Mariano Delgado
Kommentar

Heikel an der «Entdeckungsdoktrin»: Umgang der Missionare mit anderen Religionen

Die ersten christlichen Missionare der frühen Neuzeit waren – entsprechend ihrer Zeit – von der Heilsexklusivität der Kirche überzeugt. Das verleitete sie zu schweren Fehlern im Umgang mit Menschen anderer Religionen und Kulturen. Ein Gastbeitrag.

Mariano Delgado*

Zur so genannten Entdeckungsdoktrin gehört auch der Umgang christlicher Missionare mit den anderen Religionen. Selbstverständlich kann es nicht darum gehen, die damaligen Akteure an den Prinzipien heutiger Missions- und Religionstheologie zu messen.

Ursache für schwere Fehler

Aber es kann auch nicht übersehen werden, dass es zu Beginn der Entdeckungsfahrten, als den europäischen Christen die noch nie dagewesene Möglichkeit zuteilwurde, «auf einen so grossen Teil der Menschheit Einfluss zu gewinnen» (Kenneth Scott Latourette), eine verhängnisvolle «Verengung» der Tradition gegeben hat, die für schwere Fehler und Schattenseiten im Umgang mit anderen Religionen und Kulturen verantwortlich ist.

Priester müssen oft tagelang durch den Regenwald laufen, um die Dörfer ihres Pfarrbezirks zu erreichen.
Priester müssen oft tagelang durch den Regenwald laufen, um die Dörfer ihres Pfarrbezirks zu erreichen.

Gerade damals wurde mit der Dogmatisierung des «extra ecclesiam nulla salus» durch das Konzil von Florenz (1442) die ekklesiologisch-exklusive Lesart der Tradition betont, während das Zweite Vaticanum – vor allem in «Lumen Gentium» (16) und «Gaudium et spes» (22) – eher die christologisch-inklusive hervorgehoben hat.

Wurzeln des Missionseifers

Darüber hinaus waren viele Missionare von einer eschatologischen Ungeduld und einem extremen Missionseifer geprägt. Dies nicht zuletzt aufgrund der Trienter Lehre von der Heilsnotwendigkeit der Taufe 1547, des Verständnisses der Evangelisierung der Welt als Bedingung für die ersehnte Parusie (Wiederkunft des Herrn am Ende der Geschichte, Mt 24,14) und des apodiktischen Missions- und Taufauftrags am Ende des Markusevangeliums.

Heute wissen wir, dass der Vers «Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden» (Mk 16,16) erst im 2. Jahrhundert angefügt wurde. Er verbindet den Missionsauftrag mit der Betonung der Heilsbedeutung und der Dringlichkeit der Taufe im Schatten der Christenverfolgungen, die als Zeichen für das nahende Ende der Welt betrachtet wurden.

Ähnliches gilt für die Heilsexklusivität der Kirche bei Cyprian von Karthago. Die von ihrem Entstehungskontext isolierte Rezeption dieser apodiktischen Stellen in der Missionsgeschichte entbehrt nicht einer gewissen Tragik: Sie führte zu einem übertriebenen Missionseifer und zu Zwangstaufen, um Heiden vor der Verdammung zu bewahren.

Der junge Pfarrer der Gemeinde in Puebla nahe Mexiko-Stadt und ein deutscher Kapuziner, der hier jahrelang Aufbauarbeit leistete
Der junge Pfarrer der Gemeinde in Puebla nahe Mexiko-Stadt und ein deutscher Kapuziner, der hier jahrelang Aufbauarbeit leistete

Grausame «Kolonisierung der Seelen»

Und sie stürzte Missionare in tiefe Konflikte: «Waren sie bei ausbleibenden Missionserfolg etwa an der Verdammung der Nichtgetauften mitschuldig? Waren die ungetauften Vorfahren, die als Ahnen besonders in Asien und Afrika verehrt wurden, zu den Verdammten zu zählen?» (Michael Sievernich). In vielen Missionskatechismen des Entdeckungszeitalters wird den Missionierten gesagt, dass ihre Vorfahren unwiderruflich in der Hölle brennen – was zu den grausamsten Formen der «Kolonisierung der Seelen» gehört.

Ein Problem hierbei war auch der Religionsbegriff der Europäer der Renaissance. Für sie war Religion eine Strukturkonstante der Geschichte. Der Mensch war nur als «homo religiosus» denkbar. Mit Cicero im Kopf dachten sie, dass kein Stamm so wild oder zahm unter den Menschen wäre, «der nicht wusste, dass man einen Gott haben müsse, selbst wenn er in Unkenntnis lebt, was für einen Gott zu haben sich ziemt».

Renaissance-Europäer suchten nach sichtbarer Religion

Aber unter Religion verstanden sie eine öffentliche Gottesverehrung mit deutlich identifizierbaren Kultdienern und Kultstätten oder Tempeln. Wo diese Zeichen jedoch auf den ersten Blick fehlten, hatten die Europäer Schwierigkeiten, die Religiosität etwa von Indianern überhaupt wahrzunehmen. So dachten Katholiken und Protestanten, dass die als Halbnomaden ohne feste Kultstätte und ohne die anderen sichtbaren Zeichen einer öffentlichen Religion lebenden Tupi-Indianer Brasiliens keinen Gott und keine Religion hätten.

Für eine Schamanenreligiosität, bei der Rauschkräuter, Zauberer und Tanz eine zentrale Rolle spielten, hatten die Europäer der Renaissance keinen Blick. Ihr Religionsbegriff hinderte sie paradoxerweise an der Wahrnehmung fremder Religiosität.

Gemeinsam stark sein - die Indigenen-Vertreterin Ernestina Macuxi symbolisiert mit einem Bündel Holzstäbe Stärke durch Verbundenheit
Gemeinsam stark sein - die Indigenen-Vertreterin Ernestina Macuxi symbolisiert mit einem Bündel Holzstäbe Stärke durch Verbundenheit

«Unentschuldbarer Götzendienst»

Zum exklusivistischen Denken gehört auch die Betrachtung der neuentdeckten Religionen als «unentschuldbaren Götzendienst» (Röm 1,18–21), wie dies in der Renaissance in allen christlichen Konfessionen üblich war. Mit ehrenwerten Ausnahmen wie Bartolomé de Las Casas sahen die Missionare in den anderen Religionen nur eine «falsa religio», die es argumentativ wie mit dem Schutz des christlichen Staates konsequent zu bekämpfen galt.

Aus vielen biblischen Stellen spricht nach der «Mosaischen Unterscheidung» (Jan Assmann) der Zorn des eifersüchtigen Gottes gegen Polytheismus und Götzendienst, die für die Wurzel aller Übel gehalten werden (vgl. u.a. Weish 13,1–9, Ps 96,5 und Röm 1,18–23).

Das Epochen-Argument

Zum Vorverständnis der frühneuzeitlichen Mission gehört schliesslich das, was ich die «augustinische Unterscheidung» nennen möchte. Der Bischof von Hippo sprach von zwei Epochen der Kirchengeschichte. In der einen Epoche war der Kirche die Macht nicht gegeben, um gegen Polytheismus und Götzendienst mit Unterstützung des Staates vorgehen zu können. Das war, bevor mit der konstantinischen Wende im Verlauf des 4. Jahrhunderts das Christentum nach und nach unter Verbot der heidnischen Kulte zur Staatsreligion erhoben wurde.

In der anderen Epoche kann und soll aber die Kirche die ihr verliehene Macht einsetzen. Explizit bezieht sich der Jesuit José de Acosta Ende des 16. Jahrhunderts auf diese augustinische Unterscheidung der zwei Kirchenepochen, um die – notfalls gewaltsame – Beseitigung des öffentlichen Götzendienstes zu rechtfertigen.

Dies ist nun der historische Tatbestand. Wie sieht es in der heutigen Forschung nach dem Perspektivenwechsel im Schatten des Kolumbusjahres 1992 aus?

Mission und Kolonialismus – ein schwieriges Verhältnis: Papst Franziskus mit indigenem Kopfschmuck, einem Warbonnet.
Mission und Kolonialismus – ein schwieriges Verhältnis: Papst Franziskus mit indigenem Kopfschmuck, einem Warbonnet.

Nachfahren Missionierter fordern Respekt

Die Nachfahren der Opfer christlich-europäischer Mission fordern von der Kirche verständlicherweise Respekt für ihre Kulturen und Religionen. So taten es etwa Vertreter von 30 indianischen Völkern aus 15 Ländern Lateinamerikas 1986 anlässlich der Zweiten ökumenischen Beratung über «Pastoral Indígena» in Quito.

Leonardo Boff: Kirche muss von Indianern lernen

Einige Theologen wie Leonardo Boff erwarten von der Kirche die Bereitschaft zum Lernen von den heutigen indianischen Religionen beziehungsweise von den «Synkretismen» oder «Religionshybriden», weil sie nach der Begegnung mit der christlichen Mission vieles von ihrer eigenen Tradition behalten hätten.

Leonardo Boff im Jahr 2016.
Leonardo Boff im Jahr 2016.

Darin sieht Boff eine Kontrastfolie zu den Einseitigkeiten westlich-moderner Kultur: eine mündliche Kultur, in der die heiligen Orte noch eine grosse Rolle spielen, ja eine von Ehrfurcht und Verehrung geprägte tiefe «unio mystica» mit der Grossen Mutter Erde; die Werte der Gemeinschaft; die Wertschätzung des menschlichen Leibes und des gesamten Menschen; ein Verständnis der Machtausübung als Dienst an der Gemeinschaft; Einfachheit und Gleichgültigkeit einer (westlichen) Mentalität gegenüber, die so viel wie möglich an Kapital und Reichtum anzuhäufen versucht.

Boff plädiert dafür, an die Zeit vor 1492 wieder anzuknüpfen und die alten Religionen um jeden Preis «wieder zurückzugewinnen und aufzubauen», sie in ihrer «Gültigkeit» und «Legitimität» anzuerkennen: als wesentliches Element eines Prozesses zur «Rückgewinnung der früheren Identität», aber auch als Wiedergutmachung, weil sie einst von den Missionaren «bekämpft und regelrecht verboten wurden».

Jesuiten fordern mehr als Toleranz

Ein wenig anders ist das Konzept einiger Ethnologen und Missionare aus der Gesellschaft Jesu, die im Schatten des Kolumbusjahres 1992 das Buch «El rostro indio de Dios» (dt.: Die indianischen Gesichter Gottes, 1992) konzipierten. Auch sie befürworten eine Akzeptanz der indianischen «Synkretismen» mit ihren Werten, die viel mehr bedeutet «als blosse strategische Toleranz […] So bedeutet Akzeptanz die Anerkennung des Patroziniums als ‹Sakrament des Volkes›, die Anerkennung der indigenen Ehen als eine Form des christlichen Sakramentes, die Anerkennung der Fruchtbarkeitsriten an die Mutter Erde als Kult für den fürsorglichen Gott und sie bedeutet die Anerkennung der indigenen religiösen Erfahrung».

Aber Akzeptanz bedeutet für sie auch eine Neuevangelisierung, die die Andersartigkeit dieser hybriden Religionsformen respektiert und sie «als neue ‹Samenkörner des Wortes›» beziehungsweise als «einen Beitrag zur christlichen Synthese» Lateinamerikas begreift. Dies im Sinne der christlichen Aufnahme jener Elemente einer «guten Religion», die in den indianischen «Hybridisierungen» vorhanden sind – gemäss «Nostra aetate» (2): «Die katholische Kirche verwirft nichts von dem, was in diesen Religionen wahr und heilig ist».

Gottesdienst an der Amazonas-Synode, 2019
Gottesdienst an der Amazonas-Synode, 2019

Inkulturation versus Synkretismus

Ein solches Evangelisierungskonzept will sowohl der Inkulturation als auch einem positiv verstandenen «Synkretismus» gerecht werden. Während die Inkulturation als die systematische und bewusste treibende Kraft der Evangelisierenden zu verstehen wäre, «um die universale Botschaft des Evangeliums in die evangelisierte Gesellschaft zu übersetzen», so stellt der «Synkretismus» für Manuel Marzal SJ den umgekehrten Prozess dar, «in dem die Evangelisierten versuchen, die eigenen religiösen Merkmale zu bewahren». Dieses Neuevangelisierungskonzept ist Ausdruck eines Wandels im Sinne der Religions- und Missionstheologie des Konzils.

Für einige erfordert dieser Wandel auch die Suche nach einer pluralistischen, komparativen oder postkolonialen Theologie der Religionen, die in ihren verschiedenen Varianten noch erhebliche Anstrengungen machen muss, um ihren epistemologischen Status zu klären. Denn in der Theologie der Religionen ist entscheidend der «Standort», der «locus standi», von dem wir die Religionen betrachten: Welchen Standort haben sie und in welchem Sinne verstehen sie sich jeweils als «Theologie»?

Eine «christliche» Theologie der Religionen

Andere Ansätze weisen Konvergenzen mit dem von mir vorgeschlagenen «aufgeklärten Inklusivismus» als ehrlichen Standort einer «christlichen» Theologie der Religionen auf. Wenn sie «Theologie» im Sinne des Paradigmas oder hermeneutischen Zirkels christlicher Theologie (wechselseitige Beziehung zwischen dem Glauben und der Vernunft) sein will, kann sie die Welt der Religionen nur ausgehend von ihrem eigenen Glauben betrachten.

Eine solche Theologie der Religionen wird angesichts der historischen Faktizität des Christentums (u. a. mangelnder Respekt gegenüber anderen Religionen aufgrund der oben genannten Verengung der Tradition und der praktischen Umsetzung des Absolutheitsanspruchs in der Verquickung von Mission und Kolonialismus) einige – praktische wie dogmatische – Fragen oder Aufgaben selbstkritisch (beziehungsweise «aufgeklärt») wahrnehmen müssen.

Grundprinzipien berücksichtigen

Aber wenn sie das Kind mit dem Bade nicht ausschütten und dem «missionarischen Wesen» der Kirche (vgl. «Ad gentes», 2) weiterhin gerecht sein will, wird sie dabei diesen vier Grundprinzipien eines christlichen Inklusivismus Rechnung zu tragen haben: dem universalen Heilswillen Gottes, der universalen Mittlerschaft Christi, dem Zeichencharakter der Kirche im Dienste der ersten zwei Prinzipien und schliesslich dem eschatologischen und pneumatologischen Heilshorizont, da der Heilige Geist uns immer tiefer in die Wahrheit einführen wird, so dass Tradition und Innovation zusammengehören. Von der Art und Weise, wie diese Grundprinzipien angesichts des Missionsauftrags der Kirche wie der Faktizität von anderen Religionen zusammengedacht werden, hängt die «theologische» Qualität einer «christlichen» Theologie der Religionen ab.

*Mariano Delgado ist seit 1997 Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Univer-sität Freiburg, und seit 2008 auch dort Direktor des Instituts für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog.


Mariano Delgado | © Georges Scherrer
11. August 2022 | 15:52
Lesezeit: ca. 7 Min.
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