Rita Famos überreicht dem ungarischen Regisseur István Szabó den Ehrenpreis der Ökumenischen Jury.
Schweiz

Ingrid Glatz: «Lieber Herr Szabó, Ihre Werke berühren und inspirieren uns»

Der ungarische Regisseur István Szabó erhielt am ökumenischen Empfang in Locarno den Ehrenpreis der Ökumenischen Jury und freute sich sichtlich über diese Auszeichnung. Der traditionelle Anlass der kirchlichen Filmorganisationen Signis und Interfilm fand diesmal zu Ehren des 50-jährigen Jubiläums der Ökumenischen Jury in Locarno statt.

Sarah Stutte

Giona A. Nazzaro, Festivaldirektor und künstlerischer Leiter des Locarno Film Festivals, ergriff als erster das Wort und richtete dieses direkt an die Ökumenische Jury. «Die Arbeit, die ihr leistet, ist sehr wichtig. Die Kernwerte teilen wir alle. Für uns ist es lebenswichtig, uns als Mitmenschen zu erkennen und zusammen an einer besseren Welt und einem besseren Film arbeiten zu können. Gehen wir weiter im gemeinsamen Dialog und ab und zu können wir auch streiten. Das ist auch gut so», sagte er.

Im Grossmünster Zürich ist mehr los

Es sei in diesem Jahr eine besondere Festivalausgabe, meinte danach Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz. Dies deshalb, weil Marco Solari als operativer Festivalpräsident aufhöre. «Er war uns sehr zugewandt und hat auch am Sonntag wieder den ökumenischen Gottesdienst besucht. 23 Jahre lang prägte er den Geist dieses Festivals», erzählte Rita Famos.

Giona A. Nazzaro, Leiter des Filmfestivals in Locarno
Giona A. Nazzaro, Leiter des Filmfestivals in Locarno

Immer wieder sei Solari während dieser Zeit gefragt worden, ob der Film noch Zukunft habe. «Doch er hat sich nie beirren lassen. Ich bin seit über 30 Jahren ordinierte Pfarrerin – und werde auch stets gefragt, wie es um die Zukunft der Kirche steht?»

Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz
Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz

Einem Mitarbeiter des Kunsthauses, der ebenfalls diese Frage in Locarno an sie richtete, sagte Rita Famos deshalb: «Im Grossmünster in Zürich gehen dreimal so viele Menschen jährlich ein und aus als im Kunsthaus Zürich». Das sorgte für Gelächter unter den Anwesenden im Saal. Rita Famos fügte hinzu: «Wir müssen uns nicht kleinreden lassen. Weder das Filmfestival Locarno noch die Kirche» und weiter: «Dieses Engagement und die Beharrlichkeit können wir als Kirchen von Marco Solari lernen».

Ein Meister des Erzählens

Die Theologin und Co-Präsidentin von Interfilm Schweiz, Ingrid Glatz, die ein Buch über die Menschenbilder in István Szabós Filmwerk geschrieben hat, hielt die Laudatio zur anschliessenden Ehrenpreisverleihung. Sie erinnerte daran, dass Szabó neben dem Ökumenischen Preis in Locarno von 1974 für seinen Film «Feuerwehrgasse 25» weitere Ökumenische Auszeichnungen für spätere Filme an anderen Festivals gewann. «Die kirchlichen Filmorganisationen Signis und Interfilm lassen sich also schon seit vielen Jahren von István Szabós Filmen berühren», meinte sie.

Ingrid Glatz, Co-Präsidentin Interfilm Schweiz, hält die Laudatio zu Ehren von István Szabó
Ingrid Glatz, Co-Präsidentin Interfilm Schweiz, hält die Laudatio zu Ehren von István Szabó

Zweifellos sei István Szabó ein Meister des Erzählens. Mit jedem seiner Filme habe er sein Publikum in faszinierende Welten eingeführt und ihnen Geschichten erzählt, die sowohl tiefgründig als auch emotional bewegend seien. «Seine Fähigkeit, komplexe Charaktere zum Leben zu erwecken und die menschliche Natur in all ihren Facetten darzustellen, ist unvergleichlich», sagte Ingrid Glatz.

Wichtige moralische Fragen

Szabós Werk zeichne sich auch durch seine politische und historische Relevanz aus, führte die Co-Präsidentin von Interfilm weiter aus. In Filmen wie «Mephisto» – für den der Regisseur 1982 den Oscar als besten fremdsprachigen Film gewann – und «Hanussen» untersuche er die Auswirkungen des Totalitarismus auf das menschliche Individuum und die Gesellschaft.

Charles Martig stellt die diesjährige Ökumenische Jury vor.
Charles Martig stellt die diesjährige Ökumenische Jury vor.

Er stelle wichtige Fragen über Moral, Identität und den Preis der eigenen Überzeugungen. «Durch sein kritisches und einfühlsames Auge hat er uns dazu gebracht, über diese Themen nachzudenken und unsere eigenen Standpunkte zu reflektieren», so Ingrid Glatz.

v.l.n.r. Ingrid Glatz, Co-Präsidentin von Interfilm Schweiz, Regisseur István Szabó, Rita Famos und Charles Martig
v.l.n.r. Ingrid Glatz, Co-Präsidentin von Interfilm Schweiz, Regisseur István Szabó, Rita Famos und Charles Martig

Die Theologin schloss mit den Worten: «Lieber Herr Szabó, Ihre Werke berühren und inspirieren uns. Sie erweitern unsere Vorstellungskraft. Mögen Ihre bisherigen und auch die zukünftigen Projekte weiterhin unsere Sinne erfreuen und uns dazu bringen, über die tiefgründigen Fragen des Lebens nachzudenken». Dann überreichte Ingrid Glatz zusammen mit Rita Famos den Ehrenpreis der Ökumenischen Jury an den 85-jährigen ungarischen Filmemacher, der zusammen mit seiner Frau anwesend war.

Emotionen, die nur eine Kamera sieht

Dieser trat danach an das Rednerpult, obwohl «er eigentlich nichts sagen wollte». Er hätte aber aufgrund der vorherigen Reden an eine bestimmte Begegnung denken müssen. Vor einigen Jahren hätte ihn eine Journalistin nach seinen filmischen Vorbildern gefragt. Er habe daraufhin Ingmar Bergman, Federico Fellini und Andrei Tarkowski genannt.

István Szabó hält die Rede, Charles Martig die Auszeichnung.
István Szabó hält die Rede, Charles Martig die Auszeichnung.

Damit hätte die Journalistin aber nicht viel anfangen können. Szabó habe gefragt: Warum nicht? «Sie erwiderte: Bergman ist zu protestantisch, Fellini zu katholisch und Tarkowski zu orthodox. Daraufhin sagte ich, dass dies vermutlich der Grund sei, warum ich sie liebe», meinte der Filmemacher.

Im Anschluss an Apéro und Reden gab es noch ein gemeinsames Mittagessen.
Im Anschluss an Apéro und Reden gab es noch ein gemeinsames Mittagessen.

Abschliessend sagte er: «Wenn ich mich frage, was Film von anderen Künsten unterscheidet, gibt es nur eine Antwort für mich. Das ist die Grossaufnahme eines menschlichen Gesichts, die Emotionen, die sich in diesem Moment darin finden. Das kann nicht beschrieben oder gemalt werden. Das kann nur eine Kamera sehen».

Der diesjährige ökumenische Empfang in Locarno fand im grossen, festlich geschmückten Saal des Pala Cinema statt. Am Apéro und anschliessendem Mittagessen nahmen rund 100 geladene Gäste teil, darunter Filmschaffende, Filmjournalisten, Kirchenvertreter, die Mitglieder der ökumenischen Jury sowie Vertreter des Filmfestivals Locarno. (sas)

Am Donnerstag,10. August, findet um 10.30 Uhr im Spazio Cinema in Locarno ein öffentliches Podium mit István Szabó, Marie-Therese Mäder und Joachim Valentin statt, das von Ingrid Glatz moderiert wird. István Szabó beantwortet dort Fragen zu Film, Religion und Spiritualität. Zudem wird gleichentags um 15 Uhr im Kino Pala Cinema 1 István Szabós Film «Abschlussbericht» gezeigt.

Rita Famos überreicht dem ungarischen Regisseur István Szabó den Ehrenpreis der Ökumenischen Jury. | © Sarah Stutte
9. August 2023 | 09:00
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