchie ganz genau, was Gottes Wille sei.

Zum Stichwort «Unterwerfung des menschlichen Körpers» meinte der Referent, es werde in der Kirche der Grundsatz vergessen: «Ich bin mein Körper und lebe als menschlicher Körper.» In der traditionellen kirchlichen Lehre aber gelte der Körper als etwas, das unterworfen werden müsse.

Noch nicht zu spät

Am Ende des Vortragsabends, der auch per Zoom übertragen wurde, wurden die Referentin und der Referent gefragt, was sie vom synodalen Prozess erwarten. «Nicht viel», war die übereinstimmende Antwort. Denn die «Laien» könnten diskutieren und debattieren, am Ende aber stehe der monarchische Entscheid des Papstes.

Am Ende des Abends meinte Adrian Loretan, für die notwendige Reform des kirchlichen Systems sei es nicht zu spät. Aber nicht mehr lange.

* Der Kapuziner Walter Ludin arbeitet als Journalist und Autor – und als Blogger bei kath.ch.


Doris Reisinger in Luzern | © Vera Rüttimann
15. März 2022 | 12:58
Lesezeit: ca. 2 Min.
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