Franziska Driessen-Reding und der Kapuziner Willi Anderau.
Schweiz

Für Franz von Assisi war die Kirche mehr als ein Club von Priestern und Bischöfen

Die Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding hat beim Franziskus-Fest in Luzern gepredigt. Über ihre vier Katzen, die vor ihrer Predigt wegliefen. Und darüber, dass die bedrohte Schöpfung keine Predigten braucht, sondern Taten. 

Franziska Driessen-Reding*

Franziska Driessen-Reding ist ehemalige Zürcher Synodalratspräsidentin.
Franziska Driessen-Reding ist ehemalige Zürcher Synodalratspräsidentin.

Geschätzter Willi Anderau

Liebe Brüder der Kapuzinergemeinschaft

Sehr geehrte Damen und Herren, Gläubige oder Ungläubige

Die Menschen zieht es vom Land in die Städte. Sie wollen nicht weiter vom Ackerbau leben, sondern glauben an den Erfolg anderer Branchen wie dem Handel. Die Gesellschaft verändert sich. Die Unterschiede zwischen arm und reich werden grösser. Und die katholische Kirche steckt in einer Krise.

Die Kirchenkrise gab’s auch im Mittelalter

Was ich Ihnen da gerade skizziert habe, tönt vielleicht nach einer Zeit, die noch nicht so lange her ist. Vielleicht ein paar Jahrzehnte. Aber ich beziehe mich auf eine ganz andere Epoche. Ich habe Ihnen in ein paar groben Pinselstrichen das Italien Ende des 12., Anfang des 13. Jahrhunderts gezeichnet. 

Heilige Klara und Heiliger Franziskus von Assisi – Fresko um 1520.
Heilige Klara und Heiliger Franziskus von Assisi – Fresko um 1520.

Die Zeit, als ein Giovanni di Pietro di Bernardone geboren wurde. In der Stadt Assisi in Umbrien. Wir kennen ihn heute als Franz. Und er ist nicht nur der Namenspatron unseres aktuellen Papstes. Auch ich verdanke ihm meinen eigenen Vornamen, Franziska.

Franz von Assisi bringt die Menschen zum Nachdenken

Ich habe die Ehre erhalten, die heutige Festpredigt zu halten. Dass ich als Laiin in einem kirchlichen Rahmen überhaupt so etwas wie eine Predigt halten darf – das habe ich vielleicht ein Stück weit Franz von Assisi zu verdanken. 

Ein radikaler sei er gewesen, der Franz. Ein Reformer. Einer, der die Leute zum Nachdenken gebracht hat. Und einer, der etwas hinterlassen hat, das Jahrhunderte überdauert hat. 

Kirche als ganzheitliche Gemeinschaft

Es ist sicher kein Zufall, dass dieser Franz ausgerechnet in jener Zeit einen Auftrag gespürt hat, einen göttlichen vielleicht sogar. Eine Stimme, die ihm gesagt hat: «Tu etwas. Sorge für Veränderung.»

Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.
Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.

Franz hat gewusst, dass die Kirche viel mehr ist als ein Club von Priestern und Bischöfen. Sie ist eine ganzheitliche Gemeinschaft. Eine, in der alle bis zum kleinsten Gläubigen im kleinsten Dorf eine wichtige Rolle spielen. 

Alle können das Evangelium verbreiten

Wir, also Leute wie ich selber, wie vielleicht einige unter Ihnen, die sich in den Kirchenpflegen und Kantonalkirchen engagieren: Wir dürfen uns also auch ein bisschen als die Erbinnen und Erben von Franz verstehen.

Laiinnen und Laien – also so, wie die Kirche sie versteht, an sich aber Leute vom Fach –, die sich in der Kirche und für die Kirche engagieren. Die mitarbeiten an der Verbreitung des Evangeliums, sich einsetzen fürs universelle Mitgefühl zwischen Menschen und eine gelebte Solidarität in unserer Gesellschaft.

Franziska Driessen-Reding predigt in Luzern.
Franziska Driessen-Reding predigt in Luzern.

Sie wissen sicher, Franz hat beim Menschen nicht Halt gemacht. Er ist der Meinung gewesen, dass auch die Tiere und Pflanzen das Wort Gottes hören sollen. Wir wissen heute nicht mit Sicherheit, wie seine Tier- und Naturpredigten verlaufen sind. Es ist überliefert, dass sie stattgefunden haben. Aber ob die Tiere im Wald alle gebannt seinen Worten gelauscht haben? Ganz sicher sind die Pflanzen nicht davongelaufen.

Naturpredigten von Franz von Assisi

Ich habe, sinnbildlich für die Naturpredigten von Franz, diesen kleinen Kaktus mitgebracht. Er hört gewissermassen im Auftrag der gesamten Natur zu, was ich Ihnen hier erzähle. 

Adam und Eva im Paradies: Glasfenster der Kapelle am Zürcher Unispital.
Adam und Eva im Paradies: Glasfenster der Kapelle am Zürcher Unispital.

Als Kaktus hat er stichhaltige Abwehrmechanismen. Aber die nützen ihm im Moment nichts, es ist sein Schicksal, dass er mir die nächsten paar Minuten zuhören muss. Vielleicht denkt er sich seine Sache. Vielleicht wartet er aber ganz still auch auf die nächsten Sonnenstrahlen.

Der Planet erträgt das nicht mehr

Daheim habe ich diese Festpredigt vor meinen vier Katzen geübt. Ich habe mir gesagt: Franziska, tu es deinem Namenspatron gleich. Rede mit der Tierwelt. Ich weiss nicht, wer von Ihnen Katzen hat oder schon einmal gehabt hat. Sie können sich vorstellen, dass mein Experiment kläglich gescheitert ist. Meine geliebten Viecher haben mir ihr Hinterteil zugedreht und sind davon marschiert. Nur eine kleine Spinne in der Ecke hat geduldig zugehört.

Die Welt in einer Glaskugel.
Die Welt in einer Glaskugel.

Vielleicht sollten wir das als Zeichen interpretieren. Dass wir der Natur gegenüber nicht Predigten halten sollen. Sondern handeln müssen. Taten statt Worte! Der Mensch hat sich seit Jahrtausenden bei der Natur bedient und seit Jahrzehnten in einem Ausmass, von dem wir heute wissen: Der Planet erträgt das nicht mehr. Mit seiner Masslosigkeit hat der Mensch schon lange angefangen, sich sein eigenes Grab zu schaufeln. Aber noch können wir dafür sorgen, dass wir uns nicht in dieses Grab hineinlegen müssen.

Papst Franziskus erfüllt nicht alle Hoffnungen

Ob Franz jetzt das Evangelium den Rehen und Hasen verkündet hat oder nicht: Er hat bereits vor 800 Jahren für die Natur demonstriert. Und vielleicht als erste prominente Stimme die Nachhaltigkeit gepredigt. Es ist kein Zufall, dass er als Schutzheiliger des Natur- und Tierschutzes gilt.

Mission und Kolonialismus – ein schwieriges Verhältnis: Papst Franziskus mit indigenem Kopfschmuck, einem Warbonnet.
Mission und Kolonialismus – ein schwieriges Verhältnis: Papst Franziskus mit indigenem Kopfschmuck, einem Warbonnet.

Vor fast neun Jahren hat der aktuelle Papst die Welt überrascht. Und zwar, als er den Namen Franziskus gewählt hat. Er hat damit ein neues Kapitel in Sachen Papstnamen aufgeschlagen. Und mit dieser symbolischen Wahl hat er viele Hoffnungen geweckt. Längst nicht alle sind erfüllt worden, leider.

Der katholische Supertanker bewegt sich keinen Zentimeter

Ja, Papst Franziskus hat eine neue Kultur nach Rom gebracht. Seine Art, den Leuten zuzuhören, auf Pomp und Glitzer zu verzichten – und die bisherigen Machtstrukturen da und dort aufzubrechen: Dafür schätze und respektiere ich unseren Papst sehr. 

Franziskus als Streetart
Franziskus als Streetart

Auf der anderen Seite hat er bis jetzt nur wenig Anstalten gemacht, die wirklich heissen Eisen in unserer Kirche anzupacken. In vielen heiklen Fragen hat sich unser katholischer Supertanker keinen Zentimeter bewegt.

Ein Reformer, aber kein Revolutionär

Auch der Original-Franziskus, der von Assisi, ist zwar ein Reformer, aber kein Revolutionär gewesen. Er hat Vieles hinterfragt, aber er hat sich nicht gegen den Klerus aufgelehnt. Vielleicht merken wir erst in ein paar Jahren oder Jahrzehnten, dass Papst Franziskus doch ein paar Nägel mehr eingeschlagen hat, als wir ihm heute zutrauen.

Blume als Streetart.
Blume als Streetart.

Ich würde mir das sehr wünschen. Ich möchte, dass unsere Kirche fortbesteht. Und dass ihre Lehren und die Lebensrealität von uns Menschen im 21. Jahrhundert etwas weniger Distanz zueinander haben.

Das Licht soll für alle strahlen

Ich freue mich, dass Sie heute hier sind. An dieser Feier, die eine grosse symbolische Bedeutung hat. Die Werte, für die der Name Franz und sein Patron stehen – diese Werte werden nie ein Ablaufdatum haben. Und sie sind heute so aktuell, wie sie es vor 800 Jahren gewesen sind. In der Welt. In unserem Alltag. Und vor allem in unserer Kirche.

Laudato si’: Das Evangelium von der Schöpfung.
Laudato si’: Das Evangelium von der Schöpfung.

Folgen wir Franz von Assisi. Indem wir uns einbringen. Indem wir uns einmischen. Indem wir nicht schweigen, nicht einmal nur reden, sondern indem wir handeln. Es gibt eine Kirche, in der alle Platz haben. Eine Kirche, die Gräben zuschüttet, statt sie aufreisst. Eine Kirche, in der das Licht auch in den hintersten Winkel für alle gleich hell strahlt. 

Wir alle sind Sternchen in diesem Kirchenhimmel

Das ist die Kirche, von der Franz von Assisi geträumt hat. Und es ist die Kirche, für die sich ganz viele Leute auf der Welt einsetzen. Wir alle sind kleine, unscheinbare Sternchen in diesem Kirchenhimmel. Aber gemeinsam bilden wir ein beeindruckendes Firmament.

Sternenhimmel
Sternenhimmel

Der kleine Kaktus, der hier vor mir steht, steht noch immer gleich da wie vorher. Er ist nicht gelb oder schwarz geworden in den letzten paar Minuten. Ich weiss nicht, ob er mir zustimmen oder mir widersprechen würde. Was Sie betrifft: Sie müssen nicht schweigen. Sagen Sie mir, sagen Sie den Brüdern der Kapuzinergemeinschaft, was Sie denken. Über das, was ich hier vorne zum Besten gegeben habe. Oder was Ihnen punkto Kirche auf dem Herzen liegt. 

Erntedank in Altendorf SZ
Erntedank in Altendorf SZ

Wir sind da, um einander zuzuhören. Um miteinander zu reden. 

Ich danke Ihnen für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. Und ich wünsche Ihnen ein wunderbares Risotto-Essen im Anschluss, einen schönen Sonntag und einen erfolgreichen Start in die kommende Woche.


Franziska Driessen-Reding und der Kapuziner Willi Anderau. | © zVg
2. Oktober 2022 | 14:08
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