Angesichts der Missbrauchskrise treten viele aus der Kirche aus.
Schweiz

Ein Viertel mehr Austritte aus der katholischen Kirche

Im vergangenen Jahr sind schweizweit 25’366 Menschen aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten – ein Viertel mehr als im Jahr 2017. Das zeigt die am Dienstag veröffentlichte Kirchenstatistik 2018. Grund für die markante Zunahme sind unter anderem Berichte über sexuellen Missbrauch.

Barbara Ludwig

Nebst Befunden, die auf eine schwächere Bindung der Katholiken an ihre Kirche hinweisen, zeigt die vom Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI) erhobene Kirchenstatistik 2018 erhöhte Austrittszahlen. Während die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche 2017 schweizweit bei 20’014 lag, ist sie 2018 um einen Viertel auf 25’366 angestiegen.

Mehr Austritte als 2010

Dieser «sprunghafte Anstieg» dürfte vor allem als Reaktion auf zahlreiche Berichte über sexuellen und geistlichen Missbrauch sowie über unzureichende kirchliche Reaktionen in der katholischen Kirche weltweit zu verstehen sein, schreibt das SPI in einem analysierenden Bericht zur aktuellen Kirchenstatistik, die es am Dienstag auf seiner Webseite veröffentlichte. Die Zahl der Austritte sei sogar noch höher als 2010. Auch damals kam es zu einer Austrittswelle wegen Berichten über Missbrauch in der Kirche.

Jahrelange Entfremdung

Das Forschungsinstitut spricht in diesem Zusammenhang von «anlassbezogenen Austrittswellen», die in manchen Jahren zu einer langsam steigenden «Sockelerosion» hinzukommen. «Die Sockelerosion im Mitgliederbestand meint eine vergleichsweise geringe und nur sehr langsam steigende, aber doch regelmässige Quote an jährlichen Kirchenaustritten», erklärt das SPI in seinem Bericht zur Kirchenstatistik. Die Sockelerosion betrage seit einigen Jahren etwas weniger als ein Prozent der Kirchenmitglieder.

Hier liege «eine jahrelange, manchmal über Generationen verfestigte Entfremdung» von der Kirche vor. Der Kirchenaustritt sei dann meistens Ausdruck einer «persönlichen Kosten-Nutzen-Bilanz», so das SPI.

Langzeitvergleiche zeigen Spitzenwerte

In absoluten Zahlen sind 2018 im Kanton Zürich am meisten Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten, nämlich 5801. An zweiter Stelle steht der Kanton Aargau mit 4093 Austritten. Über 2000 Austritte wurden in den Kantonen Bern (2003), Luzern (2508) und St. Gallen (2384) verzeichnet.

Die Erhebungen zeigen für manche Kantone Daten über einen längeren Zeitraum hinweg. Im Kanton Zürich etwa zeigt sich, dass Ende der 1980er Jahre erstmals ein starker Anstieg der Austritte aus der katholischen Kirche zu verzeichnen war, wie das SPI zur entsprechenden Grafik schreibt. Danach seien die Austritte mit Schwankungen relativ stabil geblieben. Vor allem 2010 habe dann die Zahl der Mitglieder, die die Kirche verliessen, erneut stark zugenommen. 6161 Menschen kehrten der Kirche damals den Rücken.

Eine ähnliche Entwicklung gab es auch im Kanton St. Gallen, wie eine weitere Grafik zeigt. In den Jahren 2010 und 2018 gab es zudem in den Kantonen Aargau, Luzern, Bern, Thurgau und Jura teils markante Spitzenwerte bei den Austritten aus der katholischen Kirche.

Basel-Stadt hat die höchste Austrittsrate, sowohl bei der römisch-katholischen als auch bei der evangelisch-reformierten Kirche.
Basel-Stadt hat die höchste Austrittsrate, sowohl bei der römisch-katholischen als auch bei der evangelisch-reformierten Kirche.

Ältere treten wegen Stellungnahmen der Kirche aus

Laut dem SPI sind die Gründe für einen Kirchenaustritt vielfältig. Die wichtigsten seien fehlender oder verlorener Glaube, öffentliche Stellungnahmen der Religionsgemeinschaften und «andere» Gründe. Dabei zeigten sich Unterschiede zwischen den Alterskategorien, schreibt das Institut auf seiner Webseite. «Während jüngere Menschen angeben, keinen Glauben zu haben oder diesen verloren zu haben, geben Menschen zwischen 40 und 75 Jahre an, dass sie mit den öffentlichen Stellungnahmen ihrer Religionsgemeinschaft unzufrieden waren.»

Auch bei Reformierten mehr Austritte

Die Kirchenstatistik zeigt weiter, dass besonders viele Personen die Kirche im Alter zwischen 25 und 34 Jahren verlassen. In einem Alter also, in dem viele junge Erwachsene einen eigenen Haushalt gründen und erstmals richtig Steuern bezahlen, wie das SPI festhält.

Die Kirchenstatistik zeigt, dass auch die reformierte Kirche in der Schweiz 2018 einen Anstieg der Austrittzahlen hinnehmen musste. Dieser lag mit 21’751 Kirchenaustritten knapp zehn Prozent über den Zahlen des Vorjahrs, so das SPI in seinem Bericht.

In einer Grafik mit Zahlen zum Kanton Zürich vergleicht das Forschungsinstitut die Austritte der römisch-katholischen und der evangelisch-reformierten Kirche. Es stellt fest: «In den letzten 25 Jahren lagen die Kirchenaustrittsquoten der beiden grossen Landeskirchen weitgehend gleichauf.»

Skandale bei Katholiken veranlassen Reformierte zum Austritt

In den Jahren zwischen 1990 und 1997, 2009 und vor allem 2010 und 2018 hätten hingegen deutlich mehr Katholiken als Reformierte ihre Kirche verlassen. Das waren Jahre, die von Auseinandersetzungen – um den Churer Bischof Wolfgang Haas oder die Piusbrüder – oder von Missbrauchsskandalen geprägt waren. Diese Konflikte und Skandale tangierten allerdings auch die evangelisch-reformierte Kirche im Kanton Zürich. «Erstaunlicherweise» hätten in diesen Jahren auch die reformierten Austritte zugenommen, wenn auch nicht im gleichen Ausmass wie bei der katholischen Kirche, schreibt das SPI zu dieser Grafik.


Angesichts der Missbrauchskrise treten viele aus der Kirche aus. | © KNA
26. November 2019 | 12:54
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