Leo Karrer. emeritierter Professor für Pastoraltheologie
Schweiz

Leo Karrer: Es geht um Seelsorge, nicht Kirchensorge

Unter dem Titel «Seelsorge ist angesagt, nicht Kirchensorge» äussert sich Leo Karrer, emeritierter Professor für Pastoraltheologie an der Universität Freiburg i. Ü. auf kath.ch über die Auseinandersetzung um den Pfarrer von Bürglen, der ein lesbisches Paar gesegnet hat.

Leo Karrer

Kirche im Umbruch

Weltweit hat sich die innerkirchliche Stimmung unter dem «neuen» Papst Franziskus geändert. Das mediale Echo auf seine Impulse ist bis jetzt ungebrochen. Es muss u.a. an seiner charismatischen Persönlichkeit liegen. Aber es hat auch mit der widersprüchlichen Basis-Stimmung in der Kirche zu tun. Das geschichtlich gewachsene System der Kirche hat innerkirchliche Probleme anstauen lassen, ohne konkrete Schritte im Sinne des II. Vat. Konzils (1962-1965) auf Reformen hin zu unternehmen. Die nachkonziliaren Naherwartungen auf Reformen hin haben sich verzögert. Das Problem liegt nun m.E. nicht zuerst in der praktischen Hilflosigkeit der Verantwortlichen, die strittigen Punkte konkret anzugehen. Das ist bei einem weltweiten Geisteskonzern wie der Kirche auch alles andere als leicht. Aber dass die Kirchenführung die sog. «heissen Eisen» (z.B. Priestermangel, Ordination der Frauen, synodale Mitsprache…) nicht wahrnehmen will und sogar deren Diskussion mit Berufung auf eine unfehlbare Einheit tabuisiert. Das vergiftet die Atmosphäre. Denkverbote verursachen mentale Infektionen. Unter den letzten Päpsten sind die dringlichen Hausaufgaben abgewehrt worden, nicht zuletzt durch Bischofsernennungen, die ganzen Bistümern den Frieden und die Freude kosten. Und in dieser winterlichen Stimmung durchbricht Papst Franziskus gerade diese Tabus und Diskussionsverbote. Er trägt der Realität des Lebens Rechnung, ohne die religiöse Tiefe zu verraten.

Seine Weihnachtsansprache am 22. Dezember 2014 an die Oberen der vatikanischen Kurienbehörden hat das Bild einer heilen Kirche radikal in Frage gestellt und nach ihrem konkreten Dienst in der heutigen Welt gefragt. Dies entgiftet und befreit. Auf die Dauer müssten aber auch konkrete Schritte in die Wege geleitet werden, die nach langen synodalen Prozessen die anstehenden Reformen angehen. Das zentralistisch übersteuerte, patriarchale und höfische System ist reformbedürftig.

Beunruhigende Schlagzeilen

In dieser Situation beunruhigen Vorgänge auf der Ebene der schweizerischen Bischofskonferenz. Hochaktuell ist die Absetzung von Pfr. Wendelin Bucheli als Pfarrer in Bürglen durch Bischof Huonder. In der Medienwelt ist darob ein in seiner Bedeutung nicht minderer Vorgang kaum in die Breite gelangt: die mit knapper Stimmenmehrheit beschlossene Entlassung von Simon Spengler als Sprecher der Schweizerischen Bischofskonferenz. Hat ein «rechtes Lager» in der Bischofs­konferenz das Sagen? Die katholische Allianz «Es reicht» hat schon mit ihrer Kundgebung im März 2014 gegen Verlaut­barungen des Bischofs von Chur in Zusammenhang mit der eucharistischen Gastfreundschaft und mit der Zulassung zur Kommunion für geschiedene Wiederverheiratete ein klares Signal gesetzt. Unmittelbar vor dem Besuch der Schweizer Bischöfe anfangs Dezember 2014 in Rom hat Bischof Morerod einen Text «Überlegungen zur Eucharistie im ökumenischen Kontext» (17. Nov. 2014) in einem dogmatischen lebensfremden Ton herausgegeben, in dem er Bischof Huonder sekundierte. Auch im Fall des Pfarrers von Bürglen stellte er sich auf die Seite des Bischofs von Chur. — Was soll man dazu verantwortlich sagen?

Im Konflikt mit dem Konflikt

Die Umbrüche in der Kirche führen zu unterschiedlichen Kirchenbildern und polarisieren in verschiedene Fraktionen. Alles hat sich geändert: das Verständnis von Kirche, Christsein und Seelsorge, die pastoralen Modelle und die kirchlichen Sozialformen (wie Pfarrei, Dekanat…) und vor allem das Personal bzw. die neuen pastoralen Dienste. Einzig und allein das kanonische Recht der Kirche ist vorkonziliär stecken geblieben. Es ist für das, was gewachsen ist und Zukunft sucht, zu eng geworden. In solchen Zeiten braucht es Brückenbau und Dialoginstrumente, nicht verbohrten Rückzug auf ideologische Brückenpfeiler. Für Spannungen und Mitsprache in einer synodalen Kirche (nicht gegen den Papst, sondern mit ihm, und nicht gegen das Volk Gottes, sondern mit ihm) sind wir aber schlecht vorbereitet.

Mangelnde Instrumente für Mitsprache lassen Konflikte anstauen und reizen erst recht zur Gegenwehr. So denke ich, dass sich hinter der Solidarisierung mit Pfr. Wendelin Bucheli ein lang angestauter Vorbehalt gegen die Bistumsleitung in Chur Bahn bricht.

Beim Konflikt in Bürglen reiben sich das kanonische Recht und das staatskirchenrechtliche System. Die Wählbarkeit eines Pfarrers hängt von der Missio ab und umgekehrt. Wie im Fall Röschenz vor Jahren zeigt sich aber, dass es keine Appellationsinstanz gibt, wenn es zwischen beiden Systemen zum Konflikt kommt. Einvernehmliche Lösungen öffneten einen Ausweg.

Bei aller Mühe und bei aller Kritik ist nicht zu vergessen, dass es auch in einem reformbedürftigen System eine richtige Praxis gibt. Und dafür sind wir ganz persönlich selber verantwortlich und haftbar.

Es wäre zu einfach, mit der berechtigten Kritik an der Kirche sich von ihr als Glaubensgemeinschaft zu verabschieden. Mit Hinweis auf das unideale System der Kirche kann man sich nicht aus der persönlichen Eigenverantwortung stehlen und sich schenken, im Christsein selber erwachsen zu werden und sich selbst und andere dabei auszuhalten. Zudem meint das spezifisch Christliche das entscheidend Menschliche. Wenn immer es um das Entscheidende im Leben geht, bezahlt man mit sich selber, auch in der eigenen Glaubensbiographie.

Segnen kann man nicht üppig genug

Der Konflikt in Bürglen entzündete sich an der Segnung eines lesbischen Paares. Ist Segen nicht das, was wir uns und allen Menschen nur wünschen können — in guten und in schweren Tagen und in der ganzen Spannung zwischen Natur und Kultur, ein Leben lang.

Die Grundfrage mündet letztlich in die spirituelle Existenzfrage: Wem vertrauen wir? Auf wen setzen wir die Hoffnung? Ist es das Vertrauen auf die Treue Gottes oder auf die scheinbaren Garantien der Kirche als Institution oder unsere Leistung?

Die Seele der Kirche ist im Horizont der biblischen Botschaft die Einheit der Menschen- und Gottesliebe (Karl Rahner). Kirche wird als solche da erfahren, wo Menschen sich miteinander auf den Weg und die Botschaft Jesu einlassen, und wo in unserem persönlichen und gesellschaftlichen Alltag von jener neueren und grösseren Liebe und Hoffnung etwas gelebt und erfahren wird, von denen uns die biblischen Urkunden des Glaubens erzählen.

So wird sich der Kirche die Einsicht als Auftrag und als Ent­lastung schenken, dass sie einer Liebe dient, die sie nicht selber erfüllen muss und kann. Gott ist immer grösser. Leicht denken wir Gott zu klein.

Und es ist diese oft auch allzu menschliche Kirche, in der und durch die wir den Weg zur Botschaft Jesu mit der Hoffnung für alle Menschen finden durften. Und diese Hoffnung möchte in vielen Schritten in unserem Alltag gleichsam «auferstehen». Damit verbunden sind Erfahrungen der Freude, der Dankbarkeit, des Aushaltens von Fremdheit, des Ringens und Streitens und der Versöhnung, des Mutes zum langen Atem und des Staunens… und hoffentlich auch des Trostes bei allem Verstummen. (kath.ch)

Leo Karrer. emeritierter Professor für Pastoraltheologie | © Ludwig Südbeck-Baur
14. Februar 2015 | 13:30
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