Pilgerrucksack mit Muschel,  Requisite aus dem Pilgertheater "#Jakob s Weg".
Schweiz

Theater um einen fliehenden Heiligen

Im Theaterstück «#Jakob s Weg» flieht der Heilige Jakob vom Sockel des Brunnens in Rorschach. Ambros, ein frustrierter Journalist, nimmt seine Fährte auf und verliert seinen Job. Beatrice Mock inszeniert ein Pilgertheater mit Laiendarstellenden, das vom Aufbrechen und Ankommen erzählt.

Eva Meienberg

Ambros hat im Ausgang wieder zu viel getrunken. Singend und johlend verlässt er die Bar. Bevor er die Kurve Richtung Heimweg gerade noch kratzt, pinkelt er an den Sockel des Heiligen Jakob. Das bringt das Fass des Heiligen zum Überlaufen. Dieser quittiert seinen Dienst als Statue und tritt mit seinem Pilgerstab geräuschvoll ab.

Im Theater 111 in St. Gallen ist das Ensemble des Pilgertheaters mitten in der zweiten Hauptprobe. Der rechte Scheinwerfer scheint noch stark auf die erste Sitzreihe und die Stufe zur Bühne entpuppt sich als Stolperschwelle. Ein Stuhl behindert Donnée, wenn sie mit ihrem Mountain-Bike auf die Bühne fahren soll. Aber sonst läuft alles nach Plan. Die Probe geht weiter.

Besprechung nach der Probe des Stücks "#JAKOB S WEG"
Besprechung nach der Probe des Stücks "#JAKOB S WEG"

Der abrupte Abgang des Heiligen bringt den besagten Ambros wieder auf den Plan. Er ist Journalist und immer auf der Suche nach einer brisanten Story. Jedenfalls ist das so, seit seine neue, junge Chefin reisserische Geschichten auf ihrer Seite haben will. Ambros ist unter Druck. Er fühlt sich fremd in der schnelllebigen Online-Welt und kann den boulevardesken Stil nicht mit seinem Gewissen vereinbaren.

Job weg – auf zum Pilgern

So verliert er schliesslich seinen Job und macht sich auf den Weg nach Santiago de Compostela. Ambros Motivation, nach einer Job-Krise den Pilgerweg unter die Füsse zu nehmen, sei typisch, sagt Beatrice Mock. Die Schauspielerin und Regisseurin hat das Stück geschrieben und inszeniert das Theater derzeit mit Laiendarstellerinnen und -darstellern.

Beatrice Mock bespricht sich mit einer Darstellerin.
Beatrice Mock bespricht sich mit einer Darstellerin.

Bevor sich Beatrice Mock schauspielerisch weitergebildet hat, hat sie Theologie studiert und in der katholischen Kirche gearbeitet. Heute arbeitet sie in Teilzeit beim katholischen Medienzentrum in Zürich (kath.ch) und freischaffend als Schauspielerin und Regisseurin.

Auf dem Pilgerweg nach Compostela war sie nie. «Ich kenne die Pilgerspiritualität dennoch gut», sagt Beatrice Mock. Das Gedicht von Dom Hélder Câmara über die Pilgerseele, das Ambros im Stück begleitet, stammt aus ihrem Fundus.

Auftrag vom Verein Pilgerherberge

Die restlichen Wissenslücken hat die Regisseurin mit einem Forschungsprojekt geschlossen, an dem 35 Menschen mit Erfahrung oder Interesse am Pilgern teilgenommen haben. Inspirierend sei auch die Ausstellung «Die Pilger» von Johann Kralewski gewesen. Den Auftrag für das Theaterstück hat Beatrice Mock vom Verein Pilgerherberge Sankt Gallen erhalten, der damit sein 15-jähriges Bestehen feiert.

Stephan Bitsch spielt den geschassten Journalisten Ambros.
Stephan Bitsch spielt den geschassten Journalisten Ambros.

Ambros wird von Stephan Bitsch gespielt. Er war schon dreimal auf dem Weg nach Santiago de Compostela. «Ich bin damals als Wanderer gestartet und als Pilger angekommen», sagt der Sozialpädagoge. Einmal sei er sogar fastend gepilgert. «Pilgerwege sind besondere Wege, weil sie geprägt sind durch die Menschen, die einem voraus gegangen sind.»

Schmetterlinge überall

Einmal habe er auf einer Wegstrecke ganz viele Schmetterlinge gesehen. Für ihn hätten die Schmetterlinge das Wissen und die Erfahrungen aller Menschen symbolisiert, die je auf dem Weg nach Santiago de Compostela waren.

Kathrin Wiener spielt die Rolle der Angelika, die sich trotz Asthma und nach langer Isolation während Corona auf den Pilgerweg macht. «I will da, i muen da, es isch wie en Sog i mir», sagt Angelika und macht ihrer Dankbarkeit Luft trotz, kurzem Atem. «De Weg git mir Chraft», sagt die kranke Frau, die an zwei Wanderstöcken geht und immer wieder zum Spray greift, der ihr das Atmen erleichtert.

Angelika (Kathrin Wiener) spielt eine kranke Pilgerin.
Angelika (Kathrin Wiener) spielt eine kranke Pilgerin.

Die esoterisch angehauchte Angelika habe mit ihr nicht viel gemeinsam, sagt Kathrin Wiener, ausser dass auch sie eine feine Wahrnehmung habe. Für das Rollenstudium hat Kathrin Wiener vor allem Filme über das Pilgern geschaut.

In den Alpen gelandet

Donnée Op Heij hat für ihre Rolle als Lisa, die den Pilgerweg mit dem Bike zurücklegt, selbst das Velo gesattelt. Auf dem Weg nach Santiago des Compostela hat es ihr in den französischen Alpen so gut gefallen, dass sie dort geblieben ist. Mit vier Velotaschen, Zelt und Thermomatte habe sie oft draussen geschlafen, denn die Pilgerherberge sei nicht so ihr Ding.

Donnée Op Heij spiel Lisa, die den Jakobsweg aus dem Bike zurücklegt.
Donnée Op Heij spiel Lisa, die den Jakobsweg aus dem Bike zurücklegt.

Donnée Op Heij hat die katholischen Feste und Traditionen im Süden der Niederlande erlebt, die das Dorf zusammengehalten hätten. Sie lebe heute gut ohne diese Strukturen. «Das Wichtigste ist, dass du mit den Menschen in deiner Umgebung aufrichtig umgehst», sagt Donnée Op Heij.

Besserwisserin trifft Stänkerer

In der nächsten Szene sitzt Ambros mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einer Bank und zieht seine Schuhe aus, die Fersen bluten. Lisa fährt in Velo-Montur ein. Hier treffen sich Ambros und Lisa zum ersten Mal auf dem Pilgerweg. Lisa nervt sofort mit ihrer Besserwisserei. «Doppelsogge, du muesch Doppelsogge aalegge. Da ghört zu de Jakobsweg-Basics!» Ambros wird sauer –  wie immer. Lisa rauscht ab und lässt den Stänkerer zurück.

Lisa (Donnée Op Heij) und Ambros (Stephan Bitsch) begegnen sich auf dem Pilgerweg.
Lisa (Donnée Op Heij) und Ambros (Stephan Bitsch) begegnen sich auf dem Pilgerweg.

In der Pilgerherberge schliesslich treffen Ambros, Angelika und Lisa aufeinander. Der Gastgeber ist Jok, der dem Heiligen Jakob zum Verwechseln ähnlichsieht. Ist es gar der Heilige, der die Pilger bewirtet? Ambros kommt einmal mehr unter den Hammer und wird eingedeckt mit vermeintlich guten Ratschlägen. «Ich han ‘s Rächt, hässig zii», sagt Ambros und schlägt mit der Hand auf den Tisch. Die Frauen erschrecken und verstummen.

Verkehrter Wegweiser

Lisa, Angelika und Ambros sind zufälligerweise auf dem gleichen Weg nach Santiago de Compostela. Ihr Zusammentreffen führt jedoch zu einem Austausch, der für alle wertvoll ist. Ein gelbes Wanderschild zeigt in unterschiedliche Richtungen. Es wird zum Sinnbild. Denn es kommt nicht darauf, wohin man geht, wenn man weiss, wohin man gehört.

Jakob (Urs Hasenfratz) und Angelika (Kathrin Wiener) hören den Regieanweisungen zu.
Jakob (Urs Hasenfratz) und Angelika (Kathrin Wiener) hören den Regieanweisungen zu.

Nach der Probe bespricht das Ensemble letzte Änderungen bei einem Snack. Die Stolperschwelle soll mit einem weissen Klebestreifen markiert werden. Damit Donnée freie Fahrt auf die Bühne hat, wird der Eingang leergeräumt und der störende Scheinwerfer einfach abgedreht. Die Umbauten zwischen den Szenen will die Gruppe nochmals üben. Um 21 Uhr verlassen die Schauspielerinnen und Schauspieler das Theater und machen sich auf ihren Weg.


Pilgerrucksack mit Muschel, Requisite aus dem Pilgertheater «#Jakob s Weg». | © Josef Schönauer
17. November 2022 | 12:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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Spieldaten

Die Aufführungen in St. Gallen im Theater 111 sind ausverkauft. Weitere Spieldaten finden Sie auf der Theaterwebseite.