Ein Schweizer Jesuit in Berlin-Kreuzberg

Zum Tod des Jesuiten Franz Keller

Berlin, 13.1.2014 (Kipa) Der Schweizer Jesuit Franz Keller wurde vor dreissig Jahren Mitbewohner einer besonderen Wohngemeinschaft von Jesuiten in Berlin-Kreuzberg. Mit seinem Tod geht ein an Erfahrungen und Begegnungen reiches Leben zu Ende. Franz Keller starb am 9. Januar 2014 in Berlin.

Kreuzberg, U-Bahn-Station Kottbusser Tor. Auf dem Boden liegen Flaschen, Scherben, Tüten und gebrauchte Spritzen. Seit dreissig Jahren trifft sich hier die Drogen-Szene. Hier traf sich auch Christiane F. mit ihren Dealern, die mit ihrem Buch «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» berühmt wurde. Nur wenige Touristen und Kreuzberger Szene-Gänger verirren sich an diesen unwirtlichen und zugigen Platz. Diesen Platz passierte über drei Jahrzehnte oft auch der in Wettingen (AG) geborene Franz Keller, wenn er jeweils die Naunynstrasse 60 ansteuerte. Dort befand sich sein Platz in der Jesuiten-Kommunität.

Die Tür neben dem «Tor zur Hölle»

Wollte er zur «Jesuiten-WG», kam der 88-Jährige bis zuletzt meist an der Punker-Kneipe «Trinkteufel – Tor zur Hölle», vorbei, dessen Stammgäste in Lederkluft den zuletzt stark gebeugten Mann freundlich grüssten. Franz Keller lächelte jeweils, wenn ihn Besucher fragten: «Jesuiten, hier?» Tatsächlich findet der Gast in der Wohnung, in der Jesuit Christian Herwartz 1978 mit Mitbrüdern eine Kommunität von Arbeiterpriestern gründete und dessen Mitglied Franz Keller zwei Jahre später wurde, kein Hinweis auf eine Konfession. Kein Kreuz, keine Marienfigur, dafür bunte Bilder von Bewohnern der WG.

Wichtig sind hier keine Ikonen, sondern die Bewohner und ihre Lebensgeschichten. An diesem Ort fand Franz Keller, der ursprünglich als Missionar nach Indien gehen wollte, seinen Lebensort. Hier, unweit des einstigen Grenzverlaufs der Berliner Mauer, fand er sein «Indien». Der Aargauer war hier Mitglied einer besonderen Wohngemeinschaft. Sie war von Beginn an eine Adresse für Randständige. Zum Kommunitätsabend kamen und kommen Menschen, die es zu Hause in ihren Wänden nicht aushalten. Wegen Einsamkeit, Streit oder weil ihnen der Strom abgestellt wurde. Es kommen Menschen, die im Gefängnis sassen oder Ausländer ohne gültige Papiere. Menschen aus allen Nationen, die teilweise über Monate hier leben.

Der ruhende Pol

Der bescheiden auftretende Mann wollte stets nah bei seinen Mitbewohnern sein. Und lebte in bemerkenswerter Einfachheit. Sein kleines Zimmer in der Jesuiten-WG war derart karg und spartanisch eingerichtet, dass selbst Obdachlose und ehemalige Gefängnisinsassen darüber staunten. Tief geprägt von seiner katholischen Herkunft in der Schweiz, lebte er zusammen mit Schrägen und Schrillen, die religiös oftmals ganz anders «tickten» als er. Manchmal gelang es ihm mit seinem nuancierten Humor, sich an die oftmals geschundenen Seelen seiner Gäste heranzutasten.

Wenn es in der Küche nicht nur auf dem Herd brodelte, sondern auch zwischen Streithähnen, reichte ein besonnenes Wort von ihm, um zu schlichten. Er war der ruhende Pol der Jesuiten-WG. Ein Mann, von dem, wie manche sagen, ein besonders Licht ausging. Mitbewohnerin Renate Trobitzsch notierte im Buch «Gastfreundschaft» über ihn: «Mit diesem offenen, freundlichen Blick schaut und nimmt er jeden an, egal wer es ist. Franz wirkt, oft wortlos, einfach durch sein Da-Sein. Das weckt die liebevollen, hilfsbereiten Seiten im Menschen, da wandelt sich das Rücksichtslose, der Ärger, das Misstrauen. Von ihm geht etwas Orientierendes und Friedensstiftendes aus.»

Sprung ins kalte Wasser

Wer im Buch «Gastfreundschaft» blättert, das die Geschichte der Jesuiten-WG und viele ihrer Besucher festhält, die hier mal gelebt haben, erfährt auch von der bewegten Lebensgeschichte von Franz Keller. In Rapperswil verbrachte er seine Kindheit und Jugend. Nach dem Krieg absolvierte er in Winterthur das Technikum. Im Mai 1950 trat er als Bruder in den Jesuitenorden ein. Statt nach Indien ging Franz Keller 1952 nach Feldkirch an das Kolleg der Jesuiten und war für den Gebäudeausbau und – erhalt zuständig.

Als Franz Keller ins damals noch geteilte Berlin entsandt wurde, ahnte er kaum, was auf ihn zukam. Als er aus der beschaulichen Bergwelt im damals anarchistischen Kreuzberg mit seiner aufkeimenden Hausbesetzer-Szene ankam, glich dies einem Sprung ins kalte Wasser. Die «Berliner Schnauze» war gewöhnungsbedürftig, wie er einmal bemerkte. Wie seine Mitbrüder Michael Walzer und Christian Herwartz suchte er eine Arbeit in der Elektroindustrie. Ohne unbeschränkte Arbeitserlaubnis war dies für einen Schweizer damals jedoch schwierig. Schliesslich fand er Arbeit bei Elektrolux. Später half er bei der Sanierung von Altbauten.

Mittendrin und dabei

Im Schlepptau von Mitbruder Christian Herwartz war Franz Keller stets mittendrin und dabei, wenn aus der Jesuiten-WG mutige Projekte und Initiativen entstanden. Er engagierte sich in der «Gruppe interreligiöses Friedensgebet», die sich regelmässig auf dem Berliner Gendarmenmarkt zum Gebet trifft. Er war bei den Mahnwachen der «Ordensleute gegen Ausgrenzung» vor der Abschiebehaft in Berlin-Köpenick dabei, wo er zeitweise auch auf den Jesuiten Klaus Mertes traf, damals Rektor des Jesuitengymnasiums Canisius-Kolleg Berlin. Franz Keller schätzte auch das Projekt «Exerzitien auf der Strasse», bei dem sich die Teilnehmer ihren «Dornbusch», und damit den eigenen heiligen Ort zeigen: Menschen am Wegrand, historische und soziale Brennpunkte oder eigene traumatische Erfahrungen.

Ein reiches Leben

Am liebsten jedoch war Franz Keller unterwegs mit seinem Velo. Seine grosse Liebe war die Natur und so zog es ihn in jeder freien Minute hinaus ins Berliner Umland mit seinen vielen Seen. Nach dem Mauerfall 1989 konnte er auch die ostdeutschen Bundesländer entdecken und fuhr mit dem Velo bis hinauf zur Mecklenburgischen Seenplatte.

In den über 30 Jahren der Existenz der Kreuzberger Jesuiten-Kommunität haben 400 Menschen aus 61 verschiedenen Ländern hier für eine Zeit gelebt. Ein internationales Netzwerk von Leuten ist entstanden, die sich mit dieser WG verbunden fühlen. Viele Gäste auch aus der Schweiz waren hier zu Gast. Und fast alle sind diesem Mann begegnet, von dem Christian Herwartz nun sagt, er sei ein «Kristallisationspunkt des Friedens gewesen». Die Stammgäste in der Punker-Kneipe «Trinkteufel» – und nicht nur die – werden den Mann, der ihnen oftmals ein verschmitztes Lächeln schenkte, jedenfalls vermissen.

Hinweis für Redaktionen: Kostenpflichtige Bilder sind bei der Autorin erhältlich: info@veraruettimann.com (kipa/vr/sy)

13. Januar 2014 | 09:13
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