Fotoaufnahme von Edith Stein 1936 in Breslau
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Gewachsen statt zerbrochen – vor 75 Jahren wurde Edith Stein ermordet

Bonn, 9.8.17 (kath.ch) «Gott möge mein Leben und Sterben annehmen … zur Sühne für den Unglauben des jüdischen Volkes … für die Rettung Deutschlands und den Frieden in der Welt»: So lautet das Vermächtnis, das Edith Stein 1939 in ihrem Testament niederlegte, nachdem sie im Karmel von Echt in den Niederlanden Zuflucht vor Hitlers Häschern gefunden hatte.

Anselm Verbeek

Es wäre zu einfach, in der «Sühne für den Unglauben» einen vorkonziliaren Antijudaismus zu sehen. Auch die ersten Anhänger Christi hatten nach seinem Kreuzestod gehofft, Israel werde den jüdischen Reformer Jesus als Messias anerkennen. Gerade als Ordensfrau begann die Karmelitin, die Wurzeln des Christentums im «Schicksal des Volkes Gottes» neu zu entdecken. Sie suchte kein Martyrium, war aber zum Opfertod bereit und glaubte an eine «mögliche Stellvertretung».

Mystisch erfahren, wie man nur von innen leben kann.

Am 9. August 1942 wurden Edith Stein und ihre Schwester Rosa in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. Die Philosophin in Ordenstracht hat mit ihrem Leidensweg Zeugnis für den jüdischen und christlichen Glauben abgelegt: dass man beim Grauen der Schoah in seinem Glauben nicht zwingend zerbrechen muss, sondern auch wachsen kann. Die Heilige glaubte, im KZ mystisch «zu erfahren, wie man nur von innen leben kann». Nie hat sie die Treue zu ihrem Volk infrage gestellt.

In Breslau aufgewachsen

Geboren wurde sie am 12. Oktober 1891 in Breslau, als jüngstes von elf Kindern. Ihre Mutter war eine Kraftnatur und lebendiges Vorbild für Steins späteren Kampf um soziale und politische Gleichberechtigung. Auguste Stein führte den verschuldeten Holzhandel ihres früh verstorbenen Mannes auf den Erfolgspfad. Edith wuchs in einer jüdischen Tradition auf. Hochbegabt und brennend ehrgeizig, fühlte sie sich gefordert, als sie das eben erst auch für Mädchen geöffnete Gymnasium besuchen konnte.

Das Beten abgewöhnen

Als 15-Jährige hat sie sich «das Beten ganz bewusst und aus freiem Entschluss abgewöhnt», wie ihre Autobiografie überliefert. Aber die Sinnfrage hat sie in keiner Lebensphase losgelassen. Als eine der ersten Studentinnen überhaupt begann sie Germanistik, Geschichte, Philosophie und Psychologie zu studieren. Daneben engagierte sie sich für das Frauenstimmrecht.

Suche nach einem «in sich begründeten Sein, nach Einem, der das ‘Geworfene’ wirft».

Die Suche nach einem «Sinnzusammenhang» führte Edith Stein zur Philosophie nach Göttingen, genauer zur Phänomenologie, wie sie Edmund Husserl lehrte. Zielstrebig verfolgte sie ihren Traum einer Philosophie-Professur. Sie arbeitete später für Husserl in Freiburg, als erste wissenschaftliche Assistentin der Philosophie an einer deutschen Universität. Bereits in ihrer Dissertation «Zum Problem der Einfühlung» spiegelt sich ihre noch vorsichtig verklausulierte Bereitschaft, die Erfahrung des Anderen auch metaphysisch über die Grenzen des eigenen Bewusstseins zu erweitern.

Teresa von Avila als Vorbild

Lebenserinnerungen und Vorbild der heiligen Teresa von Avila, Karmelitin und Reformerin, haben dem «langen Suchen nach dem wahren Glauben ein Ende gemacht», urteilte Edith Stein selbst. Nachdem die NS-Machtergreifung ihr als Jüdin ein öffentliches Wirken versperrt hatte, trat sie unter dem Namen ihrer geliebten Teresa dem Kölner Karmel bei.

Zuvor war sie Dozentin in Speyer und Münster. Und als im April 1933 die staatliche Pogromhetze einen ersten Höhepunkt erreichte, bat Stein Papst Pius XI. in einem Brief, der Heilige Stuhl möge «gegen die Vergötzung der Rasse und der Staatsgewalt» und den «Vernichtungskampf gegen das jüdische Blut» seine Stimme erheben.

«Endliches und ewiges Sein»

Im Karmel verfasste Stein ihr Hauptwerk «Endliches und ewiges Sein». Darin fragte sie – wie Husserl-Schüler Martin Heidegger – nach dem Sinn des Seins. Aber über die Existenzphilosophie hinaus suchte sie nach einem «in sich begründeten Sein, nach Einem, der das ‘Geworfene’ wirft». Um den Kölner Karmel zu schützen, siedelte Edith Stein mit ihrer Schwester Rosa 1938 in den Karmel im niederländischen Echt über.

Protest in katholischen und protestantischen Kirchen

Wie Pius XI. in seiner Enzyklika «Mit brennender Sorge» (1937) haben die niederländischen Bischöfe nicht geschwiegen. Der Protest gegen die Judenverfolgung wurde am 26. Juli 1942 von den Kanzeln aller katholischen und vieler protestantischen Kirchen verlesen. In einem Racheakt wurden alle katholischen Juden verschleppt und ermordet, darunter auch Edith Stein. Am 9. August 1942 starb sie in den Gaskammern von Auschwitz. Die Mystikerin hatte fest geglaubt, nach dem Tod würden sich «einzelne verlorene Töne, die … der Wind von einer in weiter Ferne erklingenden Symphonie zuträgt», zu einem «vollendeten Sinnzusammenhang» fügen. (kna)

Fotoaufnahme von Edith Stein 1936 in Breslau | © KNA
9. August 2017 | 10:28
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