Schweiz

In Levinas «Markus-Passion» nach Auschwitz beweint der Sohn die Mutter

Freiburg i.Ü., 7.4.17 (kath.ch) Luthers Judenkritik und die Folgen unter Hitlers Nationalsozialisten thematisiert die «Markus-Passion. Passion nach Auschwitz», die in der Karwoche uraufgeführt wird. Diese wurde von Michaël Levinas komponiert, der jüdischer Herkunft ist. Er ist auch für die Textauswahl zuständig. Die Produktion versteht sich als Westschweizer Beitrag zum laufenden 500-Jahr-Jubiläum zu Martin Luthers Thesen-Anschlag.

Georges Scherrer

Die Vertonung von zwei Gedichten des deutschsprachigen, jüdischen Dichters Paul Celan schliessen dieses neu Chor- und Orchsterwerk des französischen Komponisten Michaël Levinas ab, in deren Zentrum die Leidensgeschichte Jesu steht, wie sie im Markus-Evangelium wiedergegeben ist. Levinas und Celan verbinden sich über das Schicksal ihrer Mütter. Celans Mutter wurde 1942 von einem SS-Mann erschlagen. Im gleichen Jahr entkam in Frankreich Levinas’ Mutter dem Zugriff der Nazis.

Levinas wählte für seine Passion die Gedichte «Die Schleuse»  und  «Espenbaum» von Celan aus. Besonders das zweite Gedicht macht Levinas Absicht deutlich: «Es ist nicht die Mutter, die den Tod des Sohns betrauert, sondern der Sohn den Tod der Mutter», sagte Jean-Marc Tétaz am Donnerstag bei der Vorstellung des Werks vor den Medien. Er ist  Projektleiter von «La Passion selon Marc. Une passion après Auschwitz».

Luthers Schatten auf das 20. Jahrhundert

Tétaz wies auf die Auswirkungen von Luthers Pamphleten gegen die Juden hin, die 1543 in die Schrift «Wider die Juden und ihre Lügen» mündeten. Dem Aufruf Luthers, die Synagogen anzuzünden, «folgten die Leute damals nicht. So, wie die Ortschaften zu jener Zeit gebaut waren, wären ganze Städte abgebrannt.» Aber für die Nationalsozialisten des 20. Jahrhunderts waren die Schriften Luthers willkommene Helfershelfer, meinte Tétaz. Luthers Pamphlete trugen so gesehen indirekt zum Tod der Mutter von Paul Celan und zur Vertreibung der Mutter von Levinas bei.

Celans Texte in der «Passion nach Auschwitz» sollen dazu beitragen, dass der Antisemitismus Luthers während des 500-Jahr-Jubiläums gemäss Tétaz «nicht unter den Tisch gewischt wird». Luther habe nicht akzeptieren wollen, dass Jesus «durch und durch» ein Jude war. Levinas’ «Passion» soll ermöglichen, das Leiden Christi vor dem Hintergrund der Schrecken von Auschwitz neu zu lesen.

Ein «Brennpunkt» der weh tut

In der heutigen Zeit werde bei der Lektüre der Bibel diese Verwurzelung des christlichen Heilsbringers in die jüdische Tradition berücksichtigt. Dabei dürfe es Christen durchaus «weh tun», wenn sie sich ihrer «Differenzen» zum Judentum bewusst würden, so Tétaz. Im Rahmen des Reformationsjubiläums will die «Passion nach Auschwitz» das Augenmerk auf diesen «Brennpunkt» christlicher Geschichte lenken.

Drei Sprachen – drei Kulturen

Am Anfang von Levinas’ Passion stehen Texte aus der «jüdischen Liturgie», die in hebräischer Sprache gesungen werden. Den Mittelteil bildet die Leidensgeschichte Jesu, so wie sie der Evangelist Markus mitgeteilt hat. Die Texte sind in altfranzösisch gehalten und wurden einer Bibel aus dem 13. Jahrhundert entnommen. Dem Komponisten habe die damals verwendete bildhafte Sprache gefallen. Auf Deutsch gesungen werden die beiden abschliessenden Gedichte von Paul Celan.

Musikalisch basiert diese neue «Passion», deren Aufführung etwas über eine Stunde dauert, zum Teil auf Tonfolgen (Motiven) im hebräischen Teil, die später wieder aufgenommen werden. So verbindet die Musik in den Worten des Projektleiters die verschiedenen «Religionen, die sonst für sich selber stehen».

Welturaufführung live

Das Werk gelangt erstmals in der Karwoche in den Städten Genf, Lausanne und Freiburg zur Aufführung. Vier Solisten, ein Chor mit 36 Sängern sowie ein Orchester mit 37 Musikern sind zu seiner Ausführung vorgesehen.  Schlagwerkzeuge wie Glocken und Gongs übernehmen einen wichtigen Part in der Gestaltung der Musik.

Das Westschweizer Radio sowie der französische Staatssender «France Musique» übertragen das Werk am 12. April live. Der TV-Sender «arte» und weitere Fernseh-Anstalten strahlen das Werk zu einem späteren Zeitpunkt aus. Es soll zudem an zwei Musikfestivals aufgeführt werden.

Zu dieser neuen «Passion» ist in französischer Sprache das Buch «Une Passion après Auschwitz?» erschienen.

 

7. April 2017 | 09:35
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Ein Zeichen für die Zukunft setzen

Die Reformation geht alle Kirchen etwas an. Deshalb habe sich die katholische Kirche dem Projekt angeschlossen, betonte der Freiburger Dompropst Claude Ducarroz bei der Vorstellung der «Passion nach Auschwitz». Ein «Kunstwerk» wie die neue Passion ermögliche es, sich ausserhalb theologischer Überlegungen dem Ereignis «Reformation» zu stellen.

Die katholischen Kirchen in der Westschweiz unterstützen die Aufführung der neuen Passion.So gelangt sie in Freiburg in der Kathedrale zur Aufführung. «Es war gar nicht einfach am Karfreitag in der Kathedrale ein Zeitfenster zu finden, um diese Passion aufzuführen», betonte Ducarroz.

Das Schlimmste wie das Schönste

«Wir müssen das auf uns nehmen», sagte der Präsident des Synodalrats der evangelisch-reformierten Kirche im Kanton Freiburg, Pfarrer Pierre-Philippe Blaser. Die Reformierten in der Schweiz müssten «das Schlimmste wie das Schönste» in ihren Archiven aufnehmen.

Mit ihrer Unterstützung der neuen «Passion» wollen die Kirchen in der Westschweiz ein ökumenisches Zeichen für den gemeinsamen Weg in die Zukunft setzen,sagte Pfarrer Martin Burhard Mitglied des evangelischen Synodalrats Freiburg. Die Passion nehme die für alle Religionen gleiche Frage auf: der Tod Unschuldiger. Darum unterstützen auch die jüdischen Gemeinschaften in der Westschweiz das Werk Levinas. (gs)