«Gott würfelt doch!» – Theologen und Physiker haben in der Atheismusdiskussion gemeinsam was zu sagen

Freiburg i.Ü., 7.6.16 (kath.ch) Die allgemeine Physik schloss die Existenz Gottes aus und deklarierte die Welt als mechanisches Produkt. Die Atomphysik brachte dieses Weltbild ins Wanken und entzog mit der Lehre des «Zufalls» der allgemeinen Physik den Boden als plausible Quelle des Atheismus in der Neuzeit . «Gott würfelt doch», sagte darum der Theologe und Mathematiker Dieter Hattrup, der Dogmatik in Paderborn und Freiburg lehrt, an seiner Abschiedsvorlesung in der Schweiz. Er forderte Theologen und Physiker auf, sich auf das gemeinsame Gespräch einzulassen.

Barbara Hallensleben*

Ein nicht alltägliche Begegnung fand am Mittwoch, 1. Juni, im grossen Hörsaal der Physik der Universität Freiburg statt: Dieter Hattrup, seit 11 Jahren Gastprofessor der Dogmatik an der Theologischen Fakultät Freiburg, hielt seine Abschiedsvorlesung vor einem gemischten Publikum aus der Theologischen und der Naturwissenschaftlichen Fakultät.

Antoine Weis, Professor der Physik, hatte zum Ereignis eingeladen. Der Physiker präsentierte in gut nachvollziehbarer Weise, welche die Komplexität seines Fachgebiets erahnen liess, einen von Experimenten begleiteten Vortrag zum Thema «Wellen oder Teilchen? Die duale Natur des Lichts». Das Ergebnis hat nicht nur physikalische, sondern auch philosophische, ja theologische Bedeutung.

Sie wissen ja, dass durch die Atomphysik sehr allgemeine Probleme anders aussehen als früher, etwa das Verhältnis von Naturwissenschaft zur Religion.

In der Quantenphysik beruht der Zufall nicht auf unserer Unkenntnis beziehungsweise auf mangelhaften Messmethoden. Hier gilt das Prinzip des «reinen Zufalls», den Physiker im Laufe des 20. Jahrhunderts entdeckten und doch nur widerwillig hinnahmen. In Wissenschaftskreisen hiess es dann neu: «Gott würfelt doch!». Der Ausspruch «Gott würfelt nicht!», der dem Physiker Albert Einstein zugeschrieben wird, wurde abgewandelt.

Forschungen der Quantenphysik über das Licht haben gezeigt, dass man nicht vollständig voraussagen kann, wie sich in verschiedenen experimentellen Anordnungen die Photonen des Lichts verhalten werden. Zudem können gleiche Anfangszustände in der Vergangenheit zu verschiedenen Endzuständen in der Zukunft führen. Das ergibt, dass sich die Physik aufgrund eigener Ergebnisse vom mechanischen Weltbild einer kausal determinierten Natur verabschieden muss.

Der Preis der Freiheit

Unter diesen Bedingungen wird Freiheit in der Natur wieder denkbar. Auf dieser einfachen Aussage baute Dieter Hattrup, Professor für Dogmatik an der Universität Paderborn und Gastprofessor in Freiburg, seine Freiburger «Abschiedsvorlesung» auf. Er tat dies unter Bezug auf eine Äusserung des deutschen Wissenschaftlers Werner Heisenberg, der 1932 den Nobelpreis für Physik erhielt.

Dieser hatte um 1970 gesagt: «Sie wissen ja, dass durch die Atomphysik und durch das, was man in ihr gelernt hat, sehr allgemeine Probleme anders aussehen als früher, etwa das Verhältnis von Naturwissenschaft zur Religion, allgemeiner zur Weltanschauung. Das sieht jetzt anders aus, seit wir wissen, dass selbst in der Atomphysik die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt nicht mehr so einfach aussieht wie in der klassischen Physik.»

Die Zuhörenden lernten, dass die Physik in der Tat in der Theologie ernsthaft mitzureden hat: «Wenn die Wissenschaft zeigen kann, in der Natur sei Freiheit nicht zu denken, dann müssten wir den personalen Gott aufgeben» (Hattrup). Doch sie lernten auch, dass es heute mit der Physik einfacher ist, an Gott zu glauben, als ohne oder gar gegen sie.

Erstaunlicher Einklang

Die Aussagen des Theologen Hattrup bildeten einen erstaunlichen Einklang mit den Ergebnissen des Physikers Weis: «Im Gegensatz zum subjektiven (kausalen) Zufall in der klassischen Physik haben wir es in der Quantenwelt mit einem objektiven (akausalen) Zufall zu tun» (Weis). Der «echte Zufall», den Einstein um jeden Preis vermeiden wollte, ist jedoch noch kein Gottesbeweis.

Damit wird auch der Vorrang des Personalen vor dem anonymen Gesetz plausibel.

Doch das Schattenspiel von Zufall und Notwendigkeit, die beide nachweisbar sind, kann als Widerschein einer Freiheit interpretiert werden, die sich unweigerlich unserem Begreifen entzieht. Es ist die Bedingung der Möglichkeit, um von Freiheit in der Natur sprechen zu können. Damit wird auch der Vorrang des Personalen vor dem anonymen Gesetz plausibel. Mit der Freiheit Gottes, in der Welt zu handeln, ist auch die Freiheit des Menschen wieder aussagbar – «und allein der akausale Quantenzufall gesteht uns eine offene Zukunft zu» (Weis).

Nach Dieter Hattrup war die mechanische Naturwissenschaft die einzig plausible Quelle des Atheismus in der Neuzeit. Wenn heute auf neue Weise ein angeblicher «wissenschaftlicher Atheismus» proklamiert wird, dann sollten die Theologen vielleicht einfach die Physiker sprechen lassen – noch besser: mit ihnen sprechen! (gs)

*Barbara Hallensleben ist Professorin der Dogmatik und Theologie der Ökumene an der Universität Freiburg

Graphik «Gott würfelt doch!» von Antoine Weis | © 2016 zVg Institut für Ökumenische Studien Freiburg
7. Juni 2016 | 14:50
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