Walter Kasper, emeritierter Kurienkardinal, am 15. Januar 2018 in Rom.
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Kardinal Kasper fordert unabhängige Verwaltungsgerichte in der Kirche

Wien, 17.2.19 (kath.ch) Angesichts des kirchlichen Missbrauchsskandals plädiert der frühere Kurienkardinal Walter Kasper für die Einrichtung unabhängiger Verwaltungsgerichte. Der kommende Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan werde globale Unterschiede in kirchlichem Umgang mit Thema Missbrauch sichtbar machen.

«Das Wichtigste scheint mir der Aufbau einer Verwaltungsgerichtsbarkeit zu sein», sagte Kasper im Interview mit der Tageszeitung «Die Presse» (Samstags-Ausgabe). In jeder Diözese brauche es solche Gerichte als Ansprechpartner und zugleich als Beschwerdestellen, an die man sich wenden können müsse, «wenn nichts geschieht».

Fehlende Gewaltenteilung

«Natürlich muss sich auch jemand, der als Täter angeklagt wird, beschweren können. Dazu braucht es unabhängige Verwaltungsgerichte, die nicht nur von Klerikern besetzt sein sollten. Wir haben viele Frauen und Männer, die Kirchenrecht studieren.»

Die Forderung nach einer solchen kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit sei nicht neu, räumte Kasper ein. Gegenüber der österreichischen Agentur «Kathpress» hat im vergangenen Herbst unter anderem der frühere Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Klaus Mertes, auf das Problem einer fehlenden innerkirchlichen Gewaltenteilung und eine fehlende Trennung von Kläger, Verteidiger und Richter hingewiesen.

Weltweit sehr unterschiedliche Wahrnehmung

Kasper äusserte sich angesichts des in der kommenden Woche im Vatikan beginnenden Anti-Missbrauchgipfels. Von diesem Gipfel, zu dem Papst Franziskus die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen aus aller Welt sowie Vertreter von Ordensgemeinschaften nach Rom gerufen hat, erwarte er sich, dass man sich auf weltkirchlicher Ebene der Schwere des Problems bewusst werde.

Tatsächlich gebe es grosse Ungleichzeitigkeiten etwa bei den nationalen Einstellungen zum Thema Sexualität oder zum Verhältnis der Geschlechter. «Es gibt Regionen, in denen nur wenig Bewusstsein für das Thema Missbrauch vorhanden ist», so Kasper.

Rechtliche Mittel bekannt machen

Weiter erhoffe er sich eine breite Information über die rechtlichen Mittel, «die ein Bischof hat und die er auch anwenden muss». Auch wenn dies etwa in Deutschland bereits vielfach bekannt sei und zur Anwendung komme, sei dies global betrachtet nicht überall der Fall beziehungsweise bekannt.

«Wir sind nicht am Ende der Fahnenstange.»

Auch erwarte er sich konkrete Überlegungen zu den weiteren Schritten: «Wir sind nicht am Ende der Fahnenstange. Rechtliche Vorgaben kann man nicht in wenigen Tagen erstellen, dazu ist diese Konferenz auch gar nicht befugt».

In der direkten Begegnung mit Missbrauchsopfern sei es das wichtigste, «dass man diesen Menschen begegnet», mit ihnen redet und sie ernst nimmt, so der frühere Kurienkardinal weiter. Man müsse ihnen «Verständnis und Bedauern entgegenbringen».

Ein abscheuliches Verbrechen

Papst Franziskus nehme er etwa seine persönliche Betroffenheit im Umgang mit Missbrauchsopfern «voll ab»: «Gerade wenn es um Kinder geht, ist sexueller Missbrauch ein so abscheuliches Verbrechen. Ein Priester, der so etwas tut, muss innerlich und geistlich verwahrlost sein».

In Schutz nimmt Kasper im Blick auf den innerkirchlichen Umgang mit dem Missbrauchsthema den emeritierten Papst Benedikt XVI.: Bereits 2005 habe dieser, noch vor seiner Wahl zum Papst, diesbezüglich vom «Schmutz in der Kirche» gesprochen. Es sei das Verdienst von Joseph Ratzinger, «dass er diese Frage (…) aufgegriffen und eine Kursänderung eingeleitet hat. Und zwar gegen grosse Widerstände», wies Kasper hin. (kap)

Walter Kasper, emeritierter Kurienkardinal, am 15. Januar 2018 in Rom. | © zVg
17. Februar 2019 | 08:30
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Gleiche Forderung auch aus Frankreich

Auch der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Georges Pontier, setzt sich für ein spezielles Kirchengericht für Missbrauchsfälle ein. «Heute gibt es nur zwei Ebenen für das kirchliche Recht: die Diözese und Rom. Fehlt uns nicht ein Schritt dazwischen?», zitierte ihn die französische Zeitung «La Croix» am Donnerstag in Paris. Die Diözesen seien zwar nah am Geschehen, doch eine objektive Bewertung könnte durch das Engagement vor Ort auch behindert werden, so Pontier.

Pontier, Erzbischof von Marseille, hatte sich am Dienstag mit Missbrauchsopfern aus Frankreich getroffen. Sie hatten über zehn Empfehlungen abgegeben, was die Kirche in Frankreich ändern könne, um gegen Missbrauch vorzugehen. Pontier teilte am Mittwoch in Paris mit, er wolle beim weltweiten Anti-Misbrauchsgipfel kommende Woche im Vatikan zwei Vorschläge präsentieren. Zum einen das spezielle Kirchengericht für Missbrauchsfälle auf Ebene der Provinz, zum anderen eine neue Archivierungskultur.

Jahrelang habe man sich in der Kirche nicht mit den Diözesanarchiven beschäftigt, so Pontier. «Wir haben die Archive verwahrlosen lassen.» Er füge mittlerweile Dossiers immer ein paar Notizen hinzu, wenn er einen Priester getroffen habe. (kna)