Besucher im Garten im "Zentrum Ranft".
Schweiz

«Hier kann etwas Ermutigendes heranwachsen»

Flüeli-Ranft OW, 23.9.18 (kath.ch) Mit «Christentum – Islam, Spiritualität und Dialog» waren die ersten «Ranfter Gespräche» übertitelt. Namhafte Experten des interreligiösen Dialoges sprachen an einem Podium im «Zentrum Ranft» über die Frage «Wie hängen eine spirituelle Lebenshaltung und Friedensarbeit zusammen?»

Vera Rüttimann

Gesprächsleiterin Martina Bär, Gastprofessorin an der Freien Universität Berlin und seit Januar 2017 Fachperson für interreligiösen Dialog, stellte den Podiumsgästen gleich zu Beginn die zentrale Frage: Was ist eigentlich Spiritualität und wie sieht die jeweilige Glaubenspraxis aus? Für die Muslimin Jasmina El-Sonbati, Autorin und Gymnasiallehrerin, ist Spiritualität «ein Moment der Einkehr und der Stille, wo Inspirationen stattfindet.»

Weiter sagte die gebürtige Österreicherin und Anhängerin eines liberalen Islams: «Im Idealfall entstehen aus dieser Stille Ideen oder Modelle, die positive Energien in eine Gemeinschaft einspeisen.» Der Koran sei ihr eine zentrale Quelle,  wobei es allerdings auf die Lesart ankomme.

Neugier nach dem Ursprung

Mit Peter Hüseyn Cunz äusserte sich eine weitere Person, die eine interessante Geschichte aufzuweisen hat: Der Ingenieur ETH lernte vor einigen Jahren die Tochter eines indischen Imams kennen. Als sie heirateten, trat Cunz zum Islam über. Er las Reshad Feilds  Beststeller «Ich ging den Weg des Derwisch» und wandte sich der spirituellen Seite des Islams zu.

Der Sufist sagte: «Für mich ist ein spiritueller Mensch jemand, der sich seine Sehnsucht und die Neugier nach dem Ursprung, woher er kommt, bewahrt hat.»

Auf die Stimme Allahs zu hören sei ihm zentral wichtig. Auch Peter Cunz betonte, dass es im Koran wichtig sei, «sich von den Versen zu verabschieden, die nicht mehr mit unsrer Realität etwas zu tun haben und diejenige Verse weiterzuentwickeln, die für unser Gemeinwesen positive Impulse geben».

Gott suchen und finden in allen Dingen

Niklaus Bratschen, Schweizer Jesuit, Zen-Meister, ehemaliger Leiter  des Lassalle-Hauses und Mitbegründer des Lassalle-Institutes in Bad Schönbrunn im Kanton Zug, sprach über Spiritualität aus der Perspektive eines Christen und Buddhisten. Für ihn in Spiritualität eine Frage der Haltung, nach der Art und Weise, wie er sein Leben lebt.

Der bekannte Autor fragte: «Wie gehe ich mit mir und anderen in meinem Leben um? Wie fest stehe ich darin? Und atme ich oberflächlich flach oder tief?» Weiter lebe er nach dem ignatianischen Leitsatz «Gott suchen und finden in allen Dingen».

Spiritualität als Provokation

Für Samuel Behloul, seit 2016 Fachleiter Christentum am Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) und Titularprofessor für Religionswissenschaften an der Universität Luzern, sind spirituelle Menschen die, «die ihre Religion sehr ernst nehmen und auch sozialkritisch denken». Und dies auch auf die Gefahr hin, damit ihr Umfeld zu provozieren.

«Ich glaube, Niklaus von Flüe hatte nie die Absicht, Bruder Klaus zu werden.»

Mit Bruder Klaus befassten sich die Teilnehmer der «Ranfter Gespräche» denn auch mit einem Mann, der genau dies tat. Markus Amrein, der aktuell als Schauspieler im Theaterstück «Der Ranft-Ruf» Niklaus von Flüe darstellt, musste in seiner Rolle stark in die Ambivalenz dieser Figur einsteigen, um sie zu verstehen. «Ich glaube, Niklaus von Flüe hatte nie die Absicht, Bruder Klaus zu werden oder gar Friedensstifter. Er war einfach überwältigt von der Tatsache seines Seins und was das mit sich bringt», sagte Amrein.

Lichtnahrung und Sema-Ritual

Doch woher nehmen spirituelle Menschen wie Niklaus von Flüe die Kraft für ihren oftmals entbehrungsreichen Lebensweg? Niklaus Bratschen glaubt, dass Bruder Klaus von der «Lichtnahrung» gelebt habet. Er selbst kenne Menschen, die sich «über mehrere Jahre vom Licht ernährt haben», sagte er.

«Wichtig ist auch für mich, dass ich spüre, dass ich im Dunkeln getragen werde.»

Peter Cunz betonte, dass es auch im Sufismus diese dunklen Phase gebe, wo sich der Mensch mit seinen eigenen Abgründen befassen müsse: «Wichtig ist auch für mich als Sufist, dass ich spüre, dass ich im Dunkeln getragen werde.»

Cunz berichtete den interessierten Zuhörern von Sema, einem Drehritual, das die Anhänger des Mevlevi-Ordens als «tanzende Derwische» durchführen. «Es soll uns von negativen Energien reinigen», betonte der hagere, braungebrannte Mann, der ein Scheich ist, äusserlich aber glatt als Banker durchgehen würde. Viermal pro Jahr trifft er sich im «Offenen St. Jakob» in Zürich mit anderen Sufis zur Sema-Zeremonie.

Die Kraft der Gemeinschaft

Abschliessend wurde auf dem Podium die Frage diskutiert, inwiefern eine spirituelle Haltung zum Frieden zwischen den Religionen beitragen kann. Samuel Behloul betonte, dass der wichtigste Beitrag darin liege, dass jeder bei sich selbst beginne und an seinem Verhalten arbeite. «Der Mensch muss sich selbst auffordern, sich zu verändern. So kann er eine neue Dynamik auslösen, bei sich und andern», sagte der katholische Theologe und Islamexperte.

«Innerlichkeit, die sich nicht öffentlich äussert, auf die pfeife ich.»

Niklaus Brantschen brach hingegen brach eine Lanze für  die stärkende Kraft einer Gemeinschaft. «Nur so kann der einzelne auch den Mut und die Kraft haben, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren.» Der Jesuit schloss sein Plädoyer mit dem kernigen Statement ab: «Innerlichkeit, die sich nicht öffentlich äussert, auf die pfeife ich.»

Spiritualität verlangt Öffentlichkeit

Für Jasmina El-Sonbati ist das öffentliche Agieren ebenfalls zentral. Die Autorin sagte: «Spirituelle Menschen sehen auch in einer sehr individualisierten Gesellschaft ihre Aufgabe und können und müssen sich in zivilgesellschaftlicher Form einbringen.»

Niklaus Brantschen sprach optimistisch davon, dass im «Zentrum Ranft» mit den «Ranfter Gesprächen» etwas Neues und Hoffnungsvolles heranwachsen könne. Der Zen-Meister schloss mit den Worten: «Diese Gespräche können zu einer kleinen Bewegung werden.»

Den Tag schlossen die Teilnehmer mit einem Spaziergang durch den Garten des «Zentrum Ranft» und in die Ranft-Schlucht ab.

Besucher im Garten im «Zentrum Ranft». | © Vera Rüttimann
23. September 2018 | 15:52
Lesezeit: ca. 4 Min.
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Ranfter Gespräche

Im ehemaligen Friedensdorf und Via-Cordis-Haus in Flüeli-Ranft baut ein neues Team seit über einem Jahr das «Zentrum Ranft» auf. Das Zentrum strebt ein spirituelles Zentrum an, das offen ist für Kultur, Politik und für Wissenschaft.

Auch interreligiöse Begegnungen werden hier stattfinden. Deshalb wurden die «Ranfter Gespräche» ins Leben gerufen. Dabei geht einerseits um die wissenschaftliche Auseinandersetzung zum Thema Spiritualität, um konkrete Ausgestaltungen in den einzelnen Traditionen und Religionen und um aktuelle Praktiken, die vermittelt werden. (vr)