Luzern: Forum für offene Katholizität befasste sich mit neuen Aufbrüchen

Luzern, 15.3.16 (kath.ch) «Fragt die Gläubigen!» Mit diesen Worten forderte Papst Franziskus im Vorfeld der Bischofssynode 2014/15 zu Fragen von Ehe- und Familienpastoral dazu auf, dem Volk den Puls zu fühlen. Damit gab er den Impuls zu einer neuen Methode, einer neuen Form des Hörens, um den Glaubensinstinkt der Gläubigen in die Verkündigung des Lehramtes einfliessen zu lassen. Dieses theologische Neuland war Thema des 39. Dialogs des Forums für offene Katholizität (FOK) am 14. März, im Romerohaus Luzern.

Paul Jeannerat*

Dem Aufruf des Papstes folgend versuchte der Vatikan selbst das Volk Gottes zu befragen, allerdings mit bescheidenem Erfolg: Die Fragebögen wurden als unverständlich empfunden und darum wenig verbreitet. An diesem Punkt setzte ein Forschungsprojekt dreier Studierender der Theologie und der Sozialwissenschaften aus Münster in Westfalen an. Sie erstellten einen alternativen, verständlicheren Fragebogen in sieben Sprachen und verbreiten diesen in zwölf Ländern. Über 12’400 Antworten gingen ein, eine nie erwartete Anzahl, die klar bewies, dass es möglich ist, den Stimmen der Gläubigen im synodalen Prozess Gehör zu verschaffen.

Die drei Studierenden Sarah Delere, Anna Roth und Tobias Roth waren Gast am 39. Dialog des Forums für offene Katholizität (FOK). Am Vorabend hatten sie im Haus der Religionen in Bern eine Anerkennung der Herbert Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche erhalten.

Im konkreten Leben klaffen Ideal und Wirklichkeit oft auseinander

Ziel ihrer Forschung war es, anhand der vatikanischen Umfrage, aber in leicht verständlicher Sprache, sowohl mit Papierfragebögen als auch mit einer Online-Befragung die Beteiligungsmöglichkeiten zu erweitern. Sie erhielten Rückmeldungen aus insgesamt 42 Ländern. Alle Alters- und Sozialgruppen waren vertreten, überwiegend kirchlich aktive Katholikinnen und Katholiken.

Kulturgebundenes Verhalten berücksichtigen

Als zentrale Ergebnisse orteten die Studierenden Spannungen zwischen grundsätzlicher Verbundenheit mit Kirche und Glaube einerseits und deutlich kritisch-distanzierte Auseinandersetzung mit Teilen der kirchlichen Lehre andererseits. Dabei wurde auch festgestellt, dass Lehrmeinungen der offiziellen Kirche in Fragen von Ehe und Familie für viele an der Umfrage Teilnehmende völlig irrelevant sind.

Deutlich war den Rückmeldungen der Wunsch nach Berücksichtigung spezifisch kultureller Kontexte zu entnehmen. Voreheliche Beziehungen sind in einzelnen Kulturen eine Selbstverständlichkeit, in andern Kontexten eine Sünde. Stark wurde auch der Wunsch nach Gradualität in der kirchlichen Lehre (»Hierarchie der Wahrheiten») betont und festgehalten, dass im konkreten Leben Ideal und Wirklichkeit oft auseinanderklaffen.

Moraltheologin: Theologie lässt sich weiterentwickeln

Die Methode und die Ergebnisse der Forschungsarbeit der Studierenden wurden kritisch beurteilt von Stephanie Klein, Professorin für Pastoraltheologie an der Universität Luzern. Sie wies darauf hin, dass sich die Umfrage auf zentrale Punkte fokussiere: Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, Umgang mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, Zusammenleben vor der Ehe, Zölibat, Diakonat der Frau.

Ehetheologie als Beziehungstheologie verstehen lernen

Die Pastoraltheologin bemängelte, dass vorwiegend gemeindenahe aktive Christinnen und Christen erfasst wurden, und stellte die Frage, wie auch kirchenferne Menschen einbezogen werden könnten. Sie zeigte auch auf, dass durchaus Möglichkeiten bestehen, die alten lehramtlichen Traditionen theologisch weiter zu entwickeln, zum Beispiel die weitere Entfaltung der Ehetheologie als Beziehungstheologie.

Programmatische Worte

Alois Odermatt, Historiker und Theologe, beurteilte die von den drei Studierenden angewandte Methode aus historischer Sicht: Das Zweite Vatikanische Konzil führte das Programmwort «die Zeichen der Zeit verstehen» in die Theologie ein und betonte die «eigenen Gaben der Laien» bei der Deutung der Zeichen. Die nachkonziliaren Kirchenversammlungen von Medellin (1968) und Puebla (1979) benutzten erfolgreich das Modell «Sehen – Urteilen – Handeln».

Das Feuer der Begeisterung muss weitergegeben werden

Papst Franziskus führte nun das Modell «Fragt die Gläubigen» ein, was im Projektbericht der drei Studierenden als neue «Form des Hörens» bezeichnet wird, die «den Wunsch der Gläubigen nach dialogischem Austausch» und nach stärkerem «Ernstgenommen werden ihrer Lebenswirklichkeit» stark zum Ausdruck zu bringen vermag.

Das Feuer der Begeisterung, das die drei Studierenden ausstrahlten, ging auf die etwa 40 Teilnehmenden über und führte zu einer regen Diskussion. Viele von ihnen hatten in ihrer Jugendzeit die Aufbruchstimmung, die Papst Johannes XXIII. anfachte, miterlebt. Jetzt spürten sie wiederum, wie der gegenwärtige Bischof von Rom mit frischem Wind auch Jugendliche von heute begeistern kann. (gs)

* Paul Jeannerat ist Theologe und Journalist und Mitglied des Kernteams «Forum offene Katholizität».

Sarah Delere, Anna Roth, Tobias Roth | © 2016 Vera Rüttimann
15. März 2016 | 16:51
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Forum für offene Katholizität

Das Forum für offene Katholizität (FOK) führt seit 2009 in Zusammenarbeit mit dem Verein tagsatzung.ch jährlich sechs Dialoge im Romerohaus Luzern durch. Sie richten sich an in der Seelsorge aktive Priester und Laientheologen, darüber hinaus an alle an Fragen des Glaubens und der Kirche interessierten Personen.

Moderator der Dialoge ist der Theologe Thomas Staubli, Dozent für Altes Testament an der Universität Freiburg (Schweiz) und Mitbegründer des dortigen Bibel+Orient Museums.

Der nächste, 40. Dialog, findet am Montag, 18. April 2016, 14 bis 17.30 Uhr, im Romreohaus Luzern statt. Zum Thema «Das Heilige und die Gewalt» werden die beiden Professoren der Universität Freiburg i.Ü. Richard Friedli und Hansjörg Schmid Thesen vortragen. (gs)