Barbara Schmid-Federer, neue SRK-Präsidentin, hielt ein Referat an der Theologischen Hochschule Chur.
Schweiz

«Es ist gut zu helfen, wo geschrien wird»: SRK-Präsidentin appelliert an Barmherzigkeit der Kirche

Die katholische Kirche ist eine Grossbaustelle. Missbrauchsfälle schockieren die Öffentlichkeit, der synodale Prozess will Reformen anstossen. Die Kirche müsse gleichzeitig aufpassen, nicht die existenzielle Not der Menschen aus den Augen zu verlieren, findet Barbara Schmid-Federer. Sie ist die neue Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes.

Wolfgang Holz

Die Welt ist und bleibt ein Schlachtfeld. Menschen in der Ukraine sterben durch Raketen. In Syrien sind Tausende in den letzten Jahren durch militärische Gewalt umgekommen. Ja, schon in jener legendären Schlacht bei Solferino anno 1859 war das Gemetzel zwischen den feindlichen Heeren so grausam, dass es die menschliche Vorstellungskraft überstieg.

Der barmherzige Kaufmann aus Genf

Henri Dunant, Genfer Kaufmann, der das Fanal des militärischen Mordens persönlich miterlebte, fand das Geschehen so unerträglich, dass er spontan verwundete Soldaten versorgte und den medizinischen Mangel dokumentierte. Wenig später war das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) gegründet. Es wurde zur ältesten und grössten humanitären Organisation der Schweiz.

«Früher war es in Sachen Hilfe eben nicht selbstverständlich, dass alle Menschen auf dem Schlachtfeld Brüder sind.»

Barbara Schmid-Federer, SRK-Präsidentin
Barbara Schmid-Federer, neue SRK-Präsidentin, am Rednerinnenpult der Theologischen Hochschule Chur.
Barbara Schmid-Federer, neue SRK-Präsidentin, am Rednerinnenpult der Theologischen Hochschule Chur.

«Früher war es in Sachen Hilfe eben nicht selbstverständlich, dass alle Menschen auf dem Schlachtfeld Brüder sind», betonte SRK-Präsidentin Barbara Schmid-Federer die Einzigartigkeit des Roten Kreuzes. Das Rote Kreuz sei politisch und religiös neutral: «Nur die Tat der Hilfe ist entscheidend, nicht die Herkunft des Opfers.»

80 Millionen Mitglieder weltweit

Heute engagiert sich das Schweizer Rote Kreuz in den Bereichen Gesundheit, Integration und Rettung für Menschen in Not und ist in rund 30 Ländern aktiv. Die Organisation zählt schweizweit rund 500’000 Mitglieder, weltweit sind es 80 Millionen. Ein Mammut-Hilfsverband, der sich um die Not der Menschen rund um den Globus kümmert.

E-Bassgitarristin Martina Berther aus Zürich verzauberte mit sphärischen Klängen das Publikum in der Theologischen Hochschule Chur.
E-Bassgitarristin Martina Berther aus Zürich verzauberte mit sphärischen Klängen das Publikum in der Theologischen Hochschule Chur.

Barbara Schmid-Federer ist seit vier Monaten neue Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes. Am Montag war sie am «Dies Academicus» der Theologischen Hochschule Chur zu einem Vortrag eingeladen. Titel ihres religiös angehauchten Referats: «Wem werde ich zum Nächsten – Helfen ohne Grenzen?»

Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter

Der Vortrag der bald 57-jährigen Zürcherin, die an den Universitäten Zürich und Paris Romanistik studierte und von 2007 bis 2018 im Nationalrat für die CVP politisierte, hatte es in sich. Denn die Schwester des Einsiedler Abts Urban Federer las der Kirche für einmal indirekt die Leviten. Und zwar anhand einer erzählerischen Analyse des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter in der Bibel.

«Alle haben die gleichen Rechte auf Hilfe.»

Barbara Schmid-Federer

Hier wird ein Mann von Strassenräubern überfallen, ausgeraubt, halb totgeschlagen und von einem jüdischen Priester und Leviten links liegen gelassen, bevor ihm die Hilfe des Samariters zu Teil wird. Schmid-Federer verdeutlichte über das Gleichnis das universale humanitäre Hilfsprinzip des Roten Kreuzes: «Alle haben die gleichen Rechte auf Hilfe.» Egal, ob es sich dabei beispielsweise um Flüchtlinge aus der Ukraine oder aus Afghanistan handle. Sie versuchte damit auch das Gespenst einer immer wieder heraufbeschworenen «schleichenden Islamisierung» durch Flüchtlingsströme aus muslimischen Ländern zu entkräften.

Der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain.
Der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain.

Die Hilfe des Roten Kreuzes sei in erster Linie von Menschlichkeit geprägt. «Es ist unsere Aufgabe, die Würde in jedem Menschen zu erkennen. Alle Notleidenden sind Schwestern und Brüder», betonte Schmid-Federer.

Hilfe braucht viel Geld

Wobei es viel Geld brauche, um die Not der Menschen weltweit zu lindern. «Geld ist das effizienteste Hilfsmittel, um vor Ort zu helfen – denn nur so können funktionierende lokale Hilfsstrukturen aufgebaut werden», versicherte die Zürcherin. Dabei gehe es heutzutage nicht mehr nur darum, durch militärische Gewalt in Not geratenen Menschen beizustehen.

«Die modernen Schlachtfelder sind die katastrophalen Folgen des Klimawandels.»

Barbara Schmid-Federer

«Die modernen Schlachtfelder sind die katastrophalen Folgen des Klimawandels», sagte Schmid-Federer. In Extremfällen, wie in Äthiopien etwa, kämpften Menschen gegen Naturkatastrophen und in Kriegen um ihr Überleben. 

Der schweizerische Begründer der Idee des Roten Kreuzes: Jean-Henry Dunant.
Der schweizerische Begründer der Idee des Roten Kreuzes: Jean-Henry Dunant.

Umso wichtiger ist es angesichts solch internationaler Notlagen aus der Sicht der SRK-Präsidentin, dass die Hilfsbestrebungen auf mehreren Schultern verteilt werden. Dabei sei auch die katholische Kirche im Sinne ihrer ureigensten Grundwerte von Diakonie und Caritas noch stärker verpflichtet zu helfen. Sich noch intensiver Notleidenden missionarisch zuzuwenden – und nicht durch die ständige Beschäftigung mit innerkirchlichen Reformen einen Verlust der Glaubwürdigkeit zu riskieren.   

«Nur Gottes Hilfe ist grenzenlos»

Schmid-Federer sagte: «Ich bin religiös so erzogen worden, dass derjenige, der viel hat, auch viel gibt – vor allem den Armen. Es ist gut zu helfen, dort wo geschrien wird.» Allerdings sei die Vorstellung von einer grenzenlosen Hilfe Utopie. «Nur die Hilfe Gottes ist grenzenlos – ein Feld, auf dem die katholische Kirche geradezu einzigartig in Gestalt spirituellen Beistands Unterstützung zu leisten vermag.»

«Wir wollen die Welt im Sinne des Nächsten mitgestalten und die Schreie der Armen erhören.»

Bischof Joseph Bonnemain

Eine Botschaft, die in der prominent klerikal besetzten Aula der Theologischen Hochschule Chur am Montagabend offensichtlich wohlwollend verstanden und aufgenommen wurde. Der Grosskanzler der Hochschule, Bischof Joseph Maria Bonnemain, betonte in seinem Grusswort, dass die Kirche die Kultur des Wir, der universalen Geschwisterlichkeit und des missionarischen Gedankens zu fördern gedenke.

Preisträgerinnen des Churer Maturapreises für Religion 2022 (v. l.): Lena Köhre, Yasmina Mark sowie Alessia Alig und Fiona Bugmann.
Preisträgerinnen des Churer Maturapreises für Religion 2022 (v. l.): Lena Köhre, Yasmina Mark sowie Alessia Alig und Fiona Bugmann.

«Wir wollen die Welt im Sinne des Nächsten mitgestalten und die Schreie der Armen erhören», sagte Bonnemain. Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben, Gott zu leben und zu erfahren. «Und wenn wir es zusammen mit der Politik, dem Roten Kreuz und der Kirche schaffen, dass es weniger Räuber und Verbrecher gibt, dann haben wir schon einiges erreicht», erwiderte er auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter.  

Vier junge Frauen teilen sich den Religionsmaturapreis

Am «Dies Academicus» wurden am Montagabend an der Theologischen Hochschule auch die Gewinner des diesjährigen Churer Maturapreises für Religion ausgezeichnet. Vier junge Frauen wurden für ihre Arbeiten prämiert.

Yasmina Mark erhielt den ersten Preis für ihre Recherche «Durch Adoption zur Familie» – wobei es auch um Rassismus geht, mit dem Adoptivkinder konfrontiert werden. Lena Köhre kam mit ihrem Beitrag zu den Positionen verschiedener Religionen zur Organspende auf den zweiten Platz. Und Alessia Alig und Fiona Bugmann wurden für ihre Arbeit über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Jugendliche ausgezeichnet.


Barbara Schmid-Federer, neue SRK-Präsidentin, hielt ein Referat an der Theologischen Hochschule Chur. | © Wolfgang Holz
25. Oktober 2022 | 15:35
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