Kardinal Kurt Koch
Vatikan

«Junge Menschen haben ein Sensorium für die Einheit der Christen»

Rom, 30.10.18 (kath.ch) Die Kirche braucht neue Gefässe, um die «Synodalität» zu verwirklichen, sagt Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Er wertet im Interview mit kath.ch die Präsenz der Jugend und von Vertretern anderer Kirchen an der Jugendsynode als grosse Bereicherung für das Treffen.

Georges Scherrer

Kardinal Koch, Sie sassen in der Synodenhalle ganz vorne. Wie haben Sie erlebt, was vor Ihnen geschah, also die Organisation und Führung der Synode?

Kurt Koch: Die Synode verlangte eine lange Vorbereitung. Es gab sogar eine Vorsynode mit Jugendlichen und auch eine Online-Umfrage. Das alles wurde dann zusammen genommen und für die Synode vorbereitet.

Dahinter steckt eine immense Organisation. Viele Bischöfe haben mir gesagt, wie erstaunt sie über die Perfektion dieser Organisation waren, wie gut alles vor sich gegangen ist. Dem kann ich nur zustimmen.

Hinter Ihnen sassen rund 300 Synoden-Teilnehmer. Wie haben Sie als Kurienkardinal den Kontakt zu diesen erlebt?

Koch: Während der Sitzung hatte ich natürlich kaum einen Kontakt, weil sie alle hinter mir sassen. Man traf sich aber vor den Sitzungen, nach der Versammlungen und vor allem bei der langen Pause am Vormittag. Es handelte sich um eine halbstündige Pause, in der es Kaffee gab und andere Verköstigungen. Da konnte man sich mit verschiedenen Synodenteilnehmern unterhalten.

«Der Kirche sollte es nicht um Macht gehen.»

Und dann gab es natürlich die so genannten «Circuli minores», die Sprachgruppen, wo man zusammen sass. An diesem Ort kam es zu einem intensiven Austausch, allerdings nur in einer kleinen Gruppe.

Die jugendlichen Teilnehmer traten mit Forderungen an die Synode heran. Sie forderten zum Beispiel mehr Teilhabe der Frauen an der Macht in der Kirche. Ist die Kirche heute offen genug, um die Anliegen der Jugend umsetzen zu können?

Koch: In der Kirche sollte es nicht um Macht gehen und somit auch nicht um Beteiligung an der Macht. Es geht um Fragen der Entscheidungen, wie Wege in die Zukunft gefunden werden können. Und da sollen natürlich die Menschen, die Glieder der Kirche sind, in den Beratungen mitbeteiligt werden und somit auch bei den Entscheidungsprozessen. Die Jugendlichen äusserten an der Synode einen sehr starken Wunsch nach mehr Mitbeteiligung. Ich glaube, dass dieser Wunsch auch gehört worden ist.

Die Kirche hat eine klare Struktur. An ihrer Spitze befindet sich der Papst. Dann folgen gemäss der Hierarchie Priester, Diakone und Laienseelsorger. Muss diese Struktur sich ändern, wenn die im Abschlussdokument geforderte «Synodalität» umgesetzt werden soll?

Koch: Synodalität ist nicht Demokratie und die Synode kein Parlament. Papst Franziskus hat dies mehrfach betont. Synodalität ist der geschützte Raum, in dem alle Beteiligten miteinander reden und sich miteinander austauschen, damit man offen wird für das Wirken des Heiligen Geistes und jene Lösungen findet, von denen wir überzeugt sind, wie der Heilige Geist die Kirche in die Zukunft führen will.

«Synodalität braucht auch Leitung und Autorität.»

In dem Sinne braucht Synodalität auch Leitung und Autorität. Sie braucht auch weiterhin Seelsorgende in den Gemeinden und Bischöfe in den Diözesen, sie braucht auch den Papst. Die Frage ist, wie dieses «Zueinander» gelebt wird. Es muss so ausbalanciert werden, dass möglichst viele Getaufte am Leben der Kirche mitbeteiligt sind. Es braucht ein neues Verhältnis zwischen Synodalität und Leitung innerhalb der Kirche, und dazu braucht es neue Gefässe.

Sie haben in der deutschsprachigen Gruppe teilgenommen. Dort war auch der deutsche Jesuit Clemens Blättert als Experte für die Synode mit dabei. Er regte an, die Kirche müsse für die Jugend «zweckfreie» Räume» bereitstellen. Was sind das für Räume?

Koch: Clemens Blattert führt in Frankfurt eine Zukunftswerkstatt, wo er junge Menschen begleitet und ihnen hilft, den Weg im Leben zu finden und vor allem auch jenen Ruf zu hören, der in ihrem Leben an sie ergeht. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Jugendlichen heute unter sehr grossem Druck stehen: Druck von den Eltern, Druck von der Gesellschaft und Druck vom Beruf. Darum braucht es Räume, wo die jungen Menschen zweckfrei miteinander umgehen und über das, was sie in ihrem Herzen beschäftigt, offen reden können. Das ist mit zweckfrei gemeint.

«Wir dürfen das Leben der Menschen nicht verzwecken.»

Wir müssen unterscheiden zwischen Zweck und Sinn. Der Sinn ist etwas sehr Positives und soll gefördert werden. Aber wir dürfen nicht alles verzwecken, auch das Leben der Menschen nicht. Da ist die Kirche der richtige Ort, weil wir im Glauben davon leben, dass uns letztlich alles geschenkt ist.

In der Synode sassen neben Jugendlichen in Jeans auch Würdenträger, denen man ansah, dass sie nicht der katholischen Kirche angehören. Wie kam es dazu, dass Nicht-Katholiken an der Jugendsynode teilnahmen?

Koch: Es entspricht einer langen Tradition, die es schon bei Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI. gegeben hat, dass sogenannte Delegati fraterni eingeladen werden, Repräsentanten anderer christlichen Kirchen, die während der ganzen Synode teilnehmen und beobachten. Sie konnten aber auch genauso wie jeder Bischof vier Minuten reden. Das Generalsekretariat der Synode arbeitet mit unserem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen zusammen, indem wir entscheiden, welche Kirche bei welcher Synode eingeladen wird.

«Junge sollen Protagonisten sein bei der Weitergabe des Glaubens.»

Ich finde das etwas sehr Positives, weil wir auch von ihnen Rückmeldungen bekommen, wie sie die Synode erleben. Die anderen Kirchen haben ja verschiedene Erfahrungen von Synodalität. Der Austausch ist für mich jeweils interessant. Ich lade auch alle Delegierten der anderen Kirchen einmal zu einem Abendessen ein. Wir hören dann, welche Erfahrungen sie machen. Ich finde das eine schöne Idee.

Wer wurde zur Jugendsynode eingeladen?

Koch: Es wurde ein Vertreter des ökumenischen Patriarchats in Konstantinopel eingeladen. Auch ein Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche in Moskau und einer der orthodoxen Kirche in Rumänien. Es kam auch eine Vertreterin der Hussiten, eine Pfarrerin, die den ökumenischen Rat der Kirchen vertreten hat. Unter den Geladenen waren auch eine junge deutsche Lutheranerin, die noch studiert, ein Methodist und ein Vertreter der Waldenser hier in Italien.

Hat die ökumenische Dimension im Abschlussdokument auf irgendeine Art Eingang gefunden.

Koch: Ich habe meine Intervention in der Synode darüber gehalten, dass die Jungen selber die Protagonisten sein sollen bei der Weitergabe des Glaubens. Dass sie selber einander Zeugnis über den Glauben geben. Ich habe gewünscht, dass dies im ökumenischen Geist geschieht, dass man gemeinsam Zeugnis gibt.

«Viele Bischöfe haben die Sehnsucht der Jugend wahrgenommen»

Im Schlussdokument ist in einem eigenen Abschnitt angegeben, dass die jungen Menschen ein besonderes Sensorium für die Einheit der Christen haben. Sie sind schliesslich auch diejenigen, die die Zukunft der Kirche gestalten werden. Dazu gehört die Wiedergewinnung der Einheit auf jeden Fall.

Wird diese Wiedervereinigung gelingen?

Koch: Ich hoffe es. Denn es ist der Wunsch des Herrn, wie wir ihn im siebzehnten Kapitel des Johannesevangeliums lesen, im hohepriesterlichen Gebet des Herrn. Hier betet Jesus dafür, dass alle eins sein sollen. Und wenn das der Wille des Herrn Jesus Christus ist, dann haben wir keine Alternative.

Wie hat sich die Präsenz der Jugend auf die Synode ausgewirkt?

Koch: Ich bin sehr dankbar für diese Synode. Die Gegenwart der Jungen hat sehr geholfen. Ich glaube, viele Bischöfe haben neu auf die jungen Menschen gehört und ihre Sehnsüchte und Hoffnungen  und ihre Leiden und Ängste wahrgenommen. Das finde ich positiv.

Kardinal Kurt Koch | © Georges Scherrer | © Georges Scherrer
30. Oktober 2018 | 12:23
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