Kirche und Familie: Vom Buben bis zum Piusbruder kamen alle nach St. Gallen

St. Gallen, 25.3.15 (kath.ch) Der Andrang im Pfarreisaal von St. Maria in St. Gallen-Neudorf war so gross, dass weitere Stühle herangeschafft werden mussten. Rund 200 Gläubige aus dem ganzen Bistum St. Gallen, darunter auch eine grössere Gruppe von Anhängern der traditionalistischen Piusbruderschaft, hat am Dienstagabend, 24. März, am Synodengespräch mit Bischof Markus Büchel teilgenommen. Es war das dritte und letzte Gespräch, das das Bistum in dieser Form organisierte. Diese Gespräche dienen der Vorbereitung auf die kommende Familiensynode der Bischöfe in Rom.

Barbara Ludwig

Alle Stühle im Pfarreisaal sind bereits besetzt, und es drängen noch immer Leute zur Tür herein. Darunter erstaunlich viele junge Menschen. Vom Jugendlichen bis zum Greis sind alle Altersgruppen vertreten. Ein Teil der Jungen und einige Familien stammen allerdings aus dem Umkreis der Piusbruderschaft. Die vom exkommunizierten Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991) gegründete Bruderschaft unterhält in Wil SG ein Priorat. Als die Journalistin von einem der Jungen erfahren will, wie viele Anhänger der Piusbruderschaft denn hier seien, fährt eine Frau gehässig dazwischen: «Du musst gar keine Auskunft geben.» Man gehöre zur Pfarrei, zahle auch Kirchensteuern.

Jugendlicher: «Ich höre nicht mehr, was man darf und was nicht»

Bereitwillig Auskunft gibt dafür Adrian Deger (15), der am Sonntag regelmässig zur Kirche geht. Er sei hier um zu erfahren, wie sich die Kirche im Bereich Ehe und Familie weiterentwickle. Mit der gegenwärtigen Situation sei er «nicht ganz zufrieden», sagt er. Er sehe Gegensätze zwischen früheren Enzykliken und neueren Aussagen. Der Jugendliche erwähnt das Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung durch Papst Paul VI. (1897-1978). Heute würde die Kirche nicht mehr sagen, dass man nicht künstlich verhüten dürfe. «Ich höre nicht mehr, was man darf und was nicht.» Er aber wolle wissen, woran man sich halten müsse. «Ich habe den Eindruck, dass die Kirche heute die Gläubigen darüber in Unwissenheit hält.»

Monika Egger (42) erhofft sich dagegen von der kommenden Familiensynode «mehr Offenheit» in der Kirche. Sie sei auch am Thema interessiert, weil sie selber eine Familie habe. Zum Anlass kommt die Frau, die im Kirchenrat mitarbeitet, vor allem wegen der Referate von Markus Büchel, dem St. Galler Bischof, Eva-Maria Faber, Dogmatik-Professorin in Chur, und Madeleine Winterhalter, Leiterin der Fachstelle Partnerschaft-Ehe-Familie.

Wo bleibt das Gewissen?

Büchel hat im vergangenen Herbst als einziger Bischof aus der Schweiz an der ersten Familiensynode teilgenommen und berichtet mit sichtlicher Begeisterung von dem «einzigartigen Erlebnis». Beeindruckt habe ihn insbesondere die Aufforderung von Papst Franziskus an die 190 Bischöfe aus aller Welt, das einzubringen, was den Menschen in ihrem Land auf dem Herzen liege. Dies sei ein Zeichen dafür, dass der Papst einen «neuen Weg» gehe. Während der Synode habe der Papst nur zugehört und nicht selber gesprochen, so Büchel. Der St. Galler Bischof ermuntert die Gläubigen aus seinem Bistum, einander ebenfalls gut zuzuhören.

Anschliessend präsentiert Faber Informationen zum Arbeitspapier für die Synode im Herbst 2015. Es ist eine nüchterne, sachliche Darlegung zu den verschiedenen Teilen des Dokuments. Dabei erlaubt sich die Professorin auch einige «kritische Kommentare als Denkanstösse».

Es seien wohl Neuansätze «sichtbar», sagt sie abschliessend. So würden etwa Formen von Paarbeziehungen, die nicht dem katholischen Ideal entsprechen, nicht mehr ausschliesslich negativ beurteilt. Es gebe aber noch keinen «Durchbruch». Das Dokument spreche zudem viel mehr von Familie als von Ehe; nicht thematisiert würden zum Beispiel die Ehe vor und nach der Kinderphase, kritisiert sie. Aufgefallen ist ihr auch, dass das Gewissen an keiner Stelle des Textes erwähnt wird. Dort, wo es um die Wahrnehmung familiärer Wirklichkeit geht, vermisst die Professorin die Berücksichtigung humanwissenschaftlicher Erkenntisse: «Man hört nicht auf nichttheologische Analysen.» Und bleibt deshalb im innerkirchlichen Diskurs gefangen.

Jung und alt treffen sich

Nach den Referaten fordert Franz Kreissl, Leiter des Pastoralamtes im Bistum St. Gallen und Moderator des Synodengesprächs, die Gläubigen auf, Fragen zu vier thematischen Bereichen in Kleingruppen zu diskutieren. Antworten dazu sollen die Gläubigen auf blaue, rote, grüne und gelbe Zettel schreiben, die am Schluss eingesammelt werden. Eine Frage lautet etwa: «Welche Werte, welche Art von Spiritualität sind Ihnen für Ehe und Familie wichtig und hilfreich?» Oder: «Wie denken Sie über das Zusammenleben vor der Ehe?» Auf weissen Zetteln dürfen die Teilnehmer notieren, was ihnen sonst noch wichtig ist.

Die Leute bilden kleine Gesprächsgruppen. Der Geräuschpegel steigt an im Raum. Auch Personen, die sonst wahrscheinlich nichts miteinander zu tun haben, kommen miteinander ins Gespräch. Zwei männliche Jugendliche sitzen mit älteren Frauen zusammen. Eine Runde hat sich um einen Priester aus der Piusbruderschaft – Priesterkragen und Soutane – und um Arnd Bünker gebildet, den Sekretär der Pastoralkommission der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die eine wichtige Rolle im synodalen Prozess in der Schweiz spielt.

Es summt wie in einem Bienenhaus. Und man hat den Eindruck, die Leute würden bis tief in die Nacht weiter diskutieren. Doch nach zirka 20 Minuten fordert der Moderator die Gläubigen auf, ihre Antworten auf den farbigen Zetteln abzugeben.

Enorme Bandbreite von Ansichten

Die Bandbreite der Ansichten ist enorm. «Danke, dass ich meine Meinung kundtun konnte», liest der Bischof vor. Jemand anders schrieb dagegen: «Ich habe dazu keine eigene Meinung, sondern vertrete die Auffassung bzw. Lehre der Mutter Kirche u. des Evangeliums, was gleichzeitig die Stimme Christi ist: Wer Euch hört, hört mich.» Alle Antworten und Bemerkungen fliessen in den laufenden Synodenprozess der Kirche Schweiz ein, an dem sich alle Gläubigen beteiligen können. (bal)

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Eifrige Diskussionen am Synodengespräch vom 24.3.2015 in St. Gallen | © 2015 Barbara Ludwig
25. März 2015 | 18:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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