Jüdisches Grab zur Erinnerung an den Holocaust.
Schweiz

Hotline hilft Holocaust-Überlebenden

Das Corona-Virus lässt bei Holocaust-Überlebenden teilweise schlimme Erinnerung hochkommen. Sie können sich an eine Telefonhotline wenden – und erhalten Hilfe von jungen Freiwilligen.

Regula Pfeifer

Die meisten Holocaust-Überlebenden hätten angerufen, weil sie jemanden suchten, der ihnen zuhört und Gesellschaft leistet, sagt Anita Winter, Gründerin und Präsidentin von Gamaraal. Die Stiftung setzt sich seit Jahren für Holocaust-Überlebende in der Schweiz ein. Die neue Telefon-Hotline ist seit letzter Woche Tag und Nacht bedient.

«Die Isolation ist für sie besonders schwer zu ertragen.»

Anita Winter

Die Anrufenden gehören alle der Risikogruppe an; sie sind über 80 Jahre alt und erleben teilweise schwierige Momente. «Die Einsamkeit und die Isolation, in der sie aufgrund der Corona-Krise leben, ist für sie – aufgrund ihrer Vergangenheit – besonders schwer zu ertragen», sagt Winter.

Unsichtbarem Feind ausgesetzt

Nicht nur die Isolation, auch anderes lässt diese Menschen an ihre erschütternde Vergangenheit erinnern: Menschen in Schutzanzügen zu sehen und das Gefühl, einem unsichtbaren Feind ausgesetzt zu sein, das löst Ängste aus. In Einzelfällen sei es zu einer Retraumatisierung gekommen, sagt Winter und betont: «Wir konnten helfen, weil wir diese Traumatas kennen». Gamaraal hat Fachleute für Notfälle zur Hand.

Unglaubliche Widerstandsfähigkeit

«Die allermeisten Anrufenden sagen: Wir haben schon viel Schlimmeres erlebt: keine Wohnung, kein Essen, keine warme Kleidung», relativiert Winter die Situation. «Viele Holocaust-Überlebende beweisen in der aktuellen Situation eine unglaubliche Resilienz, sie zeigen sich zuversichtlich.»

Solidarität zwischen den Generationen

Die Gamaraal-Stiftung hat in wenigen Tagen 43 Freiwillige in der ganzen Schweiz rekrutieren können. Unter ihnen befinden sich viele Studentinnen und Studenten und junge Berufstätige, mehrheitlich jüdischen Glaubens. «Die Solidarität zwischen den Generationen ist unermesslich, das berührt mich zutiefst», sagt Winter.

«Wir werden das Team laufend vergrössern.»

Anita Winter

Die Freiwilligen kümmern sich um einzelne Holocaust-Überlebende, rufen sie an und helfen auch konkret. Etwa, indem sie Einkäufe tätigen und diese vor die Wohnungstüre der Hilfesuchenden stellen. «Wir sind vorsichtiger, als die behördlichen Vorgaben verlangen», sagt Anita Winter.

Sie stellt eine wachsende Nachfrage nach solchen Hilfeleistungen fest. «In den nächsten Tagen werden wir unser Team in der ganzen Schweiz laufend vergrössern.»

Telefon-Hotline der Gamaraal-Stiftung: 044 931 37 35 (offen für alle Hilfesuchenden).

Jüdisches Grab zur Erinnerung an den Holocaust. | © pixabay.de bernswaelz (CC0 Public Domain)
29. März 2020 | 07:21
Lesezeit: ca. 1 Min.
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Die Gamaraal-Stiftung

Anita Winter hat 2014 die Gamaraal-Stiftung mit Sitz in Zürich gegründet. Die Stiftung unterstützt zum einen Holocaust-Überlebende, zum anderen engagiert sie sich als Präventivmassnahme in der Bildung zum Thema Holocaust.

Ein Projekt der Stiftung ist «The Last Swiss Holocaust Survivors», bei dem Überlebende zu Wort kommen. Dafür hat die Stiftung zusammen mit dem Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich im März 2018 den Kurt-Bigler-Preis für «hervorragende Projekte im Bereich der Holocaust Education» erhalten.

Anita Winter ist verheiratet mit Herbert Winter, dem Präsidenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes. (rp)