Dan Tschanz.
Schweiz

Gott auf nackter Haut – religiöse Tattoo-Motive sind beliebt

Wettingen AG, 26.9.18 (kath.ch) Kreuze, Jesus-Porträts, Engel und Dornenkronen. Immer mehr Tattoo-Anhänger tragen solche im weitesten Sinn religiöse Motive grossflächig auf ihrer Haut. Einem Phänomen auf der Spur.

Vera Rüttimann

Aus dem Atelier von Dan Tschanz an der Zentralstrasse 122 im aargauischen Wettingen dringt ein surrendes Geräusch. Es kommt aus dem Innern des Raumes, auf dem ein Mann auf einem Schragen liegt. Ihm wird mit feinsten Nadeln und flüssiger Tinte ein Tattoo auf die Brust graviert.

Dan Tschanz, der seit über 20 Jahren in seinem eigenen Studio die Wünsche seiner Kunden erfüllt, hat ein volles Auftragsbuch.  Tattoos boomen. Das weiss der Mann mit den tätowierten Armen auch von der letzten «Tattoo Convention», die im Sommer in Bern stattgefunden hat.

Die Kundschaft wächst, denn Tattoos dieser Art sind gefragt.

Die vielen Motive von Jesus, Maria, Engeln und Kreuzen in seinem Atelier lassen unschwer erkennen: Dan Tschanz ist spezialisiert auf Tattoos mit Motiven aus der Welt der Religion. Seine Kundschaft wächst, denn Tattoos dieser Art sind gefragt.

Warum sich Menschen tätowieren

Zu Dan Tschanz kommen Leute aus allen Schichten, die sich einen Engel, ein Kreuz oder eine Madonna auf die Haut stechen lassen wollen. «Darunter sind Banker, Pfarrer oder Lehrer. Tätowieren lassen sich längst nicht mehr nur Rocker oder Leute am Rande der Gesellschaft, wie es früher war», sagt er.

Weshalb aber ist es heute so attraktiv, sich  mehrere Stunden unter die Nadel zu legen, um sich grossflächige Bilder, oftmals in verschiedenen Farben, auf den Körper stechen zu lassen? Antwort findet man vielleicht in dem von Christoph Türcke verfasstem Buch mit dem Titel «Erregte Gesellschaft. Philosophie der Sensation».

Angesichts einer mit Emotionen aufgeladenen Gesellschaft, so der Leipziger Wissenschaftler, gebe es immer mehr Menschen, die nach der Maxime leben: Du musst dich selbst zum Bild machen. Der grassierende Selfie- und Influencer-Wahn habe diese Entwicklung noch verstärkt.

Bekenntnis, Schutz, Begleitung

Michael Goldberg analysierte in seiner Masterarbeit «Glaube, der unter die Haut geht» für die Universtsität Luzern aus dem Jahr 2017 ebenfalls die Beweggründe, warum sich Leute tätowieren lassen. Er fand heraus: Das Tattoo erinnert Menschen an besonders einschneidende Ereignisses in ihrer Lebensgeschichte wie Tod eines Angehörigen, Geburt eines Kindes oder Heirat.

Das Tattoo bietet Schutz und Begleitung im Alltag.

Die Körperbemalung kann auch für die Überwindung von Krisen stehen. Das Tattoo bietet einigen zudem Schutz und Begleitung im Alltag. Auffällig ist, dass für viele die Aussagen ihrer Tattoos Ewigkeitswert haben. Nicht zuletzt bedeuten Tattoos mit religiösen Motiven wie Kreuzen für viele das Bekenntnis zum eigenen Glauben. Nicht aber unbedingt das Bekenntnis zur Institution Kirche.

«Rite de passage»

Der Schritt, sich unter die Nadel zu legen, kostet noch immer Mut. Doch die Mühsal scheint belohnt zu werden. Für den Experten Markus Anscar Friedrich muss sich beim Tätowieren etwas Aussergewöhnliches ereignen, wie er in Gesprächen mit Tätowierten herausgefunden hat.

In einem Artikel über Religion und Tattoos im Magazin für Theologie und Ästhetik schreibt er: «Der zu Tätowierende passiert die Schwelle des Tattoo-Studios und überwindet auch eine innere Schwelle, entscheidet sich, bereitet und vollzieht einen Schritt in ein verändertes und unumkehrbares Körperbild hinein.» Das Tätowierungsgeschehen sei ein Schwellenritual, ein «rite de passage».

Stigma und Erkennungszeichen

Im Atelier von Dan Tschanz findet sich Fachliteratur, wo viel Wissenswertes über die Ursprünge von Tattoos zu finden sind. Der Wettinger, der sein Tattoo-Handwerk Mitte der 1990er-Jahre in Ostdeutschland erlernt hat, weiss: «Tatoo» kommt von ‹Tatau›, dem tahitianischen Wort für «Wunden schlagen.»

Tattoos und deren Bedeutung wurden innerhalb einer Epoche verschieden gedeutet. Unter den ersten Christen galt die Tätowierung als Erkennungszeichen. Sie trugen die Initialen Christi in Form des «X» oder «I.N.», oder auch einen Fisch, ein Kreuz oder ein Lamm auf der Stirn. Andererseits wurden zweifelnden Christen durch Tattoos gebrandmarkt und stigmatisiert.

Bibel sagt Nein zu Tattoos

Die Beziehung zwischen der Kirche und der Kultur der Tattoos ist vielschichtig und widersprüchlich. Lange waren die Körperzeichen unter Christen selbst umstritten und wurden abgelehnt. Im Alten Testament heisst es im Dritten Buch Mose unter den kultischen Geboten: «Für einen Toten dürft ihr keine Einschnitte auf eurem Körper anbringen und ihr dürft euch keine Zeichen einritzen lassen» (3. Mose 19,28).

«Denn ich trage die Zeichen Jesu an meinem Leibe.»

Andererseits wird vermutet, dass Paulus tätowiert war. Im Brief an die Gemeinde der Galater schreibt er: «In Zukunft soll mir niemand mehr solche Schwierigkeiten bereiten. Denn ich trage die Zeichen Jesu an meinem Leibe» (Galater 6,17). Wissenschaftler vermuten weiter, dass später Papst Adrian am Konzil von Calcuth im britischen Northumberland im Jahr 787 Christen das Tätowieren untersagte.

Religion die «unter die Haut geht»

Andererseits lassen sich Pilger nach Erreichen ihres Ziels seit Jahrhunderten tätowieren.  An Orten wie Bethlehem hat dieser Brauch bis heute überlebt. Wem die Religion wirklich unter die Haut geht, der sucht das Tattoo-Studio von Walid Ajasch auf. Der katholische Palästinenser hat sich als Tätowierer von christlichen Bildthemen und Bibelversen einen Namen gemacht. Koptische Christen lassen sich bei ihm ein Kreuz auf die Hand oder den Unterarm tätowieren.

Das Thema Tattoo ist auch bei hiesigen Pfarrern angekommen. Die Plattform «Fresh Expressions» berichtete von einem Pfarrer, der ein Tattoo-Geschäft aufsuchte und die Eigentümerin einlud, in der Kirche über Tattoos und Gott zu sprechen.

Vieldeutige Aussagen

Wie unterschiedlich Tattoos gedeutet werden können, zeigt die Sammlung von Bildern von tätowierten Insassen sowjetischer Strafvollzugsanstalten. Sie gehört Arkady Bronnikov, Russlands führendem Experten für Tattoo-Deutung.

Die Häftlinge tragen Tattoos mit Jesus oder Madonnen-Motiven. Die Bilder zeigen, dass diese Motive in diesem Kontext jedoch nichts mit Religion und Glauben zu tun haben. Gerade das Motiv der Madonna und ihrem Kind, so der Autor, könne unter Häftlingen eine ganz andere Bedeutung haben: «Das Madonnen-Motiv kann für die Loyalität zu einem Clan stehen.»

Aber auch das Kreuz hat hier eine andere Bedeutung: Wer Kreuz-Tattoos auf den Knien träg, will ausdrücken, dass er sich vor niemanden beugt.

Ausdruck für Glaube, Liebe, Hoffnung

Für Cornelia S., eine von Dan Tschanz’ Kundinnen, haben Anker, Herz und Kreuz, die als Tattoos auf ihrem rechten Schulterblatt prangen, eine klare Botschaft: «Sie stehen für Glaube, Liebe und Hoffnung.»

Die Studentin verlässt das Studio wohl mit einem anderen seelischen Befinden als jenem, mit dem sie zuvor die Schwelle überschritten hatte.

Dan Tschanz. | © Vera Rüttimann
26. September 2018 | 16:01
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