Esel und Pferd
Schweiz

Esel gegen Pferd: Wer gewinnt das biblische Rennen?

Rorschach SG, 12.8.17 (kath.ch) Welche Tiere kommen einem bei Jesus Christus spontan in den Sinn? Ochs und Esel natürlich. Barbara Camenzind, freie Mitarbeiterin von kath.ch, konzentriert sich in diesem Beitrag auf den Esel und seinen nächsten Verwandten, das Pferd. Sie ist auf einem heilpädagogischen Reithof im Appenzellerland aufgewachsen und trainiert nebenberuflich Islandpferde. Für die Sommerserie «tierisch heilig» veranstaltet sie ein «biblisches Turnier», in dem Pferd und Esel gegeneinander antreten.

Barbara Camenzind

Jede Turnierprüfung im Pferdesport unterliegt klaren Regeln. Der erste Aufgabenteil für Esel und Pferd bei diesem Beitrag zur Serie «tierisch heilig» lautet darum: Wer war näher bei Jesus Christus? Die vier neutestamentlichen Evangelien halten sich zuerst etwas bedeckt. Lukas, der die Geburt Jesu beschreibt, unterschlägt den Esel:

«So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heisst; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids.» Erst im «Pseudo-Matthäus-Evangelium», einer Schrift aus dem 6. Jahrhundert, die die Kindheit Christi kräftig ausschmückt, bekommt Meister Langohr seinen grossen Auftritt. Seither ist die Weihnachtsgeschichte ohne Esel undenkbar.

Der Esel brachte die schwangere Maria nach Betlehem, die Heilige Familie auf der Flucht vor König Herodes nach Ägypten und ziemlich sicher wieder zurück nach Nazaret. Das Tier der Familie Jesu überwand laut diesen Erzählungen Aberhunderte Kilometer. Es hätte nach heutigen Massstäben den Esel-Distanzreiterpreis gewonnen.

Im Dienst des Menschensohns

Die wilden Vorfahren des heutigen Hausesels stammen aus der Halbwüste. Sie sind perfekt auf die klimatischen Bedingungen des Nahen Ostens angepasst. Das war vor 2000 Jahren nicht anders. Die Welt von Jesus und seinen Jüngern war bevölkert von Eseln. Sie gehörten einfach dazu, ganz sicher auch zur Heiligen Familie. Schon damals waren die Tiere das «Taxi des kleinen Mannes». Die Eseltypen im nahen Osten waren und sind nicht sehr gross. Trotzdem sind sie in der Lage, Erwachsene zu tragen. Anders als beim Pferd, das von seinem geschwungenen Rücken her eher ein Zugtier ist,  ist der Esel aufgrund seines geraden Rückens hauptsächlich ein Lasttier. Die junge Eselin, die Jesus beim Einzug in Jerusalem getragen hatte, meisterte diese Aufgabe daher sicher problemlos.

Nach einer Legende soll sich die Eselin bei Jesus beschwert haben, dass die Menschen ihre Art als dumm bezeichnen. Jesus antwortete: «Die Menschen sind dumm, weil sie nicht sehen, dass du bereits das Kreuz auf deinem Rücken trägst.» Der gekreuzte Aalstrich, mit dem die meisten Esel gezeichnet sind, ist ein Erbe der wilden Vorfahren. Er ist auch bei vielen Pferden mit grauem oder sandfarbenen Fell und dunklerem Langhaar zu sehen.

Der erste Turnierteil ist vorbei. Urteil der hier schreibenden Richterin: Der Esel ist der Star der Lebensgeschichte Jesu, dem Pferd wird da bestenfalls eine Statistenrolle zugewiesen. Die christlich-abendländische Tradition hat den «Weihnachtsesel» längst integriert, auch wenn ihn die Evangelisten nicht erwähnen. Mit Jesu Einzug in Jerusalem hat der zähe, genügsame Esel das Rennen im ersten Turnierteil gewonnen. Er kam Jesus am nächsten.

Theologische Kraft und Verkündigung

Der zweite Turnierteil sieht folgende Aufgabe vor: Esel und Pferd sind beides Transporttiere. Wer hat die Nase vorn bei beim Transportieren, als Verkündigen von Gottes Wort? Am Schluss des Neuen Testaments hat das Pferd seinen grossen Auftritt in den Offenbarungen des Johannes. Dem Seher auf der Insel Patmos eröffnete das Lamm das Tor, und auf den Ruf «komm» erschienen ein weisses, ein rotes, ein schwarzes und ein fahles Pferd.

Pferdefarben haben eine tiefe Symbolkraft. Weiss ist der Sieger, hier also Christus. Rot ist der Streiter. Rote Pferde (Füchse) galten bei vielen pferdezüchtenden Kulturen als besonders mutig. Auf dem schwarzen Pferd reitet der Richter. Schwarz ist an sich keine Farbe. Das Gericht zeigt keine Tönung. Das fahle Pferd, eigentlich ein Falbe – also ein Pferd mit grauem oder sandfarbenen Fell und dunklerem Langhaar – bringt den Tod. Noch heute werden in Island die Falben als «Wiedergänger» aus der Totenwelt bezeichnet. Das Pferd betritt die Szenerie also durch die theologische Hintertür.

Treue Begleiter der Heiligen und Mönche

Aufgrund seiner Anmut, Kraft und Grösse ist das Pferd eine dankbare Projektionsfläche. Das christliche Abendland hätte ohne Pferd keinen Ritterstand erschaffen können. Der französische Dominikanermönch Wilhelm Peraldus bezeichnete um 1255 jeden Teil des «Miles Christianus», des christlichen Ritters, mit einem Attribut. Das Schwert mit «verbum dei – Gottes Wort» und das Pferd mit «bona voluntas – der gute Wille». Der sprichwörtlich gute Wille des Pferdes, das sich – anders als der Esel – dem Menschen ganz unterordnet, war politisch nutzbar. Dies hat der Welt einige Kriege beschert, auch in Gottes Namen.

Den Heiligen war das Pferd ein treuer Begleiter und Vermittler ihrer Mission. Der heilige Georg hätte ohne Streitross den bösen Drachen nicht besiegen können. Zu den «Räbeliechtliumzügen» im November gehört vielerorts die Geschichte vom heiligen Martinus und dem Bettler. Natürlich erscheint der Heilige stets beritten.

Die Benediktiner vom Kloster Einsiedeln haben eine besondere Beziehung zum Pferd. Seit über 1000 Jahren züchten sie eine eigene Rasse, die liebevoll «Cavalli della Madonna» genannt wird.  Bestimmt haben diese Pferde mitgeholfen, die «Frohe Botschaft» des Evangeliums in die Schweiz hinauszutragen.

Im zweiten Turnierteil «Theologie und Verkündigung» hat sich das Pferd gegen den Esel durchgesetzt. Sein guter Wille, seine Ausstrahlung und Schnelligkeit transportierte das Wort Gottes in theologischen Bildern, Legenden – und ganz real über die Kontinente. Die Turnierrichterin bei «tierisch heilig» gibt daher Gleichstand. Zwei erste Preise für Esel und Pferd.

Esel und Pferd | Pixabay C00
12. August 2017 | 13:30
Lesezeit: ca. 3 Min.
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