Gründerinnen(v.l.n.r.): Rosmarie Schmid, Anna Leiser, Agnes Barmettler und Cornelia Weber.
Religion anders

Meilensteine der Frauengeschichte: Die zwei Zürcher Labyrinthe sind verbunden

Nach 32 Jahren Projektierungszeit wurde diesen März das Steinlabyrinth vor dem Grossmünster feierlich eröffnet. Am 25. Juni verbanden Frauen und Interessierte in einer gemeinsamen Begehung das Steinlabyrinth mit seiner grünen «Schwester» auf dem Zeughaushof.

Eva Meienberg

Von der Limmat herauf lärmen Anfeuerungsrufe. Ein Weidling-Wettkampf ist in vollem Gange. Der Lärm mischt sich mit dem Geläut des Grossmünsters, als um 11 Uhr der fremde Klang eines Muschelhorns ertönt. Rund 30 Frauen versammeln sich an diesem 25. Juni beim Steinlabyrinth, um einen «Meilenstein der Frauengeschichte» zu feiern, wie es auf der Einladung heisst.

Labyrinthe als öffentliche Frauenplätze

Genau genommen feiern die Frauen keinen Meilenstein, sondern viele helle Kopfsteine, die in den Platz vor der Nordwestfassade des Grossmünsters zu einem Steinlabyrinth eingelassen wurden. Das Labyrinth bildet das Gegenstück zum Pflanzenlabyrinth auf dem Zürcher Kasernenareal. Beide Labyrinthe wurden zwischen 1986 und 1991 im «Projekt Labyrinth – öffentliche Frauenplätze international» von Frauen rund um die Protagonistinnen, Agnes Barmettler und Rosmarie Schneider, entwickelt. Die Frauen fanden im Labyrinth ein «Urzeichen», «eine Struktur», die ihren Bedürfnissen und Visionen entsprach.

Steinlabyrinth beim Grossmünster von oben.
Steinlabyrinth beim Grossmünster von oben.

Das Pflanzenlabyrinth wurde 1991 im Rahmen eines Wettbewerbes zur 700-Jahr Feier der Eidgenossenschaft realisiert. In der Projektbeschreibung für den Wettbewerb schrieb Rosmarie Schmid: «So selbstverständlich wie Fussballplätze, Bibliotheken, Hallenbäder und andere öffentliche Einrichtungen sollte in grösseren Gemeinden und Städten ein Labyrinthplatz zur Verfügung stehen, von Frauen initiiert, verwaltet und in Absprache mitgestaltbar, frei zugänglich, für alle, als Ort der Besinnung, als Neuorientierung in der Gegenwart, als Kulturmuster für Umgangs- und Bewegungsformen im öffentlichen Raum.»

Hexen vor dem Grossmünster und eine Wölfin im Pflanzenlabyrinth

Das Steinlabyrinth wurde erst 2022 realisiert, weil der Grossmünsterpfarrer und Mitglieder seiner Kirchgemeinde damals keinen Gefallen am Projekt fanden.

«Selbstbewusste Labyrinth-Weiber vor dem Grossmünster weckten Hexen-Assoziationen.»

Agnes Barmettler erinnerte sich in der Jubiläums-Publikation zum 20-jährigen Bestehen des Pflanzenlabyrinths: «In den anschliessenden Gesprächen kam dann mehr oder weniger offen heraus, dass sie kein heidnisches Zeichen vor ihrer Kirche wollten und dass diese selbstbewussten Labyrinth-Weiber die alte Angst vor Hexen wachriefen.»

Ankunft beim Steinlabyrinth vor dem Grossmünster.
Ankunft beim Steinlabyrinth vor dem Grossmünster.

Das Pflanzenlabyrinth auf dem Kasernenareal hingegen stiess bei der Quartierbevölkerung im Zürcher Kreis vier von Anfang an auf grosses Echo. Wer Hand anlegen wollte, konnte einen Flecken Erde bepflanzen. Ansässige Zürcherinnen jäteten neben Zugezogenen aus den verschiedensten Ländern. Das gemeinsame Gärtnern findet auch heute noch statt.

Neben dem Garten ist der Labyrinthplatz auch Ritualplatz. Dort werden Feste zum Lebensanfang gefeiert, Herbst-Abschiedsfeiern, Lichter entzündet an Heiligabend. Die Sängerin La Lupa eröffnet jährlich die Labyrinth-Saison an Gründonnerstag. Auf dem Labyrinthplatz fanden aber auch die «politischen Labyrinthgespräche», Poesieabende, Tanzperformances, Theater, Konzerte und Lesungen statt.

Agnes Barmettler (re.) beim Pflanzenlabyrinth.
Agnes Barmettler (re.) beim Pflanzenlabyrinth.

Labyrinth nicht Irrgarten

Caroline Krüger ist an diesem warmen Sommermorgen auch dabei an der Feier des Steinlabyrinths. Sie ist seit 2007 eine Labyrinthfrau und seit vergangenem Jahr engagiert sie sich im Vorstand des Vereins Labyrinthplatz Zürich. Die Philosophin bietet dort unter anderem geführte «Labyrinth-Pausen» an. Gemeinsam durchschreitet sie mit den Teilnehmenden das Labyrinth, nachdem sie ihnen eine Anregung mit auf den Weg gegeben hat. «Ich kann den Wegen des Labyrinths vertrauen, denn es ist kein Irrgarten».

«Im Labyrinth ist der Weg das Ziel.»

Den Labyrinth-Gängerinnen rät sie, auf dem Hauptweg zu bleiben, der in die Mitte zum Umkehrplatz führt und die kleinen Zwischenweglein der Gärtnerinnen nicht zu begehen. Obwohl man in einem Labyrinth zweimal den gleichen Weg gehe, erlebe man nicht zweimal das Gleiche, weil die Perspektive wechsle. «Das Labyrinth ist das Gegenteil von der Maxime: Möglichst schnell zum Ziel.»

Ihr gefällt, dass der Labyrinthplatz ein Ort ist, der von allen Menschen genutzt werden kann, ohne einer bestimmten Gemeinschaft anzugehören. Sie selbst bezeichnet sich als nicht religiös. Alle Menschen seien frei, den Labyrinthplatz zu nutzen. «Mir gefällt die temporäre Zugehörigkeit ohne Bekenntnis», sagt Caroline Krüger. Das Labyrinth sei kein Kreis, sondern eine offene Struktur, die jederzeit verlassen werden könne.

Labyrinth als Symbol für All-Verbundenheit

Das siebengängige Steinlabyrinth neben dem Grossmünster hat seinen Eingang im Norden. Von da pendelt der Labyrinthweg in die Mitte und wieder raus. Cornelia Weber begleitet den Labyrinthplatz seit seiner Gründung. An diesem Sonntag leitet sie die Frauen zu einem Tanz durch das Labyrinth an. Hand in Hand gehen die Frauen schweigend vier Schritte, wiegen hin und her, vier Schritte…

«Das Labyrinth macht bewusst, dass wir mit allem verbunden sind.»

In das Gehen in Stille reihen sich ein paar Sonntagsspaziergängerinnen ein. Touristen bleiben stehen, fotografieren und filmen.

Für Cornelia Weber hat das Labyrinth auch eine spirituelle Dimension. «Spiritualität heisst für mich, sich bewusst zu sein, dass wir mit allem verbunden sind; in der Horizontalen und auch in der Vertikalen sowie das Bewusstsein zu üben, gleichzeitig innen und aussen zu sein.»

Kreistanz mit Cornelia Weber.
Kreistanz mit Cornelia Weber.

Sie sei durch die 1968er-Jahre sozialisiert worden, sagt Cornelia Weber. Sie habe den Auf- und Ausbruch der Frauen damals miterlebt. In den 80er und 90er Jahren seien viele Frauenprojekte entstanden. Das Pflanzenlabyrinth sei eines der wenigen, die überlebt hätten. «Die Arbeit für und mit Frauen ist mir immer wichtig gewesen.» 1989 war sie beim sogenannten Frauenpalaver mit den Gründerinnen Rosmarie Schmid und Agnes Barmettler dabei. Damals überlegten sie gemeinsam, wie der Labyrinthplatz aussehen soll.

«Beim Kreis(-tanz) haben alle die gleichen Voraussetzungen, der Weg zur Mitte ist für alle gleich.»

Bis heute ist sie auf dem Labyrinth Platz tätig, sei es als Kreistanzleiterin, als Begleiterin oder als Teilnehmende an Veranstaltungen. Der Kreis ist ihr wichtig. «Alle haben gleich weit zur Mitte und wenn alle das Ihrige beisteuern, dann wird es funktionieren», sagt die Musikpädagogin in Pension und Labyrinthfrau der ersten Stunde.

Ein Labyrinthplatz, der alle, wirklich alle, willkommen heisst

Die Frauen tanzen aus dem Labyrinth heraus. Nun ist es Zeit, um aufzubrechen in Richtung Kasernenareal. Die älteren Damen nehmen das Tram. Die jüngeren Semester machen sich zu Fuss, mit Kinderwagen, Velo und Trottinette auf den Weg. Im Pflanzenlabyrinth tummeln sich Sonntagsgärtnerinnen. Zwei Männer holen für ihr Fest Wasser in grossen Kübeln vom Wasseranschluss auf dem Labyrinthplatz. Das Partyvolk nüchtert im Schatten der Bäume aus.

Laura Lots hilft den Buffettisch in den Schatten zu tragen. Sie ist auch eine der fünf neuen Vorstandsfrauen des Vereins und kümmert sich um die Finanzen. Für sie sind Frauenräume und Frauenorte wichtig. Deshalb engagiert sie sich auch im autonomen Frauen*Zentrum Zürich in verschiedenen feministischen Projekten.

Screenshot Homepage «labyrinthplatz.ch».
Screenshot Homepage «labyrinthplatz.ch».

Sie sei nüchtern-protestantisch sozialisiert worden, wort- und kopflastig. Ausser der Musik habe sie keinen Zugang zu christlicher Spiritualität, sagt die Religionswissenschaftlerin. Auf dem Labyrinthplatz, wo sie die Vögel singen höre, finde etwas statt, dass sie sehr schön finde. Konkreter wird Laura Lots nicht. Sie nimmt gerne am offenen Singen teil, das einmal im Monat stattfindet. Als Religionswissenschaftlerin versuche sie ihre wissenschaftliche Brille abzulegen und einfach mitzumachen. Ihr gefällt die Diversität unter den Frauen. Alle finden auf dem Labyrinthplatz etwas Eigenes. Als neue Vorstandsfrau will sie sich dafür einsetzen, dass es mehr Angebote mit Kindern geben wird.

Eine bessere Welt entsteht im Kleinen

Unterdessen sind alle Labyrinthfrauen auf der Kasernenwiese angekommen. Die knalligen Wassermelonenschnitze sind im Nu weg. Agnes Barmettler mit ihrem breitkrempigen Hut, an dem eine Feder und ein Edelweiss stecken, hält ihren Entwurf des Labyrinthplatzes in der Hand und sagt: «Die Erde gehört uns nicht, wir gehören ihr!»

Seit ihrem Projekt auf der Kasernenwiese ist eine internationale Labyrinthbewegung entstanden. In über 130 Städten in Europa, Amerika und Australien gibt es Labyrinthe im öffentlichen Raum. Orte, an denen Frauen ihre Visionen einer besseren Welt kultivieren und feiern.


Gründerinnen(v.l.n.r.): Rosmarie Schmid, Anna Leiser, Agnes Barmettler und Cornelia Weber. | © Eva Meienberg
8. Juli 2023 | 07:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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Labyrinthplatz
1991 realisierten engagierte Frauen, im Zeughaushof, auf dem ehemaligen Militärgelände, mitten in der Stadt Zürich, einen öffentlichen Frauenplatz. Seither wird der Raum vom Verein Labyrinthplatz Zürich und vielen freiwilligen Helfer*innen gestaltet, gepflegt und mit verschiedenen Veranstaltungen belebt. www.labyrinthplatz.ch