Video-Konferenz in Rom im März 2022: Papst Franziskus und Kardinal Kurt Koch mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion.
International

Kirchenexpertin: «Ein Besuch des Papstes in Kiew wäre ein starkes Zeichen»

Papst Franziskus und der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. haben am Mittwoch per Video-Schalte über den Krieg in der Ukraine gesprochen. Die Kirchenexpertin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin, Regina Elsner, kritisiert beide Religionsführer. Franziskus’ Strategie der «Vorsicht gegenüber Moskau» hält die katholische Theologin angesichts des Krieges für «verheerend».

Oliver Hinz

Kann das Telefonat von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. etwas zum Stopp des russischen Angriffs auf die Ukraine beitragen?

Regina Elsner
Regina Elsner
Regina Elsner: Grundsätzlich kann jeder Gesprächskanal hilfreich sein. Die Frage ist, worüber gesprochen wird und welche Einflussmöglichkeiten es wirklich gibt. Also auch, welchen Einfluss Kyrill auf Putin und seine Kriegsführung haben könnte – in meiner Wahrnehmung aktuell eher keinen.

«Die Zurückhaltung des Papstes wird vom Moskauer Patriarchat als Chance gesehen.»

Der Papst war bisher zurückhaltend mit klaren Worten gegenüber Russland, auch, um als Vermittler weiter zur Verfügung zu stehen. Diese Zurückhaltung wird aber offensichtlich vom Moskauer Patriarchat als Chance gesehen, den Papst als Partner zu präsentieren. Vor diesem Hintergrund ist ein solches Telefonat sehr riskant.

«Es geht um ein diffuses ‘Wir’.»

Franziskus sprach davon, dass die Rechnung für den Krieg sowohl die russischen Soldaten als auch die Menschen bezahlen, die bombardiert werden und sterben. Benennt der Papst klar genug die Verantwortung von Präsident Putin und Kyrill I.?

Elsner: Nein, die Verantwortung Russlands und vor allem auch die Verantwortung des Moskauer Patriarchen wird nach wie vor nicht deutlich in den Worten des Papstes. Wir wissen natürlich nicht, was der Papst tatsächlich gesagt hat, und wir sehen auch, dass seine Formulierungen deutlicher werden, je länger der Krieg andauert. Aber die offiziellen Zitate des Vatikan zeigen, dass es nach wie vor um ein diffuses «Wir» geht bei den Bemühungen um Frieden und der Priorität des Verhandlungsweges.

Wer ist dieses «Wir», wenn hier eine Kirche, Kyrill persönlich, das schonungslose Vorgehen der russischen Armee in der Ukraine rechtfertigt? Über welche gemeinsamen Vorstellungen von Frieden und Gerechtigkeit spricht der Papst hier, wo der Patriarch genau diese Konzepte für den Krieg missbraucht? Und auch die offensichtlichen Lügen in der Darstellung der Ereignisse in der Ukraine durch die Kirchenführung in Moskau müssten deutlich angesprochen werden.

Die russisch-orthodoxe Kirche stellt es so dar, als seien Patriarch und Papst weitgehend einer Meinung, zumindest würden beide auf einen schnellen «gerechten Frieden» hoffen. Instrumentalisiert das Moskauer Patriarchat das Telefonat für seine Zwecke?

Elsner: Natürlich, das Moskauer Patriarchat instrumentalisiert zur Zeit jeden Versuch westlicher kirchlicher Akteure, um sie in der russischen Öffentlichkeit als Partner darzustellen. In den vergangenen Tagen betraf das auch den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki mit seinem Besuch in einer russisch-orthodoxen Gemeinde in Bad Godesberg, den anglikanischen Erzbischof von Canterbury Justin Welby, den vatikanischen Nuntius in Moskau.

«Es gehört zur Kriegspropaganda, dass Nachrichten verstellt werden.»

Solche Nachrichten werden dankbar verwendet, während der Krieg in der Ukraine und die Appelle der eigenen ukrainischen Kirche nicht vorkommen. Es gehört zur Kriegspropaganda, dass Nachrichten verstellt, verkürzt oder aufgeblasen werden. Wir sehen das auch mit Nachrichten über die ukrainischen Flüchtlinge in Russland oder der Zerstörung von Kirchgebäuden in der Ukraine. Die Frage ist, ob sich der Vatikan dieser Instrumentalisierungsgefahr nicht von vornherein sehr viel bewusster sein müsste.

«Kyrill will die ukrainischen Gläubigen als Märtyrer für den Glauben missbrauchen.»

Steht Kyrill I. ganz hinter Putins Krieg?

Elsner: Ja, davon muss man ausgehen. Während in der ersten Kriegswoche viele noch hofften, dass er nur zu sehr unter Druck steht, um sich deutlich zu äussern, müssen die aktuellen Äusserungen des Moskauer Patriarchats als eindeutige Unterstützung des Krieges gesehen werden. Es handelt sich jetzt nicht mehr um ein dröhnendes Schweigen, sondern um eine aktive Legitimierung und um eine gezielte, proaktive Informationspolitik. Das wäre auch nicht mehr durch eine wie auch immer geartete Friedensinitiative rückgängig zu machen – vor allem gegenüber den ukrainischen Gläubigen, die Kyrill offensichtlich als Märtyrer für den Glauben missbrauchen will.

«Auch Bilder eines Telefonats mit den Kiewer Metropoliten müssten erscheinen.»

Was wünschen Sie sich von Franziskus?

Elsner: Neben einer durchdachteren Kommunikationsstrategie mit Moskau würde ich mir vor allem eine deutlichere Solidarisierung mit den Menschen in der Ukraine wünschen, klare Aussagen zu ihrem selbstlosen Kampf für unsere europäischen, christlichen Werte, zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung. Neben Bildern eines Gesprächs mit dem Patriarchen – wenn sie sich schon nicht vermeiden lassen – müssten Bilder eines Telefonats mit den orthodoxen Kiewer Metropoliten Onufri und Epiphanius, mit dem Ukrainischen Rat der Kirchen und religiösen Organisationen erscheinen.

«Die kirchliche Rücksichtnahme auf Moskau stärkt den Aggressor.»

Wie wäre es mit einer Reise des Papstes nach Kiew?

Elsner: Ein Besuch des Papstes in Kiew, an den zerstörten Kirchen, wäre natürlich ein besonders starkes Zeichen, aber es muss von entsprechend klaren Aussagen begleitet sein, um nicht ebenso missbraucht zu werden. In den vergangenen Jahren hat die kirchliche Rücksichtnahme auf Moskau einen solchen Besuch immer verhindert. Die Strategie des Vatikan scheint mir zu sehr an einer Vorsicht gegenüber Moskau orientiert, um da keine Schäden anzurichten. Das ist in einer so eindeutig zu bestimmenden Kriegslage aber verheerend. Denn es stärkt den Aggressor und seine Strategie, ohne ihm konkrete Schritte zum Ende des Krieges und zum Eingestehen der eigenen Schuld abzuverlangen.

Russlands katholische Bischöfe äusserten sich bislang nur ziemlich vage zum russischen Einmarsch in die Ukraine. Könnten sie trotz der neuen Zensurgesetze mehr gegen den Krieg machen?

Elsner: Die katholische Kirche in Russland hat aktuell kaum Handlungsoptionen. Zu den neuen harschen Zensurgesetzen kommt die ganz existenzielle finanzielle Not durch das Abschneiden der Finanzierungen aus dem Ausland. Und auch schon vor dem Krieg war die katholische Kirche unter dem Druck verschiedener Gesetze, die es ausländisch finanzierten und organisierten Religionsgemeinschaften schwer machen, gesellschaftspolitisch Stellung zu beziehen.

Ich weiss, dass die Kirche und die Caritas alles in ihren Kräften stehende tun werden, um den Flüchtlingen zu helfen und Menschen Schutz zu geben, die in Russland unterdrückt werden. Mehr zu erwarten, wäre aktuell unangemessen. (kna)

Video-Konferenz in Rom im März 2022: Papst Franziskus und Kardinal Kurt Koch mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion. | © KNA
17. März 2022 | 18:08
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