Queerer Gottesdienst in der Bruder-Klaus Kirche Biel
Schweiz

LGBTQ-Gottesdienst in Biel: Jesus ist Vorbild für queere Menschen

Unter dem Motto «Geht, zeigt euch!» feierten in Biel Katholikinnen und Katholiken einen LGBTQ-Gottesdienst. Es wurden neben Ermutigungen auch ernste Töne angesprochen, wie etwa, dass viele unter Depressionen leiden und manche sogar Suizid begehen.

Vera Rüttimann

«Geht, zeigt euch!» Unter diesem Motto feierten Katholikinnen und Katholiken am Sonntag in Biel einen LGBTQ-Gottesdienst. Anlass war der «Coming-Out-Day». Zum ersten Mal fand in der Kirche Bruder Klaus in Biel am Sonntagnachmittag ein Gottesdienst für die Menschen statt, die lesbisch, schwul, trans, queer sind. Abgehalten wird er von Pastoralraumpfarrer Peter Bernd, Elisha Schneider. Ebenso von Rebecca Burkhardt und Susanne Andrea Birke, die beide Teil des Arbeitskreises Regenbogenpastoral des Bistums Basel sind. Thomas Jann vertrat den Basler Bischof Felix Gmür.

Plakat Regenbogenpastoral
Plakat Regenbogenpastoral

Redner aus dem Seelsorgeteam gingen beim diesjährigen Gottesdienst auf die verschiedenen Aspekte des Leides von betroffenen queeren Personen ein und zünden für sie eine Kerze an. Elisha Schneider weiss: «Junge und ältere Menschen gehen heute offener mit ihrer sexuellen Orientierung um. Immer mehr identifizieren sich nicht mehr mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Sich selber zu finden ist ein spannender, lustvoller, manchmal aber auch schmerzhafter Prozess.» 

Brennende Kerzen

«Diese Kerze brennt für Frauen, Männer und Jugendliche, die schwule, lesbische, bi- und auch heterosexuelle Menschen sind, die unangepasst und abseits von Rollenmustern leben. Vor allem für die, die darum ausgegrenzt, verfolgt, in Gefängnissen und Konzentrationslagern gequält und ermordet wurden. Die, die heute in Angst leben müssen, weil sie lieben. Die, die ermordet und hingerichtet werden, weil sie geliebt haben», sagte Peter Bernd aus dem Pastoralraum Biel-Pieterlen. Die Kerze brenne auch für jene, die wegen Geschlecht oder sexueller Orientierung verletzt, ausgegrenzt und ausgeschlossen werden. Eine weitere Kerze wurde für queere Menschen angezündet, die für ihre Rechte auf die Strasse gehen. Zwischen den Redebeiträgen wurde das Lied «Sende aus deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu» gesungen.

Coming Out Day

Etwa hundert Menschen kamen zum Gottesdienst, dessen Anlass der «Coming Out Day» war. Seit 1988 wird dieser jedes Jahr am 11. Oktober begangen. Das Datum ist der Jahrestag des «National March on Washington for Lesbian and Gay Rights», einer Grossdemo für die Rechte der queeren Gemeinschaft. 1991 fand er das erste Mal in der Schweiz statt.

Susanne Andrea Birke
Susanne Andrea Birke

«Wir setzen uns für eine Kirche ein, die alle so akzeptiert, wie sie sind», sagte Susanne Andrea Birke. Dennoch fehle es an sicheren Orten, an denen Menschen sich offen zeigen können. Viele queere Menschen seien verletzt worden. «Lehramtliche Aussagen und Kirchenrecht grenzen aus», sagte Susanne Andrea Birke. «Im Wissen um diese Zwiespältigkeit und mit der Sehnsucht nach einer Kirche, die niemand ausschliesst und abwertet, sind wir heute hier.»

Queere Menschen werden abgelehnt

Gerade in religiösen Kreisen, welche sich buchstabengetreu auf die Bibel stützen, betrachten queere Menschen als krank. «Sie lehnen queere Menschen ab, ihre Lebensform ist für sie Sünde», sagt Elisha Schneider. Immer wieder komme es zu «Heilungsversuchen» von queeren Menschen. Psychiatrie und Psychotherapie sind sich heute über die folgenschwere Wirkung solcher «Heilungsversuche» einig: «Sie sind falsch und unwissenschaftlich.» Konversionstherapien können Menschen aus der LGBT-Communitiy unglaublich schaden. «Meistens ist das Resultat einer solch fragwürdigen Praxis traumatisierend, häufige Folgen sind Depression und Suizid», sagt Elisha Schneider.

Queerer Gottesdienst in der Bruder-Klaus Kirche Biel
Queerer Gottesdienst in der Bruder-Klaus Kirche Biel

Für Elisha Schneider ist Jesus für queere Menschen ein Vorbild: «Er ist hinaus gegangen und hat sich gezeigt. Er hat gesagt, wer er ist und wofür er steht.» Jesus habe sich für die eingesetzt, die am Rande stehen. Für die Kranken, Aussätzigen und alle Andersartigen. «Zu Jesu Zeiten mussten sich all diese Menschen am Rande der Gesellschaft bewegen. Queere Menschen erleben dies heute ebenso.»

Fliessend zwischen Mann und Frau

Aufgabe des «Coming Out Day» sei es, zu betonen, wie wichtig das Coming-out für einen queeren Menschen sei. Wie heilsam es sei, sich zu zeigen und sagen, wer man ist, habe Elisha Schneider selber erlebt. «Als ich erkannte und öffentlich sagte, dass ich nicht-binär bin, dass mein Geschlecht sich fliessend zwischen Mann und Frau bewegt, erlebte ich eine grosse Befreiung.» Elisha Schneider sei unterwegs auf Menschen angewiesen gewesen, die mutig vorangegangen sind. «Auch in der Kirche.»


Queerer Gottesdienst in der Bruder-Klaus Kirche Biel | © Vera Rüttimann
11. Oktober 2022 | 14:40
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!