Günther Boss
Schweiz

Günther Boss: «Wir wollen Martin Grichting nicht als Erzbischof von Vaduz»

Günther Boss vom «Verein für eine offene Kirche Liechtenstein» verbreitet auf Facebook das Gerücht, wonach Martin Grichting Erzbischof von Vaduz werden könne. Was hat es damit auf sich?

Sarah Stutte

Woher stammt Ihr Gerücht, dass Martin Grichting Erzbischof von Vaduz werden soll?

Günther Boss*: Das habe ich schon im Dezember von einer seriösen Quelle aus der Schweiz erfahren, die ich aber nicht nennen kann. Mich beschäftigt das sehr. Deswegen habe ich in einem Facebook-Post nachgefragt, ob etwas an dieser Sache dran ist.

Martin Grichting
Martin Grichting

Und ist es das?

Boss: Das weiss ich nicht. Seitdem herrscht das Schweigen im Walde. Ich habe darauf spekuliert, dass diese Behauptung jemand widerlegen kann und mir erklärt, dass Grichting stattdessen beispielsweise Dozent für Kirchenrecht in Rom wird. Wir wären ja alle froh, wenn er nicht nach Liechtenstein kommen würde. Doch als Zögling von Erzbischof Wolfgang Haas wäre das nicht unrealistisch. Zudem ist er vertraut mit unserer anstehenden Kirche-Staat-Reform.

Gibt es denn konkrete Anzeichen für Ihre Behauptung?

Boss: Wir Mitglieder der Reformgruppe vermuten stark, dass etwas in der Luft liegt. Wolfgang Haas muss 2023 seinen Rücktritt einreichen, weil er dann 75 Jahre alt wird. Auf seinen ordentlichen Rücktritt gibt es drei mögliche Varianten: Der Papst kann nächstes Jahr einen neuen Bischof von Vaduz einsetzen. Er kann aber auch die Amtszeit von Haas verlängern. Die dritte Option wäre mir am liebsten: das Erzbistum Vaduz aufzulösen und wieder mit dem Bistum Chur zu verbinden.

Momentan sieht aber nichts danach aus.

Boss: In letzter Zeit gab es viele Besuche in Rom. Erst wird der neue Nuntius Martin Krebs Ende Oktober zu einer Privataudienz beim Papst eingeladen, dann unsere Aussenministerin Dominique Hasler. Im November folgte der Ad-limina-Besuch der Schweizer Bischöfe. Über die genauen Inhalte dieser Gespräche ist nichts bekannt.

«Liechtenstein befindet sich in einem kirchlichen Elend.»

Haben Sie die Nachricht auf Facebook gezielt verbreitet als Kampagne gegen Grichting?

Boss: Es war eine spontane Aktion. Mir ging es aber schon darum, darauf aufmerksam zu machen, was möglicherweise auf Liechtenstein zukommt. Grichting ist hier nur wenigen Insidern bekannt, welche die Ereignisse in Chur verfolgt haben. Liechtenstein befindet sich in einem kirchlichen Elend. Wir haben rund 60 Priester – von denen etwa die Hälfte nicht in der Seelsorge einsetzbar ist.

Wir sind mit dem Zustand des Erzbistums sehr unzufrieden. Die Gläubigen haben rein rechtlich in Liechtenstein kein direktes Mitwirkungsrecht. Der Erzbischof von Vaduz ist nicht Teil einer Bischofskonferenz. Wir sind immediat – das Bistum ist direkt dem Papst unterstellt. Und wer neuer Bischof wird, entscheidet einzig und allein der Heilige Stuhl. Hoffnung gibt uns aber der neue Nuntius, mit dem wir als Verein in Kontakt treten wollen.

Papst Franziskus spendet den Segen "Urbi et orbi" am 25. Dezember.
Papst Franziskus spendet den Segen "Urbi et orbi" am 25. Dezember.

Martin Grichting hat im November 2020 bei der Domkapitelsitzung gegen die Vorschläge des Papstes Stimmung gemacht. Warum sollte ihn der Papst zum Erzbischof ernennen?

Boss: Genau deshalb halten es einige meiner Theologen-Kollegen für unrealistisch, dass Grichting einen solchen Posten bekommt. Doch am Beispiel des deutschen Kardinals Gerhard Ludwig Müller sieht man, dass fortlaufende Kritik am Papst kein Hinderungsgrund sein muss für die Ernennung in neue hohe Ämter.

«Die Politik des Papstes besteht darin, Kritiker anders zu beschäftigen.»

Frei flottierende Papstkritiker wie Grichting beschäftigen die Bischofskonferenz immer wieder aufs Neue. Die Politik des Papstes besteht deshalb darin, sie anders zu beschäftigen. Das ist durchaus ignatianisch. Mich stört daran, dass nicht-vermittelbare Bischofsaspiranten in unserem Erzbistum quasi abgestellt werden.

Am Dienstag hat sich Ihre Reformgruppe getroffen. War Martin Grichting Thema?

Boss: Ja, das war natürlich Thema und alle Vereinsmitglieder fanden das unmöglich. Ein solches Szenario würde bedeuten, dass unser Verein noch länger notwendig ist. Die katechetische und sakramental-theologische Arbeit, die wir machen, möchten wir irgendwann wieder in die offizielle Kirche integrieren. Vorausgesetzt, es gibt eine gute Lösung im Bistum. Wenn aber Martin Grichting kommt, müssen wir weiter als Verein Widerstand leisten.

Martin Krebs, Apostolischer Nuntius, am traditionellen Neujahrsempfang 2022 im Bundeshaus.
Martin Krebs, Apostolischer Nuntius, am traditionellen Neujahrsempfang 2022 im Bundeshaus.

Welche Anliegen wurden sonst in der Vereinssitzung besprochen?

Boss: Es ging mehr um Interna rund um den synodalen Prozess. Da wir schon länger mit dem Nuntius Martin Krebs in Verbindung treten wollten, haben wir nun beschlossen, diesen Prozess zu beschleunigen. Um die Vorgänge einordnen zu können und entsprechend darauf zu reagieren. Unter anderem ist es uns auch wichtig, für eine päpstliche Visitation zu werben, damit die Probleme, die wir hier im Bistum haben, angegangen werden können.

Günther Boss (52) stammt aus Vaduz und hat in Freiburg i.Ü. und München Philosophie und Theologie studiert. Er ist theologischer Berater des Vereins für eine offene Kirche und Chefredaktor von «Fenster. Magazin des Vereins für eine offene Kirche». Er wohnt in Triesenberg/Liechtenstein.

Martin Grichting hat sich auf schriftliche Anfrage hin nicht zu dem Gerücht um seine Person geäussert.


Günther Boss | © Daniel Schwendener
14. Januar 2022 | 13:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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