Petition gegen die Ausschaffung einer tschetschenischen Mutter und ihrer Tochter: 150 Personen kamen zur Übergabe der 4000 Unterschriften an die Luzerner Regierung.
Schweiz

Kirchen zeigten 2019 ein Herz für Flüchtlinge

Sowohl Papst Franziskus als auch die Kirchen in der Schweiz engagierten sich 2019 für Flüchtlinge. Indem sie Position bezogen, Flüchtlingen begegneten oder Migranten konkret unterstützten. Ein Beitrag zur Serie Jahresrückblick 2019.

Barbara Ludwig

Auch wenn es weniger sind als in den früheren Jahren, versuchten 2019 nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) dennoch Zehntausende Migranten, das Mittelmeer in Richtung Europa zu überqueren. Bis Anfang Dezember waren es über 93’300 Menschen. Laut dem Hilfswerk starben dabei im vergangenen Jahr (bis Anfang Dezember) 1221. Mehrere private Organisationen sind auf dem Mittelmeer unterwegs, um in Seenot geratene Migranten und Flüchtlinge zu retten.

«Sea-Watch 3» erhitzte die Gemüter

Ihre Aktionen sind umstritten. Was Vertreter von Kirchen allerdings nicht daran hindert, Position zu beziehen: Zugunsten konkreter Rettungseinsätze, zugunsten von Flüchtlingen und Migranten oder grundsätzlich für mehr Offenheit und Solidarität mit Menschen, die nach Europa wollen. Bereits im Januar verlangte Papst Franziskus eine rasche Lösung für zwei Rettungsschiffe, die vor der Küste Maltas auf eine Zusage warteten, die Menschen an Bord in einen europäischen Hafen bringen zu dürfen.

Ende Juni erhitzte der Fall des Rettungsschiffes «Sea-Watch 3» die Gemüter, weil es unerlaubt auf der italienischen Insel Lampedusa angelegt hatte. Der Vatikan betonte, Rettung müsse Vorrang haben. Der deutsche Bischof Franz-Josef Overbeck twitterte, er bewundere den Mut der deutschen Kapitänin Carola Rackete, die nach der Aktion festgenommen worden war. «Sie steht mit ihrem Handeln für die humanen und christlichen Werte Europas», so der Bischof.

Papstmesse mit Flüchtlingen und Seenotrettern

Dass Papst Franziskus gerade in diesem Zeitraum,  nämlich am 8. Juli, im Petersdom gemeinsam mit ehemaligen Bootsflüchtlingen und Seenotrettern eine Messe feierte, stand nicht direkt im Zusammenhang mit dem Fall Rackete. Aber zeigte einmal mehr, welchen Stellenwert er dem Engagement für Flüchtlinge beimisst.

Kurz vor Weihnachten empfing Franziskus 33 Flüchtlinge aus Lesbos. Sie waren durch einen sogenannten humanitären Korridor auf Initiative des Vatikan und der katholischen Gemeinschaft Sant’Egidio nach Italien gereist.

Im Clinch mit der Justiz

Auch in der Schweiz gibt es Kirchenleute, die sich vom Schicksal von Flüchtlingen und Migranten berühren lassen und aktiv werden. Manche geraten dabei mit der Justiz in Konflikt. 2019 traf es den Zürcher Pfarrer Josef Karber. Der Priester wurde im Juni von einem Gericht verurteilt, weil er von 2011 bis 2018 eine Armenierin ohne Aufenthaltsbewilligung in der Notwohnung seiner Pfarrei beherbergt hatte. Karber wurde für den Prix Courage der Beratungszeitschrift «Beobachter» nominiert, gewann den Preis aber nicht. Gegenüber kath.ch zeigte er sich erstaunt über die Nominierung, «weil ich von allen Christinnen und Christen erwarte, so zu handeln».

Protest gegen behördliche Entscheide

Nicht zu einer Verurteilung durch die Justiz kam es im Fall der tschetschenischen Mutter und ihrer Tochter, denen der Luzerner Pfarrer Ruedi Beck und weitere Unterstützer Kirchenasyl gewährt hatten. Die beiden wurden im November nach Belgien abgeschoben, wo die Mutter früher ein Asylgesuch eingereicht hatte. Rund 4000 Personen protestierten gegen die Ausschaffung, indem sie eine Petition an die Luzerner Regierung unterzeichneten.

Protest gab es auch im Fall eines aus Indien stammenden Mannes, der nach 24 Jahren in der Schweiz in seine Heimat zurückgeführt werden soll. Berner Kirchenleute und Politiker baten den zuständigen Berner Regierungsrat kurz vor Weihnachten in einem Offenen Brief, beim Bund ein Härtefallgesuch für eine Aufenthaltsbewilligung zu stellen.

Artikel 116 des Ausländergesetzes ist Stein des Anstosses

Kirchlichen Kreisen und Menschenrechtsorganisationen ist Artikel 116 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) ein Dorn im Auge. Diese Bestimmung stellt Beihilfe zur rechtswidrigen Ein- oder Ausreise oder zum illegalen Aufenthalt in der Schweiz unter Strafe.

Gegen den Paragraphen hat sich auf politischer Ebene Widerstand formiert. Bereits 2018 reichte die Genfer Politikerin Lisa Mazzone, damals Nationalrätin und seit Dezember Ständerätin, in Bern einen Vorstoss ein, der eine Änderung von Artikel 116 verlangt. Personen, die «aus achtenswerten Gründen» Hilfe leisten, sollten sich nicht mehr strafbar machen.

Kirchen unterstützten politischen Vorstoss

Kirchen, auch die Schweizer Bischöfe, mischen sich auch mal ins politische Tagesgeschäft ein: So stellten sich die Schweizer Kirchen unisono – Katholiken, Reformierte und Freikirchen – hinter das Anliegen von Mazzone. «Kirchliches Handeln orientiert sich an der konkreten Notsituation, in der sich Hilfesuchende befinden, und nicht am rechtlichen Aufenthaltsstatus», schrieb etwa das Präsidium der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) in einer Pressemitteilung vom 5. November.

Auch Amnesty für Straffreiheit von Helfern

Im Dezember, kurz vor der Behandlung von Mazzones Vorstoss in der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates, reichten die Organisationen Solidarité sans frontières und Amnesty International beim Bund eine Petition mit dem Titel «Solidarität ist kein Verbrechen» ein. Es würden «immer häufiger» Personen vor Gericht gestellt, wenn sie anderen Menschen «in einer schweren Notlage» helfen, da sie damit gegen diese Bestimmung verstossen würden, so die beiden Organisationen. Auch diese Aktion richtete sich gegen Artikel 116 AIG.

Allerdings wurde die parlamentarische Initiative der jungen Politikerin am 6. Dezember trotz kirchlicher Schützenhilfe von der Nationalratskommission abgelehnt.

Migration auch innerkirchlich ein Thema

Migranten, ob Flüchtlinge oder nicht, sind auch innerkirchlich ein Thema. Das zeigte etwa die aktuelle Kirchenstatistik des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) für die katholische Kirche. Im Jahr 2017 hatten 38,4 Prozent der katholischen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren einen Migrationshintergrund.

Die Forschungsinstitut befasst sich seit mehreren Jahren mit christlicher Migration. Im Dezember veröffentlichte es dazu eine Doppelstudie. Darin ging es einerseits um die Bedeutung von Religion im Leben von Migranten und andererseits um die Rolle christlicher Migrationsgemeinden für die Neuankömmlinge in der Schweiz.

Das Themen Flüchtlinge und Migration bleiben auch im kommenden Jahr aktuell für die Kirchen. Im Migrationsbereich engagierte Organisationen und Aktivisten haben angekündigt, dem Bund eine Petition mit dem Titel «Sterben auf dem Mittelmeer» zu überreichen. Gleichzeitig wollen sie, dass sich auch die katholische und die reformierte Kirche in der Schweiz in der Seerettung im Mittelmeer engagieren.

Petition gegen die Ausschaffung einer tschetschenischen Mutter und ihrer Tochter: 150 Personen kamen zur Übergabe der 4000 Unterschriften an die Luzerner Regierung. | © Urban Schwegler
31. Dezember 2019 | 08:40
Lesezeit: ca. 4 Min.
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